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Crazy Horse

Text: Oliver Stangl | Fotos: Ford Motor Company

Oft sind es Fehlschläge, aus denen Erfolge entstehen. So verdankt der Ford Mustang, eine der größten Erfolgsstorys der Automobilgeschichte, seinen Siegeszug dem Scheitern des 1956 eingeführten Ford Edsel, mit dem der 1903 in Detroit gegründete Autohersteller im Bereich der Mittelklasselimousinen reüssieren wollte. Doch Qualitätsprobleme, interne Konflikte und der im Volksmund als „Toilettensitz“ verspottete Kühlergrill sorgten dafür, dass der Edsel – benannt nach Henry Fords früh verstorbenem Sohn – bereits 1959 eingestellt wurde. Henry Ford II (1917–1987) verkraftete den Flop (der einen geschätzten Verlust von 350 Millionen Dollar mit sich brachte) nicht so ohne weiteres und lehnte die Pläne von Ford-Division-Präsident Lee Iacocca, einen jugendlich-sportlichen Viersitzer auf den Markt zu bringen, zunächst ab. Doch Iacocca, Jahrgang 1924, ließ nicht locker und gab Studien in Auftrag, die zeigten, dass die Gruppe der 20- bis 24-jährigen in den sechziger Jahren um 50 Prozent zunehmen würde – eine große potenzielle Käuferschicht also. Mit einem geringen Budget – die Entwicklung eines neuen Modells kostete damals 400 Millionen Dollar, eine Summe, die Henry Ford II nicht bewilligte – arbeitete eine kleine Gruppe an der Entwicklung eines Sportwagens, der vier Passagieren Platz bieten und finanziell erschwinglich sein sollte. Iacocca rief einen Designwettbewerb aus, unter 18 hergestellten Tonmodellen im Maßstab 1:1 überzeugte ihn ein unter der Leitung von Joe Oros entstandener Entwurf mit langer Motorhaube und kurzem Stummelheck. Der Entwurf war dabei zunächst noch nach einem anderen Tier benannt: Cougar (Puma). Doch wurde schließlich entschieden, dass der Mustang die Weite des amerikanischen Kontinents und den Traum von Freiheit besser symbolisieren würde – dabei hatte John Najjar, einer der Designer, den Namen angeblich von einem US-Jagdflugzeug. Sei es drum, das Logo auf der Kühlerhaube – ein galoppierendes Pferd – wurde schnell zur Ikone. Nachdem man sich auf den Wagen geeinigt hatte und die Produktion im Werk Dearborn, Michigan anlief, begann eine gigantische Werbekampagne in allen Medien. Besonders wirkungsvoll war dabei eine Aktion, bei der ein Mustang zerlegt, per Lift auf das Dach des Empire State Building transportiert und dort wieder zusammengesetzt wurde.

Galoppierender Wahnsinn

Die Autohändler waren anfangs überfordert vom Ansturm der Kunden, die sich teilweise mit Angeboten übertrumpften, um das jeweils letzte Modell vom Hof fahren zu können. Dass die erste Version des Mustang kein reines Männerspielzeug war, sondern mit seinen sportlich-eleganten Formen auch bei Frauen ausgesprochen gut ankam, zeigt sich unter anderem daran, dass das erste Modell am 15. April 1964 an eine Lehrerin verkauft wurde. Mit dem Mustang traf Iacoccas Baby den Zeitgeist der Sechziger: Rockmusik, Rebellion, Träume von Freiheit. Der Mustang vermittelte ein derart jugendliches Image, dass Ford sogar Anzeigen schaltete, in denen es für OK befunden wurde, wenn auch Menschen über 50 das Auto fuhren. Schließlich wurde der Wagen gar als Jungbrunnen angepriesen: „Driving a Mustang can be like finding the Fountain of Youth!“ Eine Besonderheit, die auch entsprechend beworben wurde, war der Umstand, dass sich jeder Käufer ein individuelles Modell zusammenstellen konnte: „Designed to be designed by you!“ So konnte das Basismodell mit Extras wie Klimaanlage oder Mittelwellen-Radios aufgemotzt werden. Mit rund 680.000 verkauften Wagen im ersten Modelljahr brach der Mustang jedenfalls alle Verkaufsrekorde – so groß war die Begehrlichkeit nach dem Wagen, dass sogar zusätzliche Produktionswerke in Betrieb genommen werden mussten. Egal ob als Hardtop oder als Cabrio: Der Mustang prägte bald das Straßenbild der USA (in Deutschland hieß der Wagen übrigens aus Copyright-Gründen bis 1979 T-5). Eine Besonderheit waren auch die vom legendären Rennfahrer Carroll Shelby (1923–2012) gebauten Sondermodelle, die nicht nur im Rennsport zum Einsatz kamen, sondern auch bei Privatpersonen großen Anklang fanden. Somit war das Genre der sogenannten Pony Cars – erschwingliche, auf jugendliche Käufer ausgerichtete Coupés bzw. Cabrios mit 6- oder 8-Zylinder-Motoren – geboren, das zahlreiche Nachahmer fand, darunter Autos wie der Plymouth Barracuda oder der Pontiac Firebird. Doch nur der Mustang hat bis heute – zumindest durchgehend – überlebt. Auch in Deutschland versuchte man kurz, auf den Trend aufzuspringen: Der Opel Manta wäre ohne den Mustang nie entstanden.

