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Beseelter Rausch und Todesschlager

Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Archiv

Vor genau zehn Jahren erschien als Debüt Cody Chesnutts die Bedroom-Produktion „The Headphone Masterpiece“, aufgenommen in entsprechender Lo-Fi-Ästhetik. Mit einer alternativen Version des Stücks „The Seed“ („The Seed 2.0“) landete die HipHop-Truppe The Roots mit vokaler Chesnutt-Unterstützung einen Mega-Hit. Seitdem hat der unter Hochbegabtenverdacht stehende Soulbrother mit Leidenschaft für Hartschalen-Kopfbedeckungen bis auf Kleinvieh nichts veröffentlicht. Mit dem mittels Crowdfunding finanzierten „Landing on a Hundred“ (One Little Indian), diesmal mit allem Vintage-Pipapo und fetter Band- und Orchesterunterstützung in den legendären Royal Studios in Memphis aufgenommen, meldet sich der Vollbartträger mit dem hypertrophen Selbstvertrauen („Since my birth I’ve been the greatest…“) mit einem klassischen, perfekt produzierten Soulalbum zurück. Den Großteil der Songs kann man sich auch von den Temptations, Al Green oder Marvin Gaye interpretiert vorstellen, der Funkanteil dürfte vom Stevie Wonder der frühen 1970er Jahre stark inspiriert sein. Griffige Bläsersätze, romantische Streicher, Fistelstimme und Gospelchöre wohin man auch lauscht. Eine individuellere Note bekommt das Material dort, wo der in Kalifornien Lebende die vorgegeben Blaupausen erweitert: In der schleppenden, trip-hoppigen Atmosphäre von „Don’t Follow Me“ etwa kann man die würzigen Rauchschwaden förmlich riechen, „Scroll Call“ ist purer Blaxploitation-Sound und „Where Is All The Money Going” (Kommentar zur Finanzkrise?) drückt zwischendurch mal stärker aufs Tempo. Zwischen altem Originalmaterial beim nächsten Soul-Weekender wird „Landing on a Hundred“ kaum auffallen.Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei dahingestellt.

Weniger einer eindeutigen Tradition verpflichtet sieht sich die Pop-Avantgardistin Gudrun Gut. Dem Aufruf von Gustav vor Jahren („Verlass die Stadt“) folgend, hat sich die Post Punk-Aktivistin (Din A Testbild, Einstürzende Neubauten, Malaria!, Mania D, Ocean Club, Monica Enterprise usw.) in die Wildnis ihres Landexils in der Uckermark nördlich von Berlin zurückgezogen, um ihr post-technoides Songwriting zu betreiben. „Wildlife“ (Monica), erst ihre zweite richtige Soloproduktion nach „I Put A Record On“ (2007), ist extrem reduziert, Hippie-Larifari wie Gitarren oder sonstiges akustisches Instrumentarium (bis auf ein Glockenspiel) oder gar Field-Recordings bleiben tabu. Der leidenschaftlichen Gärtnerin gelingt dabei das Kunststück mit maximal artifiziellen Mitteln ein Loblied auf die Natur mit viel Hall in englischer und deutscher Sprache und distanzierter Stimme mehr zu sprechen als zu singen. Klug geschichtet mäandern die teils geradezu industriellen Sounds hypnotisch und rau als Basis für die fragmentarischen Texte Guts dahin, der „Garten“ – auch das zentrale Stück von „Wildlife“ – wird als potenzieller kreativer Freiraum abseits von modischem Urban Gardening zelebriert. Als Musterbeispiel einer gelungenen Coverversion kann Tina Turners „Simply The Best“ herhalten: Der im Original fast unerträgliche Gassenhauer wird in Guts Adaption zur monoton gesprochenen Liebesballade, die ungeahnte Assoziationsmöglichkeiten freilegt. Und wenn sich an anderer Stelle Spiderweb auf Internet reimt, ist das beste Verdichtung der Dichotomie von Kunst und Natur. Außerdem dürfte sich dieser vom Minimal-Techno Urgestein Jörg Burger nachproduzierte, nur oberflächlich kalte Monolith auch gut dazu eignen, im Schrebergarten die Nachbarn zu ärgern.

Manchmal kann es schon auch nerven, das ununterbrochene „Der Tod muss ein Wiener sein“ samt Artverwandtem. Sollte er nicht eher ein Mexikaner sein? Anderseits kommen in Mexiko die Toten ja immer wieder auf Besuch und es fehlt vielleicht die tragische Endgültigkeit? Wie auch immer. Die beliebte Nihilismus-Gauklertruppe Neigungsgruppe Sex, Gewalt & Gute Laune will mit „Loss Mas Bleibn“ (Trikont/Lotus) ihr damit drei Alben umfassendes Opus zum Abschluss bringen und bündelt ohne Genierer noch einmal alle Kraft, Wut und Verzweiflung. Den FM4-Mitarbeitern Christian Fuchs, Robert Zikmund, David Pfister und Fritz Ostermayer gelingt es, dem schon ausgezeichneten „Wellen der Angst“ (2009) noch ein Quäntchen Abgründigkeit draufzusetzen. Adaptiert und ins Wienerische übertragen werden diesmal Neutral Milk Hotel, Nick Cave, Lana del Rey, Nirvana, Ludwig Hirsch und Velvet Underground. Sam Peckinpah wird im finalen Stück „Wüde Hund“ gar auf Spanisch gehuldigt. Die Stücke aus eigener Feder der Boygroup sind aber aufschlussreicher: Ostermayer saubartelt und sehnsüchtelt in „Eskimo Girls“ und dem schon als Single B-Seite erschienen „Bar zu den sieben Plagen“ in gewohnter Form, Pfister macht mit „Spiegelgrund“ und „Lenzibald“ Angst und Bange. Christian Fuchs hat den Leadgesang im vielleicht schönsten Stück, „Der Blitz“, übernommen: Mit Unterstützung von Oliver Welter (Naked Lunch) entwickelt sich hier ein wuchtiges Szenario schicksalhafter Begebenheiten (Messerstich/Entführung eines Kindes) in Gegenwart idyllischer Zweisamkeit. „Der Blitz“ klingt anfänglich unbeschwert wie ein Schlager und verdunkelt sich immer mehr, um im Refrain (der an Hans Orsolics One Hit-Wonder erinnert) „Und der Blitz schlogt ein / Und I hear ihn schrein / Und a Stimm sogt / Olles is vorbei“ zu kulminieren. Am Songende noch ein gespentischer, rückwärts laufender Gitarrenpart, Fatalismus at its best – ein großer Song. Als prominente Gäste mit dabei auf dieser Titanic der Popmusik sind Soap&Skin, Rainer Binder-Krieglstein, Dorit Chrysler und The Striggles. Ganz schön schaurig.

