Jungdesigner suchen Kontakte zur Industrie. Das ist die Ausgangslage auf den vielen Youngdesign-Ausstellungen, die gegenwärtig auf keiner Designmesse fehlen. Entwerfer und Entwerfergruppen stellen ihre Designideen in eigens dafür konzipierten Talentshows oder in unabhängigen Off-Spaces aus, sammeln eifrig die Businesscards des Fachpublikums und hoffen darauf, von den Scouts der Möbelindustrie oder gar von Patrizia Moroso – der Nummer eins unter den Kreativdirektoren der Möbelindustrie – persönlich entdeckt zu werden. Ein erster Lizenzvertrag könnte den Start einer internationalen Designkarriere bedeuten …
Ganz anders war die Haltung vor dreißig Jahren: Anfang der 80er Jahre fühlten sich viele – gerade junge – Designer in totaler Opposition zur Industrie. Serielle Produktion an sich und damit die klassischen Produktionsbedingungen von Design wurden vehement in Frage gestellt. Als Antwort galt: Herstellung von Unikaten oder Kleinserien, handgefertigt und über einen Galeriebetrieb vertrieben. „Galeriedesign“ war dann auch einer der Begriffe, mit dem der Trend häufig bezeichnet wurde.
Als markantester österreichischer Vertreter dieser mittlerweile historischen Designströmung gilt die Gruppe B.R.A.N.D. Die Entwerfergruppe, die zwischen 1983 und 1992 bestand, agierte genau an den zur Disposition gestellten Grenzen von Kunst und Design und illustriert mit ihrem Schaffen den damals herrschenden Diskurs in eindrücklicher Weise. Aufstieg und Fall der „Brands“ erzählt auch vom Lebensgefühl im Wien der 80er Jahre und stellt ein aufregendes Kapitel der österreichischer Designgeschichte dar.
Galerie-Design oder „Form follows Fantasy“
Ausgangspunkt für die erstaunlichen Design-Entwicklungen der 80er Jahre war Italien. Im Geist der Achtundsechzigerbewegung war dort eine konsumkritische Gegenbewegung zum anerkannt „formschönen“ italienischen Industriedesign (Bel-design) entstanden. Die unbequemen Ansätze hießen Anti-Design und Radical Design und bildeten auch die Grundlage für die nachfolgend bahnbrechenden Entwicklungen im Italien der späten 70er und frühen 80er Jahre durch die bekannten Avantgardeküchen Studio Alchimia und Gruppe Memphis.
Nördlich der Alpen, vor allem in den Großstädten der Bundesrepublik, trafen die komplexen italienischen Theorien auf das ungestüme Lebensgefühl der industriekritischen Öko-Bewegung sowie des Postpunk und der New-Wavekultur. Diese Mixtur führte um 1980 zu einer neuen, von den italienischen Positionen unabhängigen, außerordentlich gefühlsbetonten und antiakademischen Entwicklung auf dem Gebiet des Möbeldesign. Ein exaltiertes Designschaffen warf die bis dahin herrschende Ulmer Grundregel, wonach beim Gestalten auf die Gebrauchsqualität, die Machbarkeit und die ästhetische Qualität zu achten sei, gänzlich über Bord. Dazu gehörte auch, dass industrielle Produktionsabläufe generell abgelehnt wurden. Also war die – anachronistische – handwerkliche Umsetzung nur konsequent.
Entwurfsideen wurden als Prototypen oder höchstens Kleinserien gefertigt, oft auch gebastelt. Unikate oder Kleinserien wurden wie Kunstwerke nummeriert und signiert und in den Galerieräumen der neu entstehenden Designgalerien ausgestellt. Schließlich wurde dem neuen Trend im Frühsommer 1986 – zeitgleich mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – eine Großausstellung im Düsseldorfer Kunstmuseum gewidmet. In der Schau mit dem programmatischen Titel „Gefühlscollagen – Möbel von Sinnen“ – wurden 250 international ausgewählte Möbelobjekte ausgestellt. Gezeigt wurden neben den Unikatentwerfern (Stiletto, Pentagon, Ron Arad, Tom Dixon) auch die arrivierte und industrienahe italienische Avantgarde (Andrea Branzi, Alessandro Mendini, Ettore Sottsass). Ebenfalls dabei: die Gruppe B.R.A.N.D.
Gruppe B.R.A.N.D.
Mathis Esterhazy, ist 1983 gerade von einem Besuch in Westberlin zurückgekehrt. Beeindruckt von den Designentwicklungen in Westdeutschland, schließen sich er und die befreundeten Gestalter Boris Broschardt und Rudolf Weber zur Gruppe B.R.A.N.D zusammen. Der Name offenbart, dass in den 80ern nicht nur Architektur brennen musste und spielt auch mit der englischen Bedeutung des Wortes – Marke. Die Gründungslegende, wonach die Freunde all ihre Möbel verbrannt hätten, um Platz für Neues zu schaffen, stimmt nicht. Die Geschichte passt aber gut zur künstlerischen Kompromisslosigkeit und auch zur bevorzugten Arbeitsweise: mit dem Schweißgerät glühendes Metall formen.
