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Brennpunkt Ost-Avantgarde

Text: Schöny Roland | Fotos: VIENNAFAIR

Stets macht der Herbst alle Kunstinteressierten und all jene, deren Begeisterung erst wachgerufen werden soll atemlos. Während draußen am Horizont bereits die Vienna Art Week auf sich aufmerksam zu machen beginnt, eröffnete die Wiener Secession eben eine bunte, geradezu theatralisch aufgebaute Ausstellung von Ulla von Brandenburg mit einem Film, der Rituale der Straße aufgreift. Bloß wenige Meter entfernt erfuhr die gerade wieder eröffnete Karlsplatz-Passage eine neue Akzentuierung durch die Hinterglasmalerei von Ernst Caramelle und bietet nun lichtdurchflutete Erlebnisqualität im Außenraum. Unübersehbar auch allerorts die Plakate, die das Großprojekt „Salon der Angst“ in der Kunsthalle Wien als zur Diskussionsfläche sozialer Fragen der Gegenwart ankündigen. „Yes, it’s a vibrant City for Contemporary Art“, bestätigt Vita Zaman, eine der beiden Kuratorinnen der kurz vor der Eröffnung stehenden Kunstmesse VIENNAFAIR, die aus Litauen stammend, nach ihrer Ausbildung in London eine Dependance der Pace Gallery in New Yorks Chelsea aufbaute. Noch dazu sei die Stadt auf Grund ihrer Geschichte, ihrer Lage und natürlich ihrer Bedeutung als Wirtschaftsstandort geradezu ideal, die VIENNAFAIR als den international gültigen Umschlagplatz für die aktuelle Kunst aus dem Osten weiterzuentwickeln. Die künstlerischen Leiterinnen der VIENNAFAIR, Christina Steinbrecher-Pfandt und Vita Zaman wollen den Kontakt von jungen, aufstrebenden Galerien aus den Schwerpunktregionen Ost- und Südosteuropas zu österreichischen Kunstinstitutionen, insbesondere zur Wiener Szene intensivieren. Ausweitung der Netzwerke, Information und Kommunikation ist Teil ihrer Agenda, um den professionellen Austausch zu forcieren.

    Überhaupt sei es längst an der Zeit, mit allen klischeehaften Vorstellungen zu brechen, die sich unter dem Label „osteuropäisch“ gewöhnlich verfestigen: „Wenn wir von Osten sprechen, meinen wir auch die Galerien aus der Türkei, und die kommen wiederum alle aus Istanbul“, so Zamann. „Aufgrund ihrer Ausbildung sind zahlreiche Künstlerinnen und Künstler dort stark an die Tradition gebunden oder arbeiten abseits von Galerien und etablieren sich über Biennalen oder Großausstellungen. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass der Diskurs der bildenden Kunst stets eine globale Dimension hat. Selbst als der Eiserne Vorhang noch existierte, informierten sich die Szenen in den ehemals kommunistischen Ländern über den internationalen Betrieb, wobei es in Polen, in Warschau oder Krakau beispielsweise, über lange Phasen hindurch einen intensiven Dialog mit westlichen Institutionen gab. Obwohl das Regime in Rumänien sehr rigide war und Intellektuelle verfolgte, gab es dennoch Transferstellen zwischen Bukarest und Paris. Überhaupt ein Sonderfall wäre die DDR mit ihren Doktrinen von Realismus, aus der aber Maler wie Gerhard Richter oder Georg Baselitz hervorkamen.“

Hier eröffnen sich die interessantesten Momente der VIENNAFAIR als Hotspot für die aktuelle Kunst, der sich über Diskurs, Markt und Standort definiert. Auch wenn der Gedanke naheliegend wäre, hätte Moskau mit seiner Art Moscow im Vergleich nie ein ähnliches Potenzial, konstatiert die aus Kasachstan kommende VIENNAFAIR Kuratorin Christina Steinbrecher-Pfandt mit Ausbildung in Manchester und Erfahrung als künstlerische Leiterin der Art Moscow sowie Mitglied des Teams der dritten Biennale Moskau: „Moskau positionierte sich zwar durch neue Galerienviertel und die Biennale, die Messe jedoch ist isoliert; nicht zuletzt wegen rigider Importbestimmungen. Als Kunststadt liegt Moskau immer noch im abseits.“

Die Attraktivität Wiens als boomende Kunststadt im europäischen Kontext lässt sich kaum überbieten. Zudem machte die VIENNAFAIR seit ihrem Neustart unter dem in New York und Wien lebenden russischen Investor Sergey Skaterschikov mit dessen Kunstfond Art Vectors Investment Partnership Furore, der die marktbelebende Garantie ausspricht, für rund eine Million Euro auf der Messe einzukaufen, was auch für die heimischen Galerien wie Thoman, Krobath, Krinzinger, Meyer-Kainer, Lendl, Lisi-Hämmerle oder Kargl einen zusätzlichen Anreiz bildet. Neben einigen Berliner Ausstellern gelang es nun auch, die mächtige Regina Gallery aus Moskau an Bord zu holen. Allerdings zeigen sich die beiden künstlerischen Leiterinnen der Messe über das lokale Publikum etwas verwundert. In kaum einer Stadt sei ein derartiger Massenandrang junger Kunstinteressierter bei Eröffnungen zu beobachten wie in Wien. Da sei es noch eine Aufgabe zu vermitteln, dass es bereits um ein paar hundert Euro großartige Kunst zu sammeln gibt. „Es ist auch möglich, mit einer wunderbaren kleinen Sammlung zu beginnen“, macht Vita Zamann Guster aufmerksam.

