Es gab Ende der 90er Jahre eine Phase, da konnte man weltweit keinen Virgin Megastore betreten, ohne in den privilegierten Impulskauf-Regalen nahe des Eingangs über zwei österreichische Alben zu stolpern. Das eine davon waren „The K&D Sessions“ von Kruder & Dorfmeister. Und das andere „Transit“ von den Sofa Surfers. In jenen Zeiten galt Elektronik aus Wien als der heißeste Club-Scheiß dies- und jenseits des Atlantiks. „Bon Voyage“, der Opener von „Transit“, wurde zur programmatischen Hymne einer ganzen Musiker-Generation out of Vienna.
Während es um Kruder & Dorfmeister in Mainstream-Kreisen ruhig geworden ist, geistern die Sofa Surfers seither kontinuierlich durch die österreichische Kulturlandschaft – nicht nur als Kollektiv, sondern auch als Solo-Künstler, Filmmusiker, Theaterkomponisten und Produzenten. Ende März 2010 – und damit fast fünf Jahre nach ihrem letzten Werk – erschien mit „Blindside“ endlich wieder ein neues Sofa Sufers-Album.
Fabian Burstein traf Wolfgang „i-wolf“ Schlögl, Markus Kienzl, Michael Holzgruber und Timo Novotny einen Tag vor dem Release von Blindside im Wiener Café Rüdigerhof. Der in Frankfurt lebende Sänger Emmanuel Obeya blieb dem Interview verständlicherweise fern. Sofa Surfer No. 6 Wolfgang Frisch schaffte es immerhin zum Foto-Shooting mit Magdalena Blaszczuk.
Ein Gespräch über den Rock ’n’ Roll von Elektronik-Musik, das Post-Hype-Gefühl und über künstlerische Querfinanzierung. Und als special bonus feature: Eine kleine Kontroverse über die österreichischen Newcomer Ja, Panik.
Mögt ihr die Interview-Situation, oder ist euch das lästig?
Timo Novotny: Kommt auf die Situation an. Wenn man zum Beispiel backstage warten muss und eh nichts zu tun hat, ist es immer sehr angenehm, weil man auch spürt, was andere Leute empfinden, wenn sie uns hören. Manchmal ist es aber auch anstrengend.
Ich bin ja als Interviewer nicht so begabt.
Wolfgang Schlögl: Wir können auch dir Fragen stellen.
Nein, nein. Ich muss mich nur sehr konzentrieren, dass ich die Leute nicht durch dumme Fragen grantig mache.
Wolfgang Schlögl: Ich glaube nicht, dass das passiert. Wir sind außerdem noch immer froh, wenn Leute uns überhaupt Fragen stellen. Da spielt natürlich auch eine ordentliche Portion Humbleness mit.
Markus Kienzl: Interviews sind auch deshalb interessant, weil man lernt, über das Gemachte zu reflektieren … über das Wie, Was, Warum. Das ist wie eine Therapiestunde.
Geht euch nicht das permanente Interpretieren der Interviewer auf die Nerven?
Markus Kienzl: Nein. Das ist spannend.
Dann lege ich gleich mit einer persönlichen Interpretation los: Als ich „Blindside“ gehört habe, hatte ich erstmals bei den Sofa Surfers das Gefühl, dass es kein elektronisches sondern ein atmosphärisches Rock ’n’ Roll-Album ist. Ist das eine subjektive Projektion, oder hat das Hand und Fuß?
Wolfgang Schlögl: Gegenfrage! Was war dann das Rote Album (letzter Album-Release der Sofa Surfers 2005, Anm.) für dich?
Ein Hybrid!?
Wolfgang Schlögl: Weil ich finde, das hatte viel weniger Elektronik als Blindside.
Michael Holzgruber: Die Sache ist die: Viele erkennen beim jetzigen Album die elektronischen Parts nicht. Man hört einfach „Sounds“, und weil die ziemlich rough sind, bleiben sie nicht als Elektronik im Hirn hängen. Ich glaube schon, dass der Begriff Rock ’n’ Roll ein bisschen mehr auf das jetzige Album zutrifft als auf das vorige.
