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China ist nicht fern

Text: Andreas Ungerböck, Wolfgang Popp | Fotos: Wolfgang Popp

Man hört sie kaum, man sieht sie kaum, sie bleiben unter sich. Sie betreiben Restaurants oder Handel und versorgen die westlichen Industrienationen mit Waren aller Art, von High Tech bis zum schlimmsten Plastik-Ramsch. Und sie schlürfen beim Essen. Das sind nur einige der Klischees, unter denen Auslands-Chinesen in ihren jeweiligen Gastländern, so auch in Österreich, zu leiden haben.

Bill Chen ist einer von 26.000 Chinesen, die sich in der Alpenrepublik niedergelassen haben. Er betreibt tatsächlich ein Restaurant in St. Pölten und zwei Geschäfte in Wien, ein kleineres in der Kettenbrückengasse und ein riesiges an der Rechten Wienzeile, dort, wo sich in den letzten Jahren so etwas wie eine „Mini-Chinatown“ etabliert hat. China-Freaks finden dort mittlerweile (fast) alles, was das Reich der Mitte an Konsumgütern und Esswaren zu bieten hat: Youcai, das typisch chinesische Grünzeug, ebenso wie Action-Kracher aus Hongkong auf DVD, kommunistische Superhelden-Comics ebenso wie den gefürchteten Getreideschnaps Maotai.

Als Bill Chen 1988 von Südamerika aus nach Österreich einreisen wollte, war alles einfacher als heute: „Ich habe sofort ein Visum bekommen. Ich kann mich noch erinnern, die Nummer war 18 oder 19.“ Es gab noch keine restriktive Einreisepolitik und keine Länder-Quoten. Ursprünglich hatte er nicht geplant, in Österreich zu bleiben, aber als er im Jahr 1990 die Arbeitsbewilligung bekam, fiel eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut hat. Im selben Jahr kam auch seine Frau aus China nach. Seine Schwester betrieb das Geschäft in der Kettenbrückengasse, das darunter litt, dass die Gewinnspannen ständig kleiner wurden. Während die Preise für den Lebensmittel-Import ständig stiegen, waren die Restaurantbesitzer, die zu den wichtigsten Kunden zählten, nicht bereit, für ihre Einkäufe mehr zu zahlen. Bill Chen und seine Frau übernahmen das Geschäft, mit Erfolg. Sie fanden neue Quellen in China, „den Reis und das Gemüse importieren wir aus Thailand, dann gibt es Waren aus Holland, Deutschland, von überall“, nicht aber vom Großmarkt in Inzersdorf: „Dort bekommt man kein chinesisches Gemüse, außerdem sind die Einkaufspreise am Großmarkt inzwischen so hoch wie unsere Verkaufspreise.“ Der in den letzten Jahren ausgebrochene Boom der asiatischen und der berühmt-berüchtigten Fusion-Küche hat sich für die chinesischen Geschäftsbesitzer positiv ausgewirkt. Am Wochenende, so schätzt Bill Chen, sind schon mehr als 80% seiner Kunden Österreicher, und auch während der Woche sind es an die 30%. Der jüngste Giftmilch-Skandal, so Chen, habe sich da in keiner Weise negativ ausgewirkt: „Die Kunden, die bei uns kaufen, wissen, dass bei uns alles in Ordnung ist. Und Milch aus China zu importieren, ist sowieso unsinnig.“ Neben seiner umfangreichen Geschäftstätigkeit ist Bill Chen auch Obmann des Verbandes der Chinesen in Österreich. Hier werden vor allem kulturelle Aktivitäten gesetzt, der Zusammenhalt der chinesischen Community gefördert und der Service groß geschrieben: „Wir beraten unsere Landsleute, vor allem solche, die sich selbstständig machen wollen – auch hinsichtlich des Gewerberechts und der Bürokratie in Österreich.“ Und der Verein unterstützt die beiden chinesischen Schulen in Wien, in denen chinesische Kinder oder solche mit einem chinesischen Elternteil jeweils am Samstagnachmittag die schwierige Sprache und die reichhaltige Kultur Chinas erlernen können: „Man hat uns oft gebeten, eine kleine Spende zu leisten, jetzt sind die Schulen ziemlich gut. Es sind genug Kinder da, und die Eltern geben das Geld für die Ausbildung auch gerne aus.“