Auf der Messe mit ihrem Hauptfokus auf die osteuropäischen Länder ist es vor allem die Vielzahl der Mikrogeschichten, die fasziniert. Neben dem Austrian Sculpture Project, einer speziell eingerichteten Zone von etwa 1000m2 mit Skulpturen von Manfred Erjautz, Hans Kupelwieser oder Markus Wilfling, neben dem von den OMV unterstützten Projekt DIYALOG New Energies, das die Entwicklung junger Kunstinstitutionen in Rumänien, der Türkei und der Kaspischen Region dokumentiert sowie verschiedenen Einzelpräsentationen junger Kunstschaffender wie Albért Bernàrd (Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz), Sofia Goscinski (Galerie Zimmermann Kratochwill, Graz) oder Jochen Höller (Mario Mauroner Contemporary Art Salzburg/Wien) setzt die VIENNAFAIR im Rahmen von VIENNA Duet Schwerpunkte mit Kunst aus Polen und Georgien.

Im Dialog mit den beiden VIENNAFAIR-Kuratorinnen hat Irena Popiashvili die Ausstellung „Our Caucasus – Chveni Kavkasioni“ als Porträt der Kunstszene Georgiens ausgerichtet. Werke aus mehreren Generationen werden präsentiert. Der lokalspezifische Ausdruck manifestiert sich als Hybrid. Es spiegelt sich besonders in den Arbeiten der jungen Generation die Überlagerung verschiedener ideologisch und historisch geprägter visueller Vorstellungen aus der nationalen Tradition ebenso wie aus dem Sozialistischen Realismus der Sowjetära, aber auch aus verschiedenen übernommenen Merkmalen der internationalen zeitgenössischen Kunst. Maya Sumbadze etwa, die auch im Bereich der kommerziellen Grafik arbeitet, ironisiert dieses Übereinander unterschiedlicher Prägungen, indem sie ihre Bilder per Computer generiert, jedoch derart übermalt, dass sie stellenweise wie alte Originale wirken. Ähnlich in Schleifen aufgebaut ist jener Film, nach dem diese Sonderausstellung benannt ist: The Wishing Tree aus dem Jahr 1976 von Tengiz Abuladze. Der auf Erlösungsvorstellungen basierende Film erzählt die Lebensgeschichte mehrerer Dorfbewohnern zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei einer unter Ihnen an eine bessere Zukunft und somit eine kommende Revolution glaubt, was ihm eine Fangemeinde unter den Dorfkindern einbringt. Als Refrain ihrer Hymne intonieren diese schließlich „Chveni Kavkasioni“.

Mit einem eher kryptischen, fast überraschenden Titel hingegen wartet die zweite Sonderausstellung mit jungen Positionen aus Polen auf : „Who Are You or The School of Happiness“. Doch was ist eigentlich das Ungewöhnliche? Die Aufforderung in Krisenzeiten nach dem Glück zu fragen? Unter Begleitung der Kunsthistorikerin Klara Czerniewska ist es eine teils freche und passagenweise tatsächlich erfrischende Zusammenstellung von Werken, die sich den Luxus leisten, das Engagement und das politische auch mal abzuwerfen. „Kann man glücklich sein lernen?“ Die Frage als Leitmotiv mag vielleicht etwas prätentiös wirken. Dass man die Dinge durchaus auf die leichte Schulter nehmen kann, zeigen hingegen die Foto-arbeiten von Jan Zamoyski. Wenn es Bad Painting gibt, dann wäre das Bad Photography. Frech, wie nebenbei abgelichtet und amateurhaft wirkend: eine verwelkende Sonnenblume als Motiv. An psychedelische Szenarien erinnernd, beinahe schlampig gemacht hingegen die Videos von Dominika Olszowy. Etwas strenger wirken die Arrangements einzelner Objekte von Małgorzata Szymankiewicz, die an fragmentierte Sitzmöbel aus dem kleinbürgerlichen Wohnzimmer mit Überzügen im adäquaten Design erinnern (Comfortable Situation). Ja, selbst wenn die Kunst formal und diskursiv ist, darf sie Spaß machen und zum Schmunzeln anregen. Besonders auf einer Kunstmesse, die ihrem Publikum auch Freude bereiten möchte und dazu einlädt, neue Terrains der Gegenwartskunst zu erkunden.

VIENNAFAIR

The New Contemporary

10. bis 13. Oktober 2013

Messe Wien, Halle A

Messeplatz 1, 1020 Wien

www.viennafair.at

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