Er könne sie ruhig „Signora Gucci“ nennen, sagt Patrizia Reggiani mit großen, von Lidstrich düster ummalten Augen und pechschwarzen Haaren, bevor der Richter dazu übergeht, sein vernichtendes Urteil zu verkünden: neunundzwanzig Jahre Haftstrafe und keinen Tag weniger. So lange sollte die Witwe dafür büßen, den Mord an ihrem Ex-Mann Maurizio in Auftrag gegeben zu haben. So lange hinter Gittern sitzen, bis es ihr leidtun würde. Aber das tat es wohl nie. Laut Anklage war es ein „eiskalt geplantes Verbrechen“. Reggiani habe es nicht ertragen, nach dem Bruch mit dem Erben des großen italienischen Modehauses ihren gesellschaftlichen Status verloren zu haben. „Geldgier, Neid und Hass“ hätten sie zu der Tat getrieben. Reggiani selbst beteuerte stets ihre Unschuld und tut es bis heute. Vor Gericht sprach sie von einer Verschwörung. Nur den Medien gegenüber drückte sie es anders aus: „Ich kann nicht so gut sehen“, scherzte sie einmal in einem Fernsehinterview, nachdem man sie 2016 nach nur achtzehn Jahren frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen hatte, „ich wollte das Ziel nicht verfehlen.“
„Signora Gucci“ also. Und recht hat sie, darauf zu bestehen. Aber nicht die echte Patrizia Reggiani ist hier gemeint, sondern die Frau, die sie in Ridley Scotts Verfilmung des prominenten Mordfalls auf der Leinwand überlebensgroß verkörpert: Lady Gaga ist Patrizia Reggiani ist „Lady Gucci“, mit jedem Wimpernaufschlag, dem üppigen Goldschmuck, den Pelzmänteln und Cocktailkleidern, kurz mit allem Drum und Dran. Sie allein macht den Film tatsächlich zu dem Ereignis, das er dank einer erfolgreichen Werbestrategie in den letzten Monaten zweifelsohne geworden ist. Und es ist Gaga, die das hochstilisierte Familiendrama regelmäßig vor dem allzu steilen Absturz ins Triviale bewahrt. Immer wenn sie auf der Leinwand erscheint, erfüllt sie das Bild mit einer Aura und Eleganz, die an einige der Grande Dames des Kinos erinnert: Elizabeth Taylor, Claudia Cardinale und Gina Lollobrigida kommen einem in den Sinn. Doch greift jeder Vergleich automatisch zu kurz, wenn es sich bei der Frau im Bild um die derzeit größte Pop-Ikone auf Erden handelt, die hier einmal mehr jede Menge Stil und zugleich ein beachtliches Schauspieltalent beweist.
Lady Gaga ist nicht nur als Musikerin oder Star in der Öffentlichkeit ein Phänomen für sich. Gleich mit ihrer ersten großen Filmrolle in Bradley Coopers Regiedebüt A Star is Born (2018) eroberte sie die Herzen von Kritik und Publikum. Das Ergebnis war für die heute 35-jährige New Yorkerin Fluch und Segen zugleich: Ein Segen, weil der Film nicht nur an den Kinokassen ein Erfolg war, sondern auch bei den Oscars einschlug. Aber auch ein Fluch, weil sie in A Star is Born im Grunde sich selbst spielte: Eine Sängerin, die sich Kraft ihrer Stimme in kürzester Zeit von schmuddeligen Drag Bars auf die größten internationalen Konzertbühnen katapultierte. Man muss nur versuchen, sich an den Namen ihrer Figur im Film zu erinnern, um zu begreifen, wie sehr ihre eigene Persönlichkeit auf der Leinwand mit ihrer Rolle verschmolzen war.