Wolfgang Schlögl: Ich denke, dass sich bei „Blindside“ mehr Rückgriffe auf die Industrial-Passagen unserer früheren Arbeiten finden, die jetzt halt stringenter in eine Richtung getrieben wurden. Wir haben oft darüber geredet, dass wir gerne ‚rocken‘ würden, wollten aber die Mittel so breit wie möglich halten. ‚Rocken‘ kann so viel bedeuten … auch die Chemical Brothers rocken auf ihre Weise, die kennen auch keine Berührungsängste.
Markus Kienzl: Mir war auch immer egal, womit man rockt. Hauptsache man tut es.
Ich habe noch eine andere Erklärung, warum ich Rock ’n’ Roll-Assoziationen hatte: Auf „Blindside“ sind die Sofa Surfers für mich erstmals keine artifizielle Konstellation, sondern eine Band…
Markus Kienzl: Für mich ist dieser Eindruck absolut korrekt. Wenn ich zurückblicke und sehe, wie alles entstanden ist, war das schon anders. Die Homogenität hat natürlich auch mit Mani Obeya zu tun, der seit dem Roten Album dabei ist. Die Alben davor haben wir immer mit Gastsängern aufgenommen.
Ich finde, dass bei „Blindside“ auch die Texte besonders gut geworden sind …
Wolfgang Schlögl: Das freut mich sehr. Ich bin positiv überrascht, dass die Fragen bezüglich Text bei diesem Album generell so engagiert sind. Jetzt sind wir leider ohne Mani da, weshalb es uns schwer fällt, über die Texte so zu reden, wie er es wohl täte. Während wir an den Songs arbeiten, sitzt er da und schreibt. Er versucht, die Stimmungen, die wir in unsere Musik packen, zu erfassen – ohne irgendwelche Vorgaben. Mani ist schon lang genug in der Band, um herauszufinden, welche Perspektive uns zusagt. Das ist ein echter Glücksfall.
Timo Novotny: Es ist auch das erste Album, wo die Texte im Booklet stehen. Damit wollten wir die Wichtigkeit der Lyrics unterstreichen.
Der Schritt, einen fixen Sänger zu engagieren, hat sich also bewährt?
Markus Kienzl: Ja. Weil da lebt jetzt einer mit uns mit. Das hat sich auch für die Tour bewährt.
Michael Holzgruber: Für mich ist auch wichtig, dass er live eine gewisse Präsenz auf der Bühne hat, die ich nicht mehr missen möchte. Mani ist Tänzer, woraus sich eine gewisse Dynamik ergibt, die wir wohl nicht so bringen (lacht). Und obwohl er der Sänger ist, ergeben sich daraus keine hierarchischen Botschaften. Es wirkt nicht so, als wären wir die Begleitmusiker. Der Kollektivgedanke ist geblieben.
„Blindside“ würde in puncto Eingängigkeit durchaus auch als Pop-Album durchgehen – genauso wie das neue Album von Bunny Lake. Kommt das mit dem Alter, dass man sich von der Club- in die Popkultur wagt, weil man sich einfach nicht mehr vor der Underground-Stilpolizei anscheißt?
Wolfgang Schlögl: Wir scheißen uns schon lange nicht mehr vor der Stilpolizei an. In Wahrheit denken wir gar nicht mehr darüber nach. Bei uns gibt es nur lange Prozesse des In-sich-hinein-Hörens. Das ist ein großer Luxus. Wir lassen Songs lange reifen. Autismus und Außenantenne wechseln sich immer ab … (denkt nach) Ich glaube übrigens, dass das Bunny-Lake-Album ganz anders gelagert ist. Die greifen schon nach dem Pop-Olymp, was gut und sympathisch ist, während wir über gar keine Verortung nachdenken.