Size matters

In den Jahren 1967/68 wurde der Mustang II produziert. Dieser fiel größer aus als der Vorgänger, unter anderem, weil man Raum für einen leistungsstärkeren Motor schaffen wollte. Auch die Modelle der nächsten Jahre wurden zunehmend voluminöser und lösten schließlich den Boom der Muscle Cars aus. Nachdem es Kritik an der eher schwachen Motorleistung gegeben hatte, wollte man auch nach Außen hin ein kraftvolleres Image vermitteln. Federführend an diesem Trend beteiligt war Designer Larry Shinoda (1930–1997), der auch am Entwurf der legendären Stingray Corvette mitgearbeitet hatte. Als besonders einprägsames Muscle Car gilt nach wie vor der 429 375 PS mit seinen knalligen Farben und einer Hutze auf der Motorhaube. Shinoda zeichnete bei späteren Modellen, etwa dem Boss 302, auch für aerodynamische Elemente wie Heckspoiler verantwortlich. Grafische Elemente und schwarze Lamellen am Heckfenster des Boss 302 kamen bei der jugendlichen Zielgruppe gut an. Shinoda war es auch, der den Namen Boss vorschlug, weil er als hip unter Jugendlichen galt.

Doch das mit den Jahren immer extremere „Wachstum“ der Mustangs wurde bald mit gemischten Gefühlen betrachtet. Eine legendäre Anekdote: Anna Muccioli, die einen 65er Mustang fuhr, beschwerte sich auf einer Aktionärsversammlung darüber, dass der Wagen ihrer Ansicht nach so weit aufgeblasen worden war, dass er seine Identität verlor habe. „Warum können Sie einen Wagen, der kompakt ist, nicht einfach kompakt sein lassen?“ Mucciolis Kritik kam an und wurde mit Applaus quittiert.

Und noch ein anderer Umstand sorgte dafür, dass es Ford wieder kleiner gab: Die erste Ölkrise 1973. Nachdem die OPEC aufgrund der US-Unterstützung Israels im Yom Kippur-Krieg ein Ölembargo verhängt hatte, stieg der Preis für Benzin über Nacht von 3 Dollar auf 12 Dollar pro Fass. Präsident Richard Nixon ordnete an, Tankstellen an Samstagabenden und Sonntag geschlossen zu halten. Ein Übriges taten Kampagnen von Verbraucherschützern wie dem legendären Ralph Nader sowie strengere Umwelt- und Sicherheitsauflagen. Größe war plötzlich gar nicht mehr so cool. Viele Amerikaner wurden wieder preisbewusster, gaben ihre Riesenschlitten in Zahlung und schafften sich den relativ sparsamen Mustang II an, der unter Iacocas Leitung wieder schlanker und eleganter wurde. Es war also abermals eine Krise, die Ford gut tat.

Nicht unwesentlich mitverantwortlich für den Kultstatus, den der Wagen bis heute genießt, sind die zahlreichen Mustang-Fanclubs, die auf jährlichen Treffen stolz ihre aufgemotzten Wagen präsentieren und sich auch gern mal das Logo auf diverse Bereiche des Körpers tätowieren lassen. Auch aus der Popkultur ist der Wagen nicht wegzudenken: Der Mustang kommt sowohl in zahlreichen Songs als auch Filmen vor. Bereits 1964 fuhr Tania Mallet im James-Bond-Film Goldfinger ein weißes Mustang-Cabriolet (dessen Reifen Sean Connery mit einem Spezialeffekt seines Aston Martin aufschlitzt). Auch Connery selbst fuhr in seiner Paraderolle einen Mustang: In Diamonds are Forever (1971) steuert Bond einen roten 71er Mach 1 auf zwei Rädern durch eine enge Gasse in Las Vegas. Für Erheiterung sorgt dabei der Umstand, dass der Wagen auf den rechten Rädern in die Gasse hinein fährt und auf den linken wieder heraus kommt. Aus heutiger Sicht skurril waren Sondermodelle, die dem damaligen Musikertraumpaar Sonny & Cher gewidmet waren: Chers Mustang war in Pink/Rot lackiert, Sonnys Auto war Gold und Braun. Auf die Fellstiefel der Sänger abgestimmt waren Felleinlagen im Fußboden. Seinen berühmtesten Auftritt hatte der Mustang wohl in Bullitt (1968) von Peter Yates: „King of Cool“ Steve McQueen liefert sich am Steuer eines Highland Green-farbenen Mustang Fastback mit Bösewichtern (die einen schwarzen Dodge Charger fahren) eine zehnminütige Verfolgungsjagd durch San Francisco. So ikonisch war der Filmauftritt des Mustang, dass 2001 eine Bullitt GT-Sonderserie herauskam.

Über die Jahre erlebte der Mustang noch zahlreiche Neuauflagen – momentan hält man beim Mustang V. Auf das Jubiläumsmodell, das 2014 erscheint, darf man gespannt sein. Wenn es Ford gelingt, Tradition mit einem ansprechenden Update zu verbinden, könnte die Legende noch eine Weile weiterleben.

Literaturtipp

Donald Farr: Mustang – Fünfzig Jahre.

Das offizielle Jubiläumsbuch.

GeraMond, München 2014.

255 Seiten, € 51,40

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