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Connaisseurcomics

Text: Oliver Stangl | Fotos: Taschen

DC Comics kennt hierzulande wohl jeder, der sich am Rande für Superhelden interessiert, Bat- und Superman sei Dank. Der sehr ähnlich klingende Verlag EC Comics ist da aber schon ein Fall für Connaisseure. Eher bekannt sind einzelne (für Kino und Fernsehen adaptierte) Titel, die EC hervorgebracht hat: Die Horror-TV-Serie Tales from the Crypt (1989–1996) basiert ebenso auf einer EC-Veröffentlichung wie John Hughes’ Science-Fiction-Komödie Weird Science (1985). Man merkt schon: Das Wort Kult ist hier nicht weit. Ein Begriff, der erst recht auf das „MAD Magazine“ zutrifft, das seine Wurzeln ebenfalls bei EC hatte. Grund genug also für eine weitere prächtige Veröffentlichung des Taschen Verlags zum Thema Comics.

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Herausgeber Grant Geissmann beantwortet die Frage, warum es einen rund sechshundertseitigen Wälzer zum Thema EC brauche, so: „Put simply, because this lesser-known company had an enormous impact on American pop culture, managing to be both commercially successful as well as boldly innovative.“ Dass der Mann Ahnung von Popkultur hat, ist nicht nur an mehreren einschlägigen Veröffentlichungen ersichtlich, sondern auch seinem anderen Standbein: Geissmann co-komponierte beispielsweise die Musik zur Sitcom Two and a Half Men.

Die Anfänge des Verlags waren vergleichsweise brav: 1945 gründete der aus New York stammende Maxwell Charles Gaines, der in den dreißiger Jahren bereits mit der Publikation „Funnies on Parade“ Pionierarbeit geleistet hatte, EC Comics. Das Kürzel stand zunächst noch für „Eduucational Comics“ – was auch Sinn machte, da die Hauptausrichtung auf illustrierten Bibel-Geschichten lag (erst später wurde der Name zu „Entertaining Comics“ umgewandelt). Nach dem Unfalltod des Gründers mit nur 53 Jahren übernahm sein Sohn Max den Verlag – und ab da wurden die Dinge dann so richtig kultig, denn der Junior konzentrierte sich auf Genres wie Horror, Krieg und Science-Fiction: Unter der Federführung der Redakteure Al Feldstein und Harvey Kurzman (beide später Chefredakture bei „MAD“) arbeiteten renommierte Künstler wie Jack Davis, George Evans, Frank Frazetta oder Graham Ingels an makaberen und actionreichen Geschichten, in denen nicht mit gruseligen End-Twists gespart wurde. Die Sci-Fi-Storys waren in der Regel ziemlich anspruchsvoll, bei manchen suchte man konzeptuell gar die Zusammenarbeit mit Schriftstellerlegende Ray Bradbury. Zusätzlich erfuhren Grimms Märchen düster-makabere Adaptionen. Auch sozialpolitische US-Alltagsthemen wurden angeschnitten, etwa Korruption oder Lynchjustiz. Die Kriegscomics waren realistischer als die der Konkurrenz, vermieden meist eine Verherrlichung des Schlachtgeschehens. Dies bescherte dem Verlag tolle Verkaufszahlen, bis sich Mitte der fünfziger Jahre Hysterie und Paranoia einschalteten: Nach Senatsanhörungen zu Vorwürfen, wonach Comics zu Gewalt anstacheln und die Jugend verderben würden, wurde der Comics Authority Code gegründet. Dies bedeutete nichts anderes als (Selbst-)Zensur der Comicbranche – und ein mehrjähriges Aus für Horrorcomics. Der Verlag geriet in finanzielle Schwierigkeiten und überlebte nur wegen der guten Verkaufszahlen des Satire-Magazins „MAD“ – einer Institution, der nichts heilig war und die von Hollywoodfilmen bis hin zu gesellschaftlichen Normen alles parodierte. In den Sechzigern verkaufte Gaines die Verlagsgesellschaft schließlich.

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Herausgeber Geissmann liefert zu den zahlreichen abgedruckten Comic-Beispielen jede Menge Hintergrundinformationen, geht auf Geschäftspraktiken und künstlerische Highlights ebenso ein wie auf die persönlichen Hintergründe der Verlagsleiter. Über 1.000 Abbildungen, inklusive seltener und berüchtigter Cover, Innenseiten und Vintage-Originalzeichnungen, lassen kaum Wünsche offen. Geissmann arbeitete dabei mit der Familie Gaines zusammen, die über 100 bislang unveröffentlichte Raritäten beisteuerte. Wer sich also mit Comic-Genres beschäftigen möchte, in denen keine kostümierten Helden im Mittelpunkt stehen, wird in dieser Schatztruhe fündig.

Grant Geissman:

The History of EC Comics

Taschen, Hardcover, 592 Seiten

Nummerierte Erstauflage, 5.000 Ex.

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