Nach der Liebe den Tod näher unter die Lupe genommen hat auch schon die Serie „Stimmen Bayerns“, als deren dritter Teil nun „Der Rausch“ (Trikont/Lotus) als weiterer Baustein dieser Klangenzyklopädie der bayerischen Befindlichkeit vorliegt. Diese akustische Perlenkette versammelt Gedichte, Kurzgeschichten, Essays, Songs, Sketche, Radiofeatures, Soundcollagen, Filmtonspuren und O-Töne. Dass der Bayer ein wenig eigen ist, ist ja nichts Neues. Angeblich bezieht er seine Kraft aus seinem Dickschädel und einer ausgeprägten Traditionsgläubigkeit. Auch sein Selbstvertrauen soll auf diesen Säulen ruhen, und zu diesem Selbstverständnis gehört einfach ein gepflegter Rausch (in den meisten Fällen durch das goldene Hopfengetränk herbeigeführt) hin und wieder dazu. Auf hintergründige, derbe oder auch damische Art wird in 26 Tonbeispielen diesem in den verschiedensten Ausformungen auftretenden mentalen Zustand Referenz erwiesen. Im von Maria Hafner gelesenen „Zaiserl“ von Maximilian Steinbeis und im Song „Weißes Pulver aus Kiukang“ von Isar 12 geht es um Kokain, und Hans Söllner lässt es sich nicht nehmen in „Mei Vodda“ das Ganja ein wenig zu preisen. Sonst geht’s immer mehr oder minder direkt ums Saufen. Die Beiträge kommen von Labrassbanda, Karl Valentin und Liesl Karlstadt, Kofelgschroa, Haindling und der Krinoline Blaskapelle feat. Cpt. Schneider, um hier nur die paar in unseren Breiten bekannteren zu nennen. Durch die kritische und humorvolle Herangehensweise der Herausgeber wird eine platte Drogenverherrlichung vermieden.

An einer solchen dürfte auch der dauerangeschlagene Superstar Robbie Williams kein Interesse haben, verbrachte er doch schon einige Zeit in einschlägigen Rehab-Zentren. Allerortens ist aktuell „Robbie ist zurück“ zu vernehmen und tatsächlich ist er mit dem Album „Take The Crown“ (Universal) zumindest in Österreich bereits an die Spitze der Albumcharts geklettert. Die erste Singleauskopplung „Candy“ steht auf Platz 5 mit Aufwärtstendenz. Dem Comeback klar förderlich dürfte für Robbie die Befreiung aus dem EMI-Knebelvertag gewesen sein, bei dem er sich 2002 für schlanke 80 Mio. Pfund verpflichtet hatte, vier Alben abzuliefern. Mit dem beliebten Best of/Greatest Hits-Trick verabschiedete sich der Neo-Papa bei EMI und checkte bei Universal ein.

„Take The Crown“ kommt jetzt schon mit dem Covermotiv – einer vergoldeten Williams-Büste – nicht eben bescheiden daher und macht klar, dass sich hier einer wieder den Thron des King of Pop zurückerobern möchte. Jede Menge erstklassige Unterstützung hat er sich dafür geholt, etwa soulige Streicherparts via Owen Pallett. Für „Different“ kam es sogar wieder zu einer Kooperation mit Ex-Take That-Spezi Gary Barlow. Der Legende nach sollen Robbie bei fast allen Songs zwei junge, bis dato unbekannte Australier beim Songwriting zur Hand gegangen sein. Doch was kann „Take The Crown“ wirklich? Im Gesamtsound ist eine schwere Eighties-Schlagseite zu konstatieren, schon die Refrains der ersten drei Stücke („Be A Boy“, „Gospel“ und „Candy“) schreien penetrant „Ich bin ein Hit!“, in „Different“ und „Into the Silence“ wird es persönlicher und damit auch erträglicher. Nach 100 Prozent Discostadel oder Tenne klingt „All I Want“, die lokalen DJs werden schon ihre Fühler ausgestreckt haben. Jetzt gibt es im Mainstream-Pop jede Menge unsympathischere Figuren als den mit Entertainer-Qualitäten gesegneten Robbie Williams, musikalische Relevanz abseits der für die Musikwirtschaft existenziellen Verkaufszahlen bringt ihm das aber noch lange nicht.

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