This is the future of music“, steht auf einem der weißen Papierschilder, die Amanda Palmer im Video für ihre Ende Mai erfolgreich beendete Kickstarter-Kampagne in die Kamera hält. Den Crowdfunding-Aufruf initiierte die amerikanische Musikerin, die Mitte der Nullerjahre mit The Dresden Dolls international bekannt wurde, um die Produktion eines neuen Albums – „Theatre is Evil“ – ihrer Band Amanda Palmer & The Grand Theft Orchestra, samt einem aufwendig gestalteten Kunstband und einer Tournee zu finanzieren. Das anberaumte Finanzierungsziel von $ 100.000 war innerhalb von sieben Stunden erreicht; im Laufe eines Monats sammelten knapp 25.000 sogenannte Backer fast $ 1,2 Millionen und machten das Projekt zum bisher erfolgreichsten der Sparte Musik in der Geschichte von Kickstarter.
Diesen Erfolg feiern nicht nur Palmer und ihre äußerst loyale Fangemeinde; die sozialen aber auch die klassischen Medien wirkten den Mai hindurch wie im Rausch und selbst die Musikindustrie schien ein wenig in Aufruhr zu geraten. Nicht nur ist die Beziehung zwischen Kunst- und Kulturschaffenden und ihrem Publikum in einem unaufhaltsamen Wandel begriffen, vor allem markiert Crowdfunding einen symbolischen Sieg für künstlerische Selbstbestimmung gegenüber Zwischenhändlern, Geldvorstreckern und Endproduktbeeinflussern, und damit auch dem etablierten Machtsystem der traditionellen Meinungsbildner. Oder, wie Amanda Palmer (und, ihr folgend, ein polyphones Echo in der Netzgemeinschaft) es postulierte: „We are the Media!“
Von Schwarmintelligenz zu Schwarmfinanz
Crowdfunding als auf Internetplattformen institutionalisierte Form des Geldeintreibens mag noch relativ neu sein, die Idee ist eine alte: immer schon, wenn es an potenten Spendern mangelte, kam im Gemeinschaftswesen der Klingelbeutel zum Einsatz, um der „guten“ bzw. der zu finanzierenden Sache zu dienen. Neu ist durch die globale Vernetzung die Reichweite dieses Klingelbeutels, die es ermöglicht, für jede noch so spezielle Idee eine begeisterungsfähige Community zusammenzutrommeln.
Der Urknall dieser Entwicklung liegt noch nicht lange zurück. Die Prägung des Begriffs Crowdsourcing, des übergeordneten Prinzips also, lieferte der Journalist Jeff Howe 2006 in einem Artikel: „Crowdsourcing is when a company takes a job that was once performed by employees and outsource it in a form of an open call to a large undefined group of people generally on using the internet.“ Das kann den bloßen Einsatz von Freiberuflern ebenso bedeuten, wie die Akquisition von Rat, Tat, Zeit, Ressourcen oder eben (Risiko-)Kapital. Das Risiko bleibt in der momentan betriebenen Form des Crowdfunding für die Finanziers zumeist gering: Jede und jeder, der sich zur Unterstützung eines Projektes mit einem gewissen Betrag entschließt, bekommt das Geld zurück, sollte die von den Projekt-Gründern veranschlagte Summe nicht erreicht werden.
Die zwei international bekanntesten Mircrofunding-Plattformen sind das 2008 in San Francisco gegründete IndieGoGo und das ein Jahr später folgende Kickstarter. Ursprünglich für die Finanzierung von Filmen angelegt, ist IndieGoGo heute für alle Formen von Projekten offen und operiert in mehr als 190 Ländern, während sich Kickstarter auf kreativen Output aus den USA beschränkt. And business is booming: 2009 wurde auf Kickstarter $ 1 Million pro Monat eingezahlt, zwei Jahre später hatte sich diese Zahl versiebenfacht und für das Jahr 2012 belaufen sich Schätzungen auf eine Gesamtsumme von $ 150,000.000. Selbst die bedeutendste amerikanische Kulturförderinstitution, das National Endowment of the Arts, kann da nicht mithalten. IndieGoGo wiederum hat soeben selber eine $ 15 Millionen Investitionsspritze bekommen, um die Steigerung von Reichweite und Einfluss zu garantieren.
