Der Bandname von Allo Darlin’ ist angeblich von den schnippischen Zurufen der Händler in Soho an Frontfrau und Gründerin Elizabeth Morris inspiriert. Nachdem „The Darlings“ ein Soloprojekt von Morris war, besteht die Band seit 2009 als Quartett in London, das mit „Europe“ (Fortuna Pop/Hoanzl) jetzt das zweite, bezaubernde Album rausschleudert. Schon „Allo Darlin’“ von 2010 war ein veritabler Erfolg, doch mit „Europe“ bewegt sich die Band etwas weg von der Lo-Fi-Ästhetik und vom Twee-Pop hin zu einer knackigeren Produktion, die zumindest für eine Saison zur heimlichen Lieblingsplatte werden kann. Mit doch eher naiven, aber auch nicht peinlichen Texten singt sich Morris durch zehn einnehmende Indie-Pop-Petitessen mit Sixties-Einschlag, begleitet von einem Trio das keinen Ton zu viel spielt. Fast schon zu penibel wirken die Stücke konzeptioniert, für Überraschungen ist da kaum Platz und trotzdem kriegt „Europe“ mehr als nur die Kurve. Großen Anteil daran haben die fantastischen Melodien und nicht zuletzt die leiwande Stimme der gebürtigen Australierin Morris. Das Quartett verpasst dabei jedem Stück gerade noch genug Individualität, damit man nicht den Eindruck eines Einheitsbreis bekommt. „Tallulah“ (den Go-Betweens zugedacht), und von Morris nur mit Ukulele begleitet, ist aber klar zu lange geraten und der eine oder andere Bruch hätte sich auch gut gemacht. Wer bei Allo Darlin’ an Belle & Sebastian, Drugstore oder die Gitarren von Felt denkt, liegt nicht falsch. Die Welt hat auf diese Platte sicher nicht gewartet, trotzdem ist es schön, dass es sie gibt. Irgendetwas muss Allo Darlin‘ also richtig gemacht haben. Vielleicht ist es auch die an der Grenze zum Abheben angesiedelte Leichtigkeit, mit der „Europe“ perfekt zu diesem sehr heißen Sommer gepasst hat und potenziell auch die kommenden wieder schwebend begleiten wird.
Ein zu viel an Leichtigkeit ist die Sache von Gallon Drunk sicher nicht. Die dem Album den Titel gebende, finsterer werdende Straße ist eine passende Metapher für das, was James Johnston, Ian White und Terry Edwards plus eine Studiokraft da in schlanken 36 Minuten vorlegen. Nach diversen Nebenprojekten von Faust-Mitstreiter und Ex-Bad Seed Johnston und Killertröte Edwards in den letzten Jahren sowie dem Tod ihres Bassisten Simon Wring 2011 war es um die Band ruhig geworden. GD bestehen seit mittlerweile 25 Jahren, also genau halb so lang wie die Rolling Stones – dabei sind sie mindestens doppelt so gut. Schon der Türöffner „You Made Me“ demonstriert, dass hier keine Gefangenen gemacht werden, und dass Leiden, Frust, Wut und Renitenz im besten Fall zusammen auftreten. Ein eindringliches Statement, dessen Subtext „Wir leben noch!“ in die Welt hinaus brüllt. Die frühen Beasts Of Bourbon und der Gun Club in seinen dringlicheren Phasen oder auch der alte Beefheart bieten sich als Referenzen an. Und doch ist „The Road Gets Darker From Here“ (Clouds Hill/Rough Trade) vielschichtiger und abwechslungsreicher als man es erhoffen durfte: „Stuck In My Head“ etwa ist ein spannenderes Lanegan/Campbell-Duett von Johnson und Marion Andrau (von Underground Railroad) in Hazlewood/Sinatra-Tradition, „The Big Breakdown“ hätte auch in den Sümpfen von New Orleans entstehen können, und das hypnotische, abschließende „The Perfect Dancer“ sollte man vielleicht doch besser nur in Gesellschaft hören. Das Engagement von Johann Scheerer als Produzent erweist sich als gelungenes Experiment, gerade weil die Musik total nicht-produziert klingt. Eher schon nach dem Klischee vom muffigen Probekeller mit überfüllten Aschenbechern, massenhaft leergesoffenen Flaschen und Wasser an der Decke. Wirklich neu und originär ist hier natürlich wenig bis nichts, doch die Fans von gut abgehangenem, gallonentrunkenem, jazzig-noisigem Gossen-Blues werden bestens versorgt.