Danach konnte es für sie eigentlich nur zwei Möglichkeiten geben: Entweder würde sie die Filmkarriere sofort wieder an den Nagel hängen mit der Gewissheit, alles gegeben und eine ganz neue Fangemeinde gewonnen zu haben. Oder aber sie würde sich eine Rolle suchen, die nicht so nah an ihrem eigenen Ich angelegt ist, aber trotzdem genügend Potential hätte, um insgesamt ähnlich viel Aufsehen zu erregen wie A Star is Born. Dass die erste Option für sie nicht wirklich in Frage kam, machte sie bereits 2016 in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ deutlich, als die Frage aufkam, ob sie nur deshalb eine Karriere als größter Popstar des Erdballs absolviert habe, um dann Filmstar zu werden: „Die Wahrheit ist, dass ich immer davon geträumt habe, Schauspielerin zu sein“, erklärte sie ehrlich und sehnsuchtsvoll. „Ich hatte immer das Bedürfnis, auf der Bühne zu stehen und eine Unterhalterin zu sein. Die Musik hat sich dann einfach als Erstes ergeben. Ich denke, Musik und Film sind einfach Stationen derselben Reise, ich komme nur zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten an.“
Angekommen ist sie nun vorerst bei Ridley Scott, der ihr genau die Rolle verschafft, die sie brauchte und die ihr so gut wie keiner anderen steht. Das zeigt sich bereits in den ersten fünf Minuten von House of Gucci, in denen ihre Patrizia den perplexen Maurizio (Adam Driver) Anfang der 1970er Jahre auf einer Kostümparty mit ihrem forschen Charme für sich erobert. Beide sind kaum Mitte zwanzig, als sie sich wenig später gegen den Willen von Maurizios Vater Rodolfo (Jeremy Irons) das Jawort geben. Die Ehe sollte schließlich dreizehn Jahre halten, von 1972 bis 1985, und brachte zwei Töchter hervor. In Ridley Scotts Film ist nur von einem Kind die Rede, aber ansonsten hält sich das Drehbuch von Becky Johnston und Roberto Bentivegna zumindest an die groben Fakten dieser überaus faszinierenden Geschichte: Auch Patrizia stammt aus guten Hause, obwohl ihre Familie nicht zur High Society von Mailand gehört. Ihr Vater führt ein gut laufendes LKW-Unternehmen, für das sie als Sekretärin arbeitet. Aber die hübsche, junge Dame hat mehr für sich im Sinn. Nach der Heirat ist sie zunächst diejenige, die interfamiliär die Fäden zieht, sich heute mit Maurizios Onkel Aldo (Al Pacino) verbündet und morgen mit dessen Sohn Paolo (Jared Leto), der schon lange von seiner eigenen Kollektion träumt, aber selbst von seinem eigenen Vater immer wieder offen als „talentloser Idiot“ bezeichnet wird. Nach Rodolfos Tod 1983, mit dem Maurizio fünfzig Prozent der Firma in den Schoss fallen, entbrennt ein Kampf um die Vorherrschaft bei Gucci, aus dem sich auch Patricia als Angeheiratete nicht so leicht herausdrängen lassen will.
Gemeinsam mit ihrem Gatten erobert sie das Unternehmen für sich. Die Aura des Labels ist inzwischen jedoch ordentlich verblasst, das Luxus-Image durch die Massenproduktion von Billigimitaten angekratzt. Zudem leuchten längst neue, spannende Namen wie Giorgio Armani und Gianni Versace am Modehimmel. Doch genau in dem Moment, als Patrizia wohlweislich Maurizios Zukunft als dem alleinigen Herrscher über das Gucci-Imperium plant, lässt er sie wegen einer anderen links liegen und reicht die Scheidung ein …
Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 63
HOUSE OF GUCCI
Drama, Krimi, Biografie – USA 2021
Regie: Ridley Scott, Drehbuch: Becky Johnston, Roberto Bentivegna, basierend auf „The House of Gucci: A Sensational Story of Murder, Madness, Glamour, and Greed“ von Sara Gay Forden, Kamera: Dariusz Wolski, Schnitt: Claire Simpson, Musik: Harry Gregson-Williams, Kostüm: Janty Yates
Mit: Lady Gaga, Adam Driver, Jeremy Irons, Al Pacino, Jared Leto, Salma Hayek, Alexia Murray, Florence Andrews
Verleih: Universal Pictures, 157 Minuten
Kinostart: 17. Dezember 2022