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BLUTIGES ÖL

Mit „Killers of the Flower Moon“ rekonstruiert Martin Scorsese eine Serie von Verbrechen, die die Vereinigten Staaten erschütterten.

Ein wenig verloren wirkt Ernest Burkart (Leonardo DiCaprio), als er aus dem Zug steigt und einen ersten Blick auf Fairfax erhascht. Und man kann erahnen, dass die kleine, im Bundesstaat Oklahoma gelegene Stadt dem Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, der bei seiner Ankunft immer noch seine Uniform trägt, reichlich ungewohnt erscheint. Das Szenario mit dem einfahrenden, von einer riesigen Dampflok gezogenen Zug, dem am Bahnsteig stehenden Ernest Burkart und der Kameratotalen, die dieses Bild einfängt, erinnert an die Sequenz aus Sergio Leones C’era una volta il West (Spiel mir das Lied vom Tod), in der die von Claudia Cardinale gespielte Jill McBain jenen Ort im Westen der Vereinigten Staaten erreicht, an dem sie ein neues Leben anfangen will. Doch sie muss bald feststellen, dass dieser Neubeginn ganz anders als gedacht ist, wurden doch der Mann, den sie erst vor wenigen Wochen geheiratet hatte, und seine Kinder Opfer einer brutalen, aus Habsucht erfolgten Mordtat. Auch Burkart wird erfahren, dass das Leben in Fairfax durch eine von Gewalt, Gesetzlosigkeit und vor allem Gier durchdrungene Atmosphäre geprägt ist, die man vielleicht am Schauplatz von C’era una volta il West, im „Wilden Westen“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts vermutet hätte, aber eher nicht im Oklahoma der 1920er Jahre, Ort und Zeit des Geschehens von Killers of the Flower Moon.

Martin Scorsese hat sich für seine neue Regiearbeit einer Geschichte angenommen, die auf wahren Begebenheiten basiert und von David Grann in seinem 2017 erschienen Buch „Killers of the Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI“ akribisch aufgearbeitet wurde (und damit die Grundlage für das von Eric Roth und Scorsese verfasste Skript bildet). Im Zentrum steht eine über Jahre hinweg reichende Reihe von Todesfällen – die Zahl soll bei rund 60 liegen – unter Native Americans der Osage Nation, deren Umstände, vorsichtig formuliert, aufklärungsbedürftig erschienen. Ausgangspunkt waren reichliche Erdölfunde auf dem Gebiet von Osage County, wofür die Angehörigen der Osage Nation Lizenzgebühren von staatlicher Seite erhielten. Allein im Jahr 1923 nahm der Stamm, wie David Grann schreibt, 30 Millionen Dollar ein (was gegenwärtig in etwa 400 Millionen entsprechen würde). Doch dieser Reichtum zog neben Glücksrittern aller Couleurs Neider, vor allem aus der weißen Bevölkerung, nach sich. Per Gesetz wurde den Osage ein Vormund zugeteilt, bis sie unter Beweis gestellt hatten, dass sie ihre finanziellen Angelegenheiten verantwortungsvoll zu handhaben im Stand waren. Die jeweiligen mit der Vormundschaft Betrauten – vornehmlich weiße Anwälte und vermeintlich honorige Persönlichkeiten – wussten bald dies zu ihrem Vorteil auszunutzen. Da jedoch auch Nicht-Angehörige der Osage Nation das Erbe von Lizenzhaltern antreten konnten, begann die Sache zu einer mörderischen Angelegenheit zu werden.