Franz Reisecker (Lichtenberg, Trio Exklusiv) und Wolfgang Schlögl (Slow Club, Sofa Surfers, I-Wolf) haben sich zum Projekt Paradies der Tiere (Wohnzimmer/Hoanzl) zusammengetan und liefern mit dem gleichnamigen Album eine aufregende Arbeit ab. Es kann in diesem Fall tatsächlich noch von einem Album wie zu Prä-Digitalisierungszeiten gesprochen werden, die Platte erscheint nämlich nur als Vinyl mit Klappcover plus Downloadcode. Die wiederentdeckte Lust am Spielen von Instrumenten war der Ausgangspunkt, Schögl an Klavier/Keyboards und Reisecker an Gitarre und Stimme. Elf melancholische, rhythmusbetonte, stark reduzierte und zart elektronifizierte Stücke sind so entstanden, die nicht gerade als Stimmungsaufheller funktionieren. Brauchen sie auch nicht, angesichts der Lage in der Welt 2012, und sowieso ist dafür der Schlager zuständig. Eher schon wird Tom-Waits-artige, kaputte Gossen-Atmosphäre geschaffen, allerdings wird Schriftdeutsch gesprochen bzw. gesungen. Zitathafte Texte, entstanden in Collage/Textsampling-Technik, enthalten unter anderem Fetzen von Abba, Ödön von Horvath oder Udo Jürgens und bleiben dabei kaum fassbar. Die schlechte Laune wird aber auch punktuell ausgesetzt („Sonnenstrand“). In „Zirkus“ hört man sogar die glockenhelle Kinderstimme eines Sprösslings. Auf instrumentaler Ebene wird auch jede Menge zitiert und montiert, ja sogar der Wiener Beschwerdechor kommt zu Wort. Zudem spielt Reisecker eindrucksvoll Gitarre. Und doch ist davon auszugehen, dass diesem außergewöhnlichen, verstörenden Werk die gebührende mediale Aufmerksamkeit nicht zu teil werden wird.
Sicher bekommen wird diese Aufmerksamkeit das neue Werk von David Byrne, wenn es sich dabei auch um eine Kooperation mit St. Vincent alias Annie Clark handelt. Byrne lernte die Multiinstrumentalistin und Sängerin bei Proben für ein Konzert zugunsten der Aidshilfe kennen und das Ergebnis dieser Bekanntschaft ist mit „Love This Giant“ (4AD/Beggars) wuchtig, um nicht zu sagen gigantisch ausgefallen und taugt bestens als Kontrastprogramm zu Paradies der Tiere. Mit in jedem Moment hörbarer Freude haben der exzentrische Schotte Byrne und die Gitarrenvirtuosin Clark (äußerst ungewöhnlich) ihre Kompositionen an den Brass-Sektionen ausgerichtet. Mit dieser Produktion beweisen sie, dass auch ein Hybrid aus Blasmusik und Wave/Elektropop hervorragenden POP gebären kann, der genauso im Ethno/Worldmusic-Genre heimisch ist. St. Vincent präsentiert sich als ebenbürtige Partnerin im Fight der Künstleregos, sowohl instrumental als auch mit ihrer Altstimme. Dass die Stücke nicht organisch eingespielt, sondern wie ein Puzzle zusammengesetzt wurden, macht sich nie negativ bemerkbar. Warum auch? Machen heute eh fast alle so. Um die doch wesentlich unbekanntere, dreißigjährige Singer/Songwriterin aus Oklahoma kennenzulernen sei das getragene „Optimist“ nahegelegt, eine Ballade, die sich binnen kürzester Zeit ins Gedächtnis knabbert. Der Rest der Platte ist zackig bis Midtempo, die Arrangements und das Songwriting sind komplex. Um diesem musikalischen Mittelbetrieb (in den Credits sind weit mehr als ein Dutzend verschiedenster Tröten angeführt) zu künstlerischen Höhenflügen zu verhelfen sind in „The One Who Broke Your Heart“ The Dap-Kings und die Afrobeat-Band Antibalas dabei. Bei so einem Fest der Generationen gerät der Musikschreiber an die Grenzen der sinnvollen Vermittlung – das müssen Sie hören. Phänomenal!