Um sich für einen Platz auf einer Crowdfunding- Seite zu qualifizieren, benötigt man einen nachvollziehbaren Plan des Vorhabens samt Termin für die Umsetzung, ein (oft transparent gemachtes) finanzielles Ziel, das in einem bestimmten zeitlichen Rahmen erreicht werden muss. IndieGoGo bietet zusätzlich eine „flexible funding“ Option an, bei der nicht die gesamte Summe erreicht werden muss, erhebt dafür aber auch eine höhere Gebühr (9 % anstatt 4 % des eingenommenen Geldes). Die meisten Plattformen heben Gebühren im einstelligen Prozentbereich ein; zusätzlich müssen noch (3–5 %) Transaktionskosten von Kreditkarten- und anderen Finanzunternehmen einberechnet werden. Die Geldgeber entscheiden, wie viel oder wenig sie investieren wollen und erhalten im Gegenzug nach Wert gestaffelte ideelle oder materielle Dankeschöns. Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie individuell: Namensnennungen im Abspann eines Films, persönliche Treffen mit den Initiatoren, eine Postkarte, das entstandene Album oder Produkt und zusätzlich das Gefühl, Teil einer Gemeinde Gleichgesinnter zu sein, die Umsetzung einer Vision erst ermöglicht zu haben.
Donut with a Rockstar
Amanda Palmer hat sich für ihre Unterstützer viel einfallen lassen. Für nur $ 1 bekommt man das Album der vehementen Verfechterin des Filesharings als digitalen Download. Wer etwas mehr zu geben imstande ist, bekommt CDs, Vinyl, den Kunstband, einen Platz auf der Gästeliste exklusiver Konzerte und Galerieopenings, kann backstage mit der Band Donuts essen, eine private Houseparty mit der Künstlerin buchen oder (für $ 10.000) mit ihr dinieren.
Auch im deutschsprachigen Raum wurden in den letzten eineinhalb Jahren Crowdfunding-Sites für unterschiedliche Bereiche und Interessen gegründet. Die bekannteste darunter ist Startnext, das Projekte aus Kunst, Kultur und Medien präsentiert. Besonders ist, dass Startnext seit Mitte 2011 als gemeinnützig anerkannt ist, somit keine Gebühren einhebt und den Spendern damit auch steuerliche Absetzbarkeit ermöglicht. Weil man sich bei Startnext nicht als Alternative zu staatlichen Fördereinrichtungen, sondern als zusätzliches Instrument dazu versteht, sind die Macherinnen und Macher vor kurzem eine bis dato einzigartige Kooperation zur Co-Finanzierung mit der Mitteldeutschen Medienförderung eingegangen, bei der sich öffentliche Meinung und die eines Gremiums, private und staatliche Gelder ergänzen werden.
Ebenfalls seinen Weg zu Startnext gefunden hat /slash, Österreichs größtes Genrefilmfestival. Trotz zweier erfolgreicher Jahre des Bestehens ist die Finanzierungslage prekär, erklären Geschäftsführerin Magdalena Pichler und Festivaldirektor Markus Keuschnigg auf ihrer Projektseite: „Für die offiziellen Förderstellen sind wir zu wenig kunstbezogen (was auch immer das heißen mag). Und Unternehmen wollen ihre Produkte nicht mit Blut und Brüsten in Verbindung bringen.“ Wenige Tage vor dem Ende der Kampagne hat /slash € 5.360 lukriert. Anvisiert wurden € 2.500, was in Anbetracht eines mehrtägigen Festivals sehr wenig erscheint. In einem Blog-Update zum Projekt wird das von Keuschnigg begründet: „Wir sind, soweit ich das beurteilen kann, das erste österreichische Filmfestival, dass sich auf die Terra Incognita des Crowdfundings gewagt hat. Das heißt, uns fehlte zum einen ein realistischer Erfahrungswert, zum anderen sind wir generell recht selbstkritisch eingestellt. Soll heißen, wir wussten wirklich nicht, wie ihr darauf reagieren werdet.“ Je nach Beitrag darf man sich bei /slash als „Cheap Fuck“ (die/der für € 5 immerhin drei „Cheap Fuck Buttons“ bekommt), „Hyper Hipster“ oder Mitglied der „Secret Society“ fühlen und wird mit Leinentaschen, Festivalpässen, Essenseinladung mit Stargast und dergleichen belohnt.