Alle drei Gruppenmitglieder sind Autodidakten. Mathis Esterhazy verfügt 1983 schon über viel Erfahrung im künstlerischen Umgang mit dem Werkstoff Metall. Er hat bereits in der Wiener Galerie von Peter Pakesch ausgestellt und auch mit Franz West zusammengearbeitet. Mit der Gruppe B.R.A.N.D. will Esterhazy eine Formation ins Leben rufen, die mehreren Entwerfern als Unterstützungsstruktur zur gemeinsamen Verwendung dient. Im Jahr 1986 steigt aber der Gründer aus und Boris Broschardt und Rudolf Weber führen das Label fortan als Zweierteam; bis anfang der 90er Jahre das unschöne Ende kommt, Schulden angehäuft sind und der aus Rijeka stammende Boris Broschardt Österreich verlässt.
R.O.M. – Raum-Objekt-Möbel
Die ersten Arbeiten sind skulpturale Möbelobjekte aus gebogenem Baustahl. Sie entstehen mehr als Einzelstücke für den eigenen Gebrauch. 1985 gelingt der Gruppe mit dem R.O.M.-Konzept – die Abkürzung R.O.M. steht für „Raum-Objekt-Möbel“ – die Entwicklung einer Entwurfssprache für raumgreifende Möbelobjekte. Es handelt sich um Entwürfe aus dünnem Metallrohr, das wie die Striche einer Skizze unregelmäßig verschweißt ist. Programmatisch heißt es dazu: „R.O.M ist entstanden aus dem Frust über die Einförmigkeit der Massenproduktionsmöbel, die der Funktion einen eindeutigen Vorrang geben. Daher Einzelstückserien, in denen das Prinzip (der Gedanke) gleich ist, wo aber jedes Stück durch die physische Beschäftigung (Arbeit) mit dem Material, zwingend anders wird
…“
Im Dezember 1985 werden ROM-Möbel in den Räumen der Section N, einer von Katharina Noever geführten Designgalerie in Wien, unter dem Titel „Verspannungen“ ausgestellt. Durch sogenannte Erweiterungen sind die einzelnen Möbelstücke auch miteinander verbunden. Wolfgang Schepers, ein Mitorganisator der erwähnten Düsseldorfer Ausstellung beschreibt die Arbeit: „Ergebnis ist eine raumfüllende ungegenständliche Plastik von filigraner Eigenart.“ In Wiener Designkreisen wird die Arbeit zwar kontroversiell diskutiert, aber der begeisterten Medienmeinung folgen Aufträge im In- und Ausland und auch ein gewisser wirtschaftlicher Erfolg.
Cosmo
1988 wird die neue Möbelserie „Cosmo“ im Szenelokal Mavo präsentiert. Mit den „Cosmo- Stahlrohr-Möbel-Objekten“ wird ein formal beruhigtes und stringentes Konzept vorgestellt, das, auf einer klaren Entwurfsidee beruhend, zu einem ganzen Programm von überzeugenden Entwürfen führt. Grundgedanke von Cosmo ist es, ausgehend von fünf Kreisen mit unterschiedlichen Radien durch „Segmentierung und das kompilatorische Spiel“ (Boris Broschardt) Möbelobjekte zu gestalten.
Aber die – immer noch handzertifizierte – Cosmo-Linie ist kostspielig (ein Sessel kostet 12.000.- ÖS, ein Tisch 14.000.- ÖS) und kommt beim Publikum nicht an. Die komplette Innengestaltung des Black Market – eines legendären Wiener Plattengeschäfts mit Cafébetrieb – stellt dann den letzten großen Auftrag für die Gruppe B.R.A.N.D. dar. Mit rauer Verarbeitung, unlackierten Metallteilen oder gebürsteten Blechen will die Gruppe einem Umschlagplatz für subkulturelle Produkte gerecht werden. Erfolgreich, denn einmal mehr findet die Arbeit in internationalen Designpublikationen Beachtung.
Den wirtschaftlichen Niedergang des Labels kann aber auch das Black-Market-projekt nicht mehr aufhalten. Nach dem fulminanten – mehr medienwirksamen als einträglichen – Start innerhalb des internationalen Trends des Galeriedesign war die Gruppe B.R.A.N.D. gefordert, die überzeugende Entwurfsarbeit auch zu wirtschaftlichem Erfolg zu führen. Zwar lässt sich im Werk der Gruppe heute die entwerferische Annäherung an die Vorgaben industrieller Produktion erkennen, der Übergang vom kunstnahen Designobjekt zum Industrieprodukt wurde aber konzeptiv nicht vollzogen. Wohl auch, weil das Schaffen der Gruppe B.R.A.N.D. endete, noch bevor die Identitäts- und Orientierungsfragen gelöst waren, die der postmoderne Etikettentausch von Kunst und Design mit sich gebracht hat. Sehr schade, denn Patrizia Moroso wäre mit Sicherheit begeistert gewesen.