Es gibt, so Chen, unter den Chinesen hier ein verstärktes Interesse daran, dass die Kinder, die meistens schon in Österreich geboren werden, ihre chinesischen Wurzeln nicht vergessen. Dabei gibt es aber natürlich regionale Nachteile: „Die Kinder, die in Wien leben, haben die Möglichkeit, einen Chinesisch-Kurs zu besuchen, aber wenn die Eltern zum Beispiel ein Restaurant in Villach oder irgendwo weit weg von Wien haben, dann ist es schwer.“ Er selbst hat in seinem Lokal in St. Pölten einen Sprachkurs installiert. Eine Lehrerin, die eigens anreist, unterrichtet chinesische Kinder zwischen acht und 17 Jahren. Mit dem Sprechen, so Chen, hätten die meisten keine Probleme, aber das Schreiben sei eben sehr, sehr schwierig.

Auch bei seinen eigenen Söhnen, heute 21 und 17 Jahre alt, habe er sehr darauf geachtet, dass sie mit dem Bewusstsein, „auch“ Chinesen zu sein, aufwachsen: „Sie haben natürlich beide Chinesisch gelernt, und ich nehme sie oft nach China mit, damit sie wissen, was dort passiert und was der Unterschied zwischen China und Österreich ist. Damit sie sich selbst ein Bild machen können. Die Kinder haben auch Geschichtsunterricht bekommen und wissen viel über China und die chinesische Kultur.“

Haben die chinesischen Kinder in Österreich es leichter als die in China? Bill Chen ist davon überzeugt: „Ganz sicher. In China ist nach und nach vieles besser geworden, vom Lebensstandard her und von der Lebenssituation her. Es gibt viele Chancen, aber die jüngere Ge-neration muss sehr fleißig sein, die Konkurrenz ist unglaublich hart. Sie gehen den ganzen Tag in die Schule. Die Kinder müssen lernen, Disziplin zu haben – nicht so wie hier. Die Kids hier gehen am Abend fort und rauchen und trinken Alkohol, mit 14 oder 15 – das, finde ich, hat mit Freiheit nichts zu tun. Es ist in China auch sehr schwer, einen guten Studienplatz zu bekommen. Die Kinder müssen sich sehr anstrengen. Es gibt zwar genügend Studienplätze, aber es gibt verschiedene Kategorien von Universitäten. Alle wollen natürlich an die Spitzenschulen, daher ist es sehr schwierig.“

Wie steht es nun damit, dass die Chinesen angeblich immer unter sich bleiben und sich nicht unter die Leute mischen? „Das ist nicht wahr. In Wien haben wir ja gar keine eigene Chinatown wie in anderen Städten. Es stimmt, zu den traditionellen chinesischen Feiertagen kommen wir natürlich gerne zusammen, aber wir laden immer auch österreichische Freunde ein.“ Und Bill Chen hätte auch kein Problem damit, würden seine Söhne österreichische Frauen heiraten: „Absolut nicht. Wichtig ist, dass sie selber sie mögen. Ich bin da offen.“ Auch dem hartnäckigen Gerücht, dass Auslands-Chinesen „nie sterben“, dass es keine offiziellen Todesfälle gibt, weil die Papiere immer wieder sofort an jemanden anderen weitergegeben werden, kann er nichts abgewinnen: „Ich glaube, das ist unmöglich, weil in den Ausweisen ja Fotos sind und Fingerabdrücke. Ich glaube, das ist ein Vorurteil. Die Österreicher wissen über China zu wenig. Und übrigens die Chinesen zu wenig über Österreich.“

