Nach seinem Ausstieg bei The Coral arbeitete Bill Ryder-Jones eher im Stillen an seiner Solokarriere. Mit einem durchaus kantigen Album im Gepäck wird der Brite am 19. Mai das Vorprogramm für Mumford & Sons in der Wiener Stadthalle bestreiten.
Warum Bill Ryder-Jones The Coral 2007 verlassen hat, ist bis heute nicht ganz klar. Es kann als Zeichen gelesen werden, dass er für das Coral-Album Roots & Echoes (2007) nur mehr den orchestralen Part beigesteuert hat. Auch ohne große Hits war The Coral zu diesem Zeitpunkt eine erfolgreiche Band, die mit ihrem psychedelischen Folkpop auch bei den Kritikern sehr gut abschnitt. Bekannt ist, dass Ryder-Jones an einer dissoziativen Störung leidet, welche die Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinträchtigt. Dazu kommen noch Depressionen, die – wenn derweil auch fast eine Volkskrankheit – den geordneten Lebensvollzug auch nicht gerade erleichtern. Hier hat also ein erfolgreicher, relativ junger Mann mit den eigenen Dämonen zu kämpfen. Dazu passen auch seine Aussagen in der Öffentlichkeit, die von großer Zurückhaltung und der aus der Mode gekommenen Tugend der Bescheidenheit zeugen. Trotzdem ist Ryder-Jones produktiv. Er veröffentlicht auf Myspace neues Material, bis er 2011 mit If… einen imaginären Soundtrack zu Italo Calvinos Klassiker „Wenn ein Reisender in einer Winternacht …“ herausbringt. Nach einem spartanischen Songwriter-Album bringt der Verehrer von Nick Drake und Leonard Cohen wieder eine Soundtrack-Arbeit auf den Markt (Piggy, 2013). West Kirby County Primary, Ende 2015 veröffentlicht, zeigt den Gitarristen und Trompeter wieder als Songwriter, diesmal allerdings lässt er das für den Rock prototypische Instrument mit den sechs Saiten wieder ordentlich krachen. West Kirby ist übrigens der Name der englischen Kleinstadt, in der Bill mit seiner Mutter immer noch lebt. Aufgenommen wurde in seinem ehemaligen Kinderzimmer, das sich in ein Tonstudio verwandelt hat. West Kirby County Primary (WKCP) versammelt zehn Stücke, die Ryder-Jones als ausgefeilten Songschreiber bestätigen, wobei sich mögliche Rolemodels wie Pave-ment, oder in den ruhigeren Songs, Bill Callahan alias Smog empfehlen. Ein Höhepunkt ist die erste Single-Auskoppelung „Sattelites“, das von Beginn an mit forschen Gitarren zur Sache geht. Gemeinsam ist den meisten Songs der Wechsel zwischen leiseren, von Ryder-Jones’ angenehm angekratzer Stimme gesungenen Teilen zu wuchtigeren Gitarrenparts in klassischer Trio-Besetzung. Sehr gelungen ist auch das zarte „Daniel“, das die Geschichte von einem verstorbenen Jungen erzählt, den der Ozean verschluckt hat. „Seabirds“ am Ende lässt das Album stimmungsvoll-versöhnlich ausklingen. Man kann WKCP anhören, dass hier einer nicht aus purer Freude singt, sondern sich dazu durchringen muss, was der Platte Charakter verleiht.
Bill Ryder-Jones: West Kirby County Primary (WKCP), Domino Records
Live: 18. Mai 2015 – Posthof Linz; 19. Mai 2016 – Stadthalle Wien