Aussteigen ist manchmal schwerer als gedacht. Aus dem Job. Aus einem Zug. Mitunter auch aus einem Film. Wie Brad Pitt zu Bullet Train gekommen ist, lässt sich leicht damit erklären, dass der Regisseur David Leitch früher sein Stuntdouble war und die beiden seither eine enge Freundschaft verbindet. Außerdem, so erklärte es der Hollywood-Star unlängst in Interviews, habe die Pandemie auch ihm emotional zugesetzt, und da kam ihm Leitchs Angebot, in einem leichtverdaulichen Blockbuster mitzuwirken, gerade recht. Nun spielt er in Bullet Train einen vom Pech verfolgten Hitman namens Ladybug, der vergeblich versucht, aus dem Schlamassel herauszukommen, in den er geraten ist. Immer wieder, immer hartnäckiger, immer schlagkräftiger macht er sich daran, den Auftrag, für den er in den Shinkansen von Tokyo nach Kyōto gestiegen ist, zu erledigen. Nur gelingen will es ihm nicht.
Bullet Train ist kein Film, der viel Zeit mit einer Handlung verschwendet, die subtil die Spannung hält. Schon der Titel deutet auf das gewalttätige Chaos hin, das sich an Bord eines Zuges ausbreitet, in dem zahlreiche Auftragskiller, die jeder und jede für sich widersprüchliche Absichten verfolgen, gegeneinander ankämpfen. Zudem ist an der Adaption von Kôtarô Isakas Bestseller Maria Beetle aus dem Jahr 2010 wenig raffiniert oder originell. Die Mischung aus Actionthriller und Komödie macht keinen Hehl daraus, hohl zu sein. Trotzdem hat nicht nur Brad Pitt sichtlichen Spaß an der Sache. Tatsächlich kommt man auch als Zuschauer nicht umhin, sich unmittelbar für Pitt und seine ungeniert nonchalante Art zu erwärmen, mit der er hier auftritt.
Ohne Waffe und Killerinstinkt, dafür mit Schlapphut und einer frisch antherapierten Gutmütigkeit soll Ladybug lediglich einen Aktenkoffer voller Geld aus dem japanischen Hochgeschwindigkeitszug entwenden, der mit Vollgas über die Schienen jagt. Leichtes Spiel, eigentlich. Aber die vermeintlich reibungslose Reise nimmt unweigerlich einen holprigen Umweg, als er zunächst auf das ungleiche britische Brüderpaar Tangerine (Aaron Taylor-Johnson) und Lemon (Brian Tyree Henry) trifft, die den Koffer mitsamt einer Geisel überhaupt erst an Bord gebracht haben. Dazu gesellen sich im weiteren Verlauf der, zugegeben, weitgehend sinnlosen Handlung ein rachsüchtiger mexikanischer Gangster namens The Wolf (Benito A Martinez Ocasio, auch bekannt als Rapper Bad Bunny) sowie The Hornet (Zazie Beetz) und die nach außen auf unschuldiges Schulmädchen getrimmte The Prince (Joey King), deren Auftritt in ihren besten Momenten an Jodie Comers Villanelle in Killing Eve erinnert. Aber auch der gequälte Familienvater Kimura (Andrew Koji) hat mit dem Besitzer des Koffers eine Rechnung offen, die es zu begleichen gilt. Und während sich anhaltender Groll und konkurrierende Absichten auf der Leinwand in immer blutigeren Konfrontationen entladen, wird langsam klar, dass all diese illustren Figuren Verbindungen zu einem Mafia-Boss (Michael Shannon), der in Kyōto auf ihre Ankunft wartet, um alte Rechnungen zu begleichen.
Mit seinen konkurrierenden Auftragsmördern, übermütigen Zeitsprüngen und Plot-Twists, der bonbonfarbenen Ausstattung und einem Retro-Soundtrack, der stets die Stimmung hebt, sobald das Drehbuch ins Schlingern gerät, schießt Bullet Train in einer ähnlich ungeniert gewalttätigen, ironischen wie respektlosen und selbstbewusst humorvollen Manier nach vorne, wie man sie sonst vor allem von Quentin Tarantino oder Guy Ritchie kennt. Nur leider können weder die geschickt orchestrierten Actionszenen des Deadpool 2-Regissseurs noch Brad Pitts potenzierter Killer-Charme darüber hinwegtäuschen, dass sie es hier mit einer Vorlage zu tun haben, die ihre Schwächen geradezu stolz nach außen trägt.
All das nimmt man jedoch in Kauf, um Pitt ganz in seinem Element zu sehen. Cool, lässig, sexy und neuerdings scheinbar auch wieder ganz mit sich im Reinen, kostet er jede Filmminute aus, die ihm Leitch zur Verfügung stellt. Diese Kombination von Selbstironie und Lebenslust in seinem Spiel ist es, was Bullet Train hartnäckig immer wieder aus der Versenkung holt, selbst wenn der Film – so wie der Zug – gänzlich zu entgleisen droht. Austeigen war für den Schauspieler offenbar keine Option. Also hat er das Beste daraus gemacht: einen rasanten Actionthriller, der allein von seinem Witz und Charisma lebt.
BULLET TRAIN
Action-Komödie, USA 2022 – Regie David Leitch
Drehbuch Zak Olkewicz Kamera Jonathan Sela Musik Dominic Lewis
Mit Brad Pitt, Joey King, Aaron Taylor-Johnson, Brian Tyree Henry,
Andrew Koji, Hiroyuki Sanada, Michael Shannon, Benito Antonio Martínez
Ocasio, Sandra Bullock, Karen Fukuhara
Verleih Sony, 153 Minuten
Filmstart 3. August 2022