Bill Chen, seit 1997 Österreicher, gehört zu den angesehensten chinesischen Wirtschaftstreibenden des Landes, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass er in den letzten Jahren mehrmals, unter anderem mit dem damaligen Minister Hubert Gorbach und mit Bundeskanzler Schüssel, als Mitglied von Wirtschaftsdelegationen nach China reisen durfte. Er ist ein stolzer und überzeugter Österreicher, aber ebenso ein glühender Verteidiger des politischen und sozialen Wandels in China. Es gebe, so meint er, fast keinen Unterschied mehr zwischen den beiden Ländern. China werde immer moderner, und die Gedanken und Pläne der jüngeren Generation seien dieselben wie hier. Wenn nun China heftig kritisiert wird, wie beispielsweise während der Olympischen Spiele, wegen der Umweltzerstörung oder wegen seiner Politik, trifft ihn das sehr: „Ich hatte gehofft, dass die Olympischen Spiele ein rein sportliches Ereignis werden. Das Problem Tibet ist ja schon vor den Olympischen Spielen entstanden, nicht erst jetzt. Und zum Thema Umwelt: Die chinesische Regierung hat innerhalb der letzten 30 Jahre wirklich sehr viel getan und viele Leute von der Armut befreit. Aber das ist ein unglaublich langwieriger Prozess: Man kann ja nicht gut verlangen, dass Fabriken teurere Maschinen aus Deutschland oder Österreich kaufen, nur weil die umweltverträglicher sind. Das ist unrealistisch. Wobei ich schon sagen will, dass etwa die Solaranlagen für das neue Olympiastadion aus Österreich stammen. Die chinesische Regierung steckt wirklich sehr viel Geld in diese Verbesserungen, aber das geht nicht von heute auf morgen. China ist immerhin so groß wie ganz Europa. In manchen Orten, Provinzen oder Städten ist die Entwicklung langsamer, und der Umweltschutz ist nicht so streng.“

Bill Chen träumt einen Traum von der Harmonie zwischen den Völkern, davon, dass die Beziehungen zwischen China und der Welt so gut wie möglich sind. Wenn man das Bild Chinas immer nur schwarz male, bringe das nichts Besseres für die Welt: „Es geht nicht darum, dass man China nicht kritisieren darf – im Gegenteil. Aber schlimm ist, dass die Medien so viele falsche Bilder verwenden und immer nur über das schreiben, was schlecht ist. In China sind die Europäer ein Vorbild dafür, was wir noch zu erreichen haben. Bei den Europäern ist es umgekehrt.“

Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit oder Vorurteilen habe er in Österreich dennoch nie gemacht, sagt Chen, und auch das Ergebnis der letzten Nationalratswahl mache ihn nicht wirklich besorgt: „Ich glaube, wenn FPÖ oder BZÖ einmal tatsächlich etwas leisten müssen, werden sie vernünftiger werden. Slogans wie die, dass man die Asylwerber nach Hause schicken soll, das taugt nur für die Wahlen. Nachher sprechen sie ganz anders.“

Bill Chen fühlt sich wohl in Österreich und hat den Gedanken aufgegeben, ganz nach China zurückzugehen: „Für mich wäre es am besten, ein halbes Jahr in China und ein halbes Jahr in Österreich zu sein. Den Sommer über hier und den Winter über dort, wenn es möglich ist. Mit dem Flugzeug ist man ja in zehn Stunden dort.“ Er geht mit Freunden einmal im Monat chinesisch, aber auch einmal im Monat österreichisch essen. Das beste chinesische Restaurant in Wien ist für ihn, wie für die meisten Chinesen, Lucky Buddha in der Kaiserstraße. Ansonsten bleibt dem viel beschäftigten Mann nicht viel Raum für Freizeit: „Wenn ich auf Urlaub in China bin, gehe ich sehr viel fort, aber hier habe ich das Geschäft und muss fleißig arbeiten. Ab und zu gehe ich Schwimmen und Rad fahren. Schifahren kann ich nicht. Mit Wasser habe ich kein Problem, aber vor Schnee habe ich irgendwie Angst.“ Er hat sich an alle möglichen westlichen Gebräuche gewöhnt, und seine Söhne sowieso: „Die essen zum Frühstück Semmeln oder Schwarzbrot und zu Mittag gerne Pizza oder bei McDonald’s, aber abends, zu Hause, gibt es immer chinesisches Essen. Das muss einfach sein.“

Und selbst mit dem hiesigen Weihnachtsrummel kann Bill Chen etwas anfangen. Es ist einer der wenigen Anlässe, an denen auch die chinesischen Geschäfte und Restaurants zusperren: „Dann treffen wir alle zusammen, die Familie, Freunde. Wir haben einen Christbaum aus Plastik zu Hause, und meine Söhne bekommen so und so Geschenke, nicht nur zu Weihnachten. Ich glaube, Weihnachten wird auch in China noch sehr populär werden.“

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