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Blutiger Regenbogen

Text: Alexandra Seitz | Fotos: Filmladen

In den Townships von Kapstadt ist eine neue Droge im Umlauf. Überdosiert macht sie den Menschen zu einem Raubtier, das blindwütig andere reißt. Schwarze Straßenkinder verschwinden spurlos und niemand kümmert sich darum. Eine junge weiße Frau, die totgeschlagen im Botanischen Garten gefunden wird, erregt da schon mehr Aufmerksamkeit. So sind eben die Verhältnisse im Südafrika der Postapartheid, wesentlich geändert und doch in gewisser Weise gleich geblieben.

Mit den Ermittlungen im Fall der Getöteten wird Ali Sokhela betraut, Chef der Mordkommission von Kapstadt, ein Zulu, der nach außen ruhig und besonnen wirkt. Bis man merkt, dass diese Ruhe ein von einer traumatischen Gewalterfahrung herrührender Panzer ist, erlitten während der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Inkatha und ANC, die in den 1980er Jahren Tausende das Leben kosteten. Sein Kollege geht mit seiner Vergangenheit da schon offensiver um. Brian Epkeen entstammt einer Buren-Familie traditionell überzeugter Apartheid-Verfechter und kann sich das nicht vergeben. Obwohl er für die Sünden seiner Vorväter ja auch nichts kann. Dann ist da noch Dan Fletcher, der Dritte im Polizisten-Bunde. Ihn scheint die Geschichte seines Heimatlandes unbeschädigt gelassen zu haben. Der Schrecken, mit dem er kämpft, ist die Krebskrankheit seiner Frau.

Kein Film, der in Südafrika spielt, kommt darum herum, sich mit der sozialen und politischen Situation vor Ort ebenso auseinanderzusetzen wie mit den historischen Wurzeln seiner Gegenwart. Auch ein Genrefilm nicht. Freilich bietet sich Südafrika aufgrund seiner hohen Kriminalitätsrate und den schroffen Gegensätzen, die seine Gesellschaft prägen, als Authentizität suggerierender Schauplatz eines Thrillers geradezu an. Die mannigfaltigen Konflikte und zahlreichen Problemfelder, die dort den Alltag bestimmen, als bloß pittoreske, die Handlung grundierende Illustration einzusetzen, wäre jedoch sträflich. Zulu, mit dem der französische Drehbuchautor und Regisseur Jérôme Salle (Largo Winch, 2008) den gleichnamigen, 2008 erschienenen Krimi des französischen Reiseführer-, Roman- und Drehbuchautors Caryl Ferey mit einem US-Amerikaner (Forest Whitaker), einem Briten (Orlando Bloom) und einem Südafrikaner (Conrad Kemp) in den Hauptrollen verfilmt, ist in dieser Hinsicht ambitioniert. Das, was in der Vergangenheit geschehen ist, grundiert nicht, sondern motiviert, was in der Gegenwart geschieht.

Man hat Zeit, das ganz gemächlich herauszufinden. Die Informationen, die mit Fortschreiten der Handlung über die Figuren gegeben werden und die Erkenntnisse, die diese aus ihren Ermittlungen gewinnen, ergeben ein Bild, das einen weiter als bis zur Lösung eines Mordfalls denken lässt. Zur Debatte steht tatsächlich nicht weniger als die von Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu 1994 nach den ersten freien Wahlen ausgerufene „Rainbow Nation“, die friedliche Koexistenz der verschiedenen Ethnien Südafrikas. Sowie die Frage, ob es richtig war, die Aufarbeitung der blutigen, rassistischen Vergangenheit des Apartheid-Staates der unter Tutus Vorsitz von 1996 bis 1998 arbeitenden „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ anzuvertrauen, deren gewählte Mittel Aufklärung und Anhörung, nicht aber Anklage und Verurteilung waren. Mithin also die Frage, ob Vergeltung oder Vergebung der Weg ist, auf dem Wunden geheilt werden können. Zumindest für sich selbst hat Regisseur Salle eine Antwort auf diese Frage gefunden, wenn er sagt: „Was ich in erster Linie in Zulu entwickeln wollte, war das Motiv Vergebung. In den USA bildet das Thema Rache ja fast eine eigenständige Filmkategorie. Ich habe ein Problem damit, dieses Verlangen zu glorifizieren. Mir gefiel die Idee, einen Thriller zu drehen, der sich diesem Subgenre und dessen Philosophie entgegenstellt.“

Nun hat ein Thriller immer noch gewisse Erwartungen zu erfüllen, und dass in ihm Peaceniks agieren, die sich gegenseitig mit Gänseblümchen bekränzen und „We Shall Overcome“ singen, zählt nicht zu diesen. Doch Salle gelingt es, verkörpert in Ali Sokhela und Brian Epkeen – Dan Fletcher wird recht bald aus dem Bild genommen –, die beiden Positionen Vergebung und Vergeltung sichtbar zu machen, ohne die Figuren in ihrer jeweiligen Polizisten-Professionalität zu beschädigen. Sie mögen konträre Meinungen vertreten, aber sie sind – auch das wird recht bald klar – aufeinander angewiesen, wollen sie in ihrem Fall weiterkommen. In dem Zusammenhang geht es nicht nur um eine simplifizierende Charakterisierung wie die, dass der eine erstmal draufhaut, während der andere zunächst nachdenkt. Vielmehr vollzieht sich im Fortgang der Geschichte in beiden Figuren eine Veränderung, die mit dem Begriff „Annäherung“ nur unzureichend beschrieben ist. Sie umkreist sehr lange die Begriffe „Opfer“ und „Täter“ und lässt diese schließlich, mit tragischen Folgen und tieftrauriger Erkenntnis, in eins fallen.