Markus Kienzl: Natürlich spielt auch mit, dass wir ein bisschen aus der schnelllebigen Clubkultur ausgeschieden sind. Wir gehen nicht mehr so viel fort wie früher. Den neusten Hype würden wir höchstens verschlafen. Es liegt gar nicht in unserem Interesse, dieses Segment zu bedienen – auch mit dem Risiko, dass wir eben nicht mehr der heißeste Scheiß sind. Das soll den Jungen vorbehalten bleiben. Wir müssen unsere Erfahrungen der letzten Jahre bündeln, schauen womit es uns gut geht und das dann auf Platte bringen.
Wolfgang Schlögl: Diese Frage, wo man als Band gerade stattfindet, stellt sich außerdem erst, wenn das Album erschienen ist. Während der Arbeit denke ich nicht mehr darüber nach. Schau dir die ipod-Playlists der Leute an … Es vermischt sich alles. Sämtliche Kategorisierungen haben sich überholt.
Wie seht ihr retrospektiv diese Phase Ende der Neunziger, als um euch und viele andere Wiener Elektronik-Musiker ein internationaler Hype entstanden ist?
Markus Kienzl: Ich sehe das ein bisschen zwiespältig. Einerseits haben wir sehr viel profitiert und viele Möglichkeiten bekommen. Andererseits hat uns das immer in dieses klassische Wiener Lounge-Eck gedrückt, wo wir schon ab dem zweiten Album versucht haben, rauszukommen. Es war schon gut, dass wir da mitgetragen wurden und uns einen Namen aufbauen konnten – davon leben wir teilweise noch immer. Viele Leute kennen nicht einmal unsere Musik, aber eben unseren Namen.
Habt ihr eigentlich jemals damit gehadert, dass ihr Österreicher seid, weil als Amerikaner oder Briten vielleicht noch mehr gegangen wäre?
Michael Holzgruber: Nein! Wien als Homebase schätze ich schon sehr. Wenn du in New York oder London einen Release als englischsprachige Band machst, dann gehst du einfach unter. Außerdem haben wir ja gerade durch diesen Wien-Hype profitiert.
Markus Kienzl: In New York oder London würden wir mit den Einnahmen nicht durchkommen – da müssten wir wahrscheinlich drei Jobs zusätzlich machen.
Wolfgang Schlögl: Wir können uns in diesem Biotop Wien mit Dingen wie Filmmusik, Theater und Produzieren querfinanzieren.
Markus Kienzl: Man muss auch sagen, dass der Hype um Wien damals viel Selbstbewusstsein gebracht hat. Diese Phase hat vielen Produzenten und Musikern gezeigt, dass es egal ist, woher man kommt. Kurzfristig waren die Leute sogar stolz, aus Wien zu sein. Heute hört man wieder im Radio: „Das klingt gar nicht so österreichisch“ – das ist dann eine Art Qualitätssiegel. Da kommt wieder die alte Mentalität durch.
Weil kurz das Thema Querfinanzierung aufgekommen ist: Schadet es eigentliche dem Band-Klima, wenn einer von euch im Zuge eines Seitenprojekts große Erfolge feiert – ich denke da zum Beispiel an die große „Spex“-Zeit des i-wolf?
Michael Holzgruber: Wir freuen uns in erster Linie, wenn ein Soloalbum – egal von wem – erfolgreich ist. Letztendlich kommt das der Band wieder zugute.
Wolfgang Schlögl: Außerdem schwingt bei allem, was wir tun, auch immer die Zugehörigkeit zum Kollektiv mit. Ich glaube, dass all diese Dinge den Sofa Surfers ganz grundsätzlich etwas bringen. Auch wenn zum Beispiel Timo etwas im visuellen Bereich macht …
Timo Novotny: Für mich ist es ganz wichtig, eng mit der Musik zusammenzuarbeiten. Und umgekehrt ist es schön, wenn dann einer im Schnitt extrem aufpasst, wo die Sounds gelagert sind. Das ist das Gute an einem Kollektiv: Dass man die Dinge immer wieder hin und her schieben kann.
Ihr steht jetzt einen Tag vor dem Release von „Blindside“. Wirken da bisherige Erfolge eher entspannend, weil man schon etwas erreicht hat, oder macht man sich Druck, weil man den Status halten will?