Goldgräberstimmung
Und noch eine Branche, deren traditionelle Finanzierungs- und Geschäftsmodelle sich im freien Fall befinden, entdeckt Crowdfunding mehr und mehr für sich und ihre Zwecke: der Journalismus. Kontinuierliche Rückgänge der Verkaufszahlen von Print-Erzeugnissen und ein Anzeigenmarkt, der sich seit 2007 nicht mehr zu erholen scheint, führen zu Verschlechterungen der bekanntenmaßen ohnehin prekären Situation vieler freier Journalistinnen und Journalisten, und bedeuten auch für Angestellte der meisten Redaktionen mehr Arbeit, weniger Zeit und Ressourcen. Eine Möglichkeit ist es, die Recherche für einen Text an die Community auszulagern und im Gegenzug Rechte am Text an die Partizipienten abzutreten. Auf der amerikanischen Seite Spot.us kann man Reportagevorhaben finanziell unterstützen, ein Ansatz, den das sich noch im Aufbau befindende Projekt MediaFunders für unabhängigen Journalismus im deutschsprachigen Raum adaptiert. Die entstandenen Texte werden nach einem bestimmten Zeitraum unter der Creative Commons Lizenz der Community zur (Weiter-)Verwendung zur Verfügung gestellt.
Die Ausdifferenzierung (und Vermehrung) der Crowdfunding-Plattformen hat gerade erst begonnen. Es gibt Quirky für Produktideen, die man nicht selber zu produzieren gewillt oder imstande ist, Bandcamp als virtueller Laden für Musikschaffende, BetterPlace. org oder Respekt.net für soziale Initiativen und noch Dutzende mehr. Die kommenden Jahre werden aller Voraussicht nach vom Konkurrenzkampf um die Position des Facebooks unter den Crowdfunding-Seiten bestimmt sein, wie auch von der Regulierung und Suche nach Kuratoren oder kritischen Instanzen, die die wachsende Fülle der um finanzielle Gunst buhlenden Projekte zu filtern imstande sind.
Am Beispiel Amanda Palmers lässt sich leicht zusammenfassen, was eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich macht: viel Arbeit, Authentizität und eine loyale Unterstützergruppe. Diese Fanbase hat sich Palmer über Jahre aufgebaut, nach jedem ihrer Konzerte den Kontakt zum Publikum gesucht, Autogramme gegeben, sich umarmen lassen und Fragen beantwortet. Sie füttert ihre Blog- und YouTube-Kanäle mit Material, spielt spontane „Ninja Gigs“ und teilt ihr Leben täglich mit mehr als 570.000 Followern auf Twitter. Vor allem aber vermittelt sie mit der Vehemenz und Professionalität, mit der sie das Ideal einer unabhängigen Künstlerexistenz vorlebt, eine Vision, der sich eine Generation junger musikbegeisterter Menschen, die damit aufgewachsen ist, als Piraten verteufelt zu werden, gerne anschließt. Der Mehrwert, den Palmers genau durchchoreographierte Finanzierungs-Kampagne für ihre Fans darstellt, ist ein kleines Stück rückeroberte Handlungsmacht in ohnmächtigen Zeiten und die Möglichkeit, den unsicheren Grund eines unabsehbaren Wandels ein Stück weit einzuebnen. Und das alles zum Preis von $ 1.