Es ist in erster Linie Forest Whitaker und Orlando Bloom in den Rollen von Sokhela und Epkeen zu verdanken, dass diese Rechnung aufgeht. Im Fall von Whitaker mag das weniger überraschen, strahlt der 1961 in Longview, Texas, geborene Mime doch eine natürliche Autorität aus, eine Gravitas, die ihn prädestiniert für Figuren wie Sokhela, die ihre Verwundungen mit Würde tragen und denen Gewalt nicht das erste Mittel ist. Whitaker gibt dem Mann einen leicht schräg vorgeneigten Gang, so als müsse er sich beständig gegen etwas stemmen. Er lässt ihn in etwas zu weiten Anzügen groß und fast schlank-schlaksig erscheinen und verlässt sich ansonsten und völlig zu Recht auf den durch nichts mehr zu erschütternden Blick, den er unter seinen schweren Augenlidern auf eine aus den Fugen gehende Welt wirft. Dass nun aber ausgerechnet Orlando Bloom den schwer absturzgefährdeten Epkeen, einen tätowierten, saufenden, promisken Rabauken, der Frau und Sohn an einen (natürlich) stinkreichen Zahnarzt verloren hat, glaubwürdig verkörpern würde, das war schon unwahrscheinlicher. Fällt einem doch zu dem 1977 in Canterbury geborenen dauerjugendlich Wirkenden hartnäckig der schnuckelige Legolas mit den spitzen Ohren aus der The Lord the Rings-Trilogie ein oder der nicht minder schnuckelige William Turner mit den spitzen Degen aus dem Pirates of the Caribbean-Franchise. Umso erfreulicher für Film wie Schauspieler, dass es Bloom in der Rolle Epkeens gelingt, seinem Mädchenschwarm-Image eine deutliche Absage zu erteilen. Die Tätowierungen helfen, logisch, die mächtigen Muckis auch, die permanent schlechte Laune und das unrasierte Pulverfass-Gesicht erst recht.

Wenn gegen Ende des Films alles auf eine rassistisch motivierte Verschwörung des Großkapitals hinzudeuten scheint und einen der Gedanke beschleicht, die Paranoia sei mit Roman-, wie Drehbuchautor durchgegangen und ins Reich des Unglaubwürdigen geritten, hilft es, sich an das „Project Coast“ zu erinnern. Begonnen 1981 (und eingestellt 1993) diente dieses Regierungsprojekt unter der Leitung von Wouter Basson, Kardiologe und Leibarzt Pieter Willem Bothas, der Entwicklung biologischer und chemischer Kampfstoffe. Unstrittig ist, dass die Erprobung dieser Kampfstoffe zahlreiche Opfer unter Oppositionellen forderte. Wie viele genau ist unbekannt. Die Machenschaften des Projektes wurden von der Wahrheits- und Versöhnungskommission untersucht; Basson wurde wegen vielfachen Mordes vor Gericht gestellt und, da er als Soldat auf Befehl gehandelt habe, freigesprochen. Es sind historische Fakten wie diese, mit denen Südafrika lebt. Sie stehen für eine Tradition der Gewalt, mit der Südafrika kämpft. Und keiner weiß, ob die Rainbow Nation den Sieg über Schwarz-Weiß davon tragen kann.

Zulu drückt sich weder vor dem einen noch vor dem anderen. Nicht vor der Gewalt und nicht vor den Fakten. Dass er dabei Gefahr läuft, zwischen den Stühlen zu landen, liegt in der Natur der Sache. Als Genrefilm mag er zu viel Politik und Geschichte verhandeln, als Gegenwart reflektierendes Drama mag er zu formelhaft aufgebaut sein. Zudem ist er brutal, blutig, grausam und gnadenlos. Es ist wieder einmal alles andere als einfach, also eigentlich genau richtig: der Wirklichkeit respektvoll begegnend.

 

ZULU

Thriller/Drama, Südafrika/Frankreich 2013

Regie Jérôme Salle Drehbuch Julien Rappeneau, Jérôme Salle (nach dem Roman von Caryl Ferey)

Kamera Denis Rouden Schnitt Stan Collet Musik Alexandre Desplat Production Design Laurent Ott

Mit Forest Whitaker, Orlando Bloom, Conrad Kemp, Iman Isaacs, Regart van den Bergh, Patrick Lyster, Tinarie Van Wyk Loots

Verleih Filmladen, 110 Minuten

Kinostart 9. Mai

www.zulu-film.de

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