Markus Kienzl: Durch den Zusammenbruch der Musikindustrie stehen wir in erster Linie vor neuen organisatorischen Herausforderungen. Wo bringst du das Album heraus? Wie bringst du es raus? Was machst du zwecks Promo? Es ergeben sich völlig neue Aufgaben, an die wir uns heranwagen müssen.
Michael Holzgruber: Ich sehe darin auch die Chance, eine Situation zu schaffen, die von uns natürlich mehr Arbeit, Verantwortung und Überblick erfordert, die uns aber mehr Kontrolle und auch finanzielle Vorteile bringt.
Markus Kienzl: Druck, Entspannung – eigentlich ist es beides.
Wolfgang Schlögl: Wir sind ja keine schnelle Band. Was schon ein Problem ist, wenn man fünf Jahre kein Album herausgebracht hat: Man hüpft wieder aus dem Stand. Das hat auch mit den stilistischen Weiterentwicklungen der Sofa Surfers zu tun.
Timo Novotny: Deshalb sind auch die anderen Solo-Projekte so wichtig. Zwischen den Sofa-Surfers-Alben passiert trotzdem immer etwas.
Ich habe das Gefühl, dass man derzeit etwas unbedarft versucht, rund um Indie-Bands wie zum Beispiel Ja, Panik wieder einen musikalischen Hype aus Österreich zu kreieren.
Wolfgang Schlögl (empört): Die sind schon super. Da gibt es einfach Bands, die – um das Klischee nochmal zu bedienen – nicht nur über die österreichische Musikschiene rezipierbar sind. Die haben auch das Selbstverständnis, dass es scheißegal ist, ob man aus Weiz oder aus Frankreich oder aus Schweden kommt.
Aber muss man da unbedingt irgendwelche altklugen Manifeste auf You-Tube stellen?
Markus Kienzl: Welche Manifeste? Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet.
Wolfgang Schlögl: Da geht’s eben um die Ja, Panik. Fabian, du stehst eben auf Popkultur als Ganzes. Da gehört Film dazu, Theater, Literatur, all diese Dinge. Aber der Agitprop, den die Ja, Panik praktizieren, ist halt deren Claim, und das ist voll okay. Warte noch ein paar Jahre, und dann machen die auch Theater. Aber es ist eben wichtig, dass man bei Musik, die im Feuilleton stattfindet, Akzente setzt, bei denen sich jemand denken könnte: Das ist interessant, jetzt rufe ich die mal an. So schließt sich der popkulturelle Kreis. Dieses Manifest ist ein schlauer Schachzug, der imagemäßig auch zu ihnen passt.
Markus Kienzl: Ich kann dazu überhaupt nichts sagen, ich kenne dieses Manifest nicht.
Wolfgang Schlögl: Ich find’s lustig!
Timo Novotny: Darf ich fragen, worum es da geht?
Wolfgang Schlögl: Keiner weiß, worum es da geht … (denkt nach) eigentlich geht’s um Abgrenzung.
Timo Novotny: Und wie schaut die aus?
Wolfgang Schlögl: Deshalb sag ich ja: File under pop culture. Da geht’s darum, einen geblurrten Scherenschnitt herzustellen, bei dem die Leute sagen: Das ist irgendwie interessant.
Ich finde sie ehrlich gesprochen zu jung, als das solche Geschichten bei ihnen interessant sein könnten …
Wolfgang Schlögl: Da nennen wir das Kind beim Namen. Das ist wahrscheinlich das Problem. Aber ich mag die Ja, Panik trotzdem! Die sind voll okay.
Sehr schön. Ein unmissgünstiges Schluss-Statement. Das lassen wir am besten so stehen.
Wolfgang Schlögl: Weißt du, bei mir reicht schon, wenn ich darüber nachdenke, was ich so mit 18, 19 gemacht habe. Und dann denke ich mir: Ich habe viel größeren Scheiß fabriziert und habe mich viel schlechter in diesem Referenzsystem bewegt.