Man kann diese Fakten des True-Crime-Plots vorwegnehmen, denn Martin Scorseses Inszenierung sorg von Beginn an für klare Fronten. Mittels Off-Erzählstimme wird zu Beginn ebenso auf die bereits angesprochene Reihe von Todesfällen unter den Osage verwiesen, wie auf das sich über Jahre hinweg ziehende demonstrative Desinteresse der lokalen Behörden, bezüglich der Todesursachen genauer hinzusehen. Das erscheint umso frappierender, als Bilder der Leichenfunde eigentlich jedem klar machen müssten, dass offizielle Befunde wie Selbstmord – oder gleich gar keine Ermittlungen anzustellen – der Sachlage nicht gerecht werden. Scorsese zeichnet in epischer Breite ein detailgenaues Bild – auch sorgsam ausgewähltes Archivmaterial vertieft die Eindrücke – jener Region, vor deren Hintergrund sich eine Reihe geradezu monströser Verbrechen ereignen.

Der Neuankömmling Ernest Burkart wird zunächst von seinem Onkel William Hale, einem reichen Viehzüchter, mit den Gegebenheiten vertraut gemacht. Robert De Niro läuft in der Darstellung des Rinderbarons Hale – eine typische Figur aus dem klassischen Western – zur Höchstform auf. Hales offensive Verbindlichkeit lässt erahnen, dass sich hinter dem höchst respektablen Geschäftsmann ein sinistrer Charakter verbirgt. Das wird deutlich, als Burkart Mollie Brown (Lily Gladstone), eine wohlhabende Osage, kennen und schätzen lernt.
William Hale ermuntert ihn, die Beziehung rasch zu vertiefen und Molly zu heiraten. Doch der umtriebige Rancher hat nicht das private Glück seines Neffen im Sinn, sondern das Vermögen Mollys, das im Fall ihres Todes Ernest Burkart erben würde. Ein Plan, der in Fairfax, Oklahoma jener Tage unheilvolles System hatte, zählten Osage-Frauen, die in relativ jungen Jahren verstarben und von ihren (weißen)Ehemännern beerbt wurden, zu den Todesfällen, die lange Zeit nicht genauer untersucht wurden.

Martin Scorsese, der mit Mean Streets und Taxi Driver Schlüsselwerke New Hollywoods in Szene gesetzt und sich mit Filmen wie Raging Bull, Goodfellas, Casino, Shutter Island oder The Wolf of Wall Street – um nur einige zu nennen – als feste Größe des Weltkinos etabliert hat, widmet sich in Killers of the Flower Moon einem der finsteren Kapitel in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Hatte Scorsese sich etwa in Goodfellas und Casino eines fulminanten Erzählduktus bedient, der als stilistischer Paradigmenwechsel eine Abkehr von der „unsichtbaren“ Narration des klassischen Hollywoodkinos darstellt, so setzt er in seiner neuen Regiearbeit auf eine auktoriale Erzählweise traditionellen Zuschnitts. Geschuldet mag dieser bedächtige narrative Modus einer Dramaturgie sein, die die Konzentration ganz auf jene Verbrechen richten wollte, die ein weiteres Kapitel des schändlichen Umgangs mit Native Americans darstellen, noch dazu eines, das im 20. Jahrhundert stattfand, als man die Zeiten des „Wilden Westens“ längst hinter sich vermutet hätte. Mittels dieser geradezu geruhsamen anmutende Erzählweise zeichnet Scorsese ein präzises Period Piece, das besonders Wert auf die akkurate Darstellung der Osage-Kultur legt und entlang historischer Fakten – so basieren zahlreiche Charaktere auf realen Personen – eine Verbrechensserie sichtbar macht, deren Ruchlosigkeit schließlich eine Bundesbehörde, das Bureau of Investigation, Vorläufer des FBI, auf den Plan rief.

 

KILLERS OF THE FLOWER MOON
Drama/True Crime, USA 2023 – Regie Martin Scorsese
Drehbuch Eric Roth, Martin Scorsese Kamera Rodrigo Prieto Schnitt Thelma Schoonmaker Musik Robbie Robertson
Mit Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, John Lithgow, Brendan Fraser
Verleih Constantin Film/Paramount Pictures, 206 Minuten
Kinostart 19. Oktober

 

| FAQ 72 | | Text: Jörg Schiffauer
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