Über dem Nachspann ertönt ganz klassisch der Song, der in Europa – dank jahrzehntelangen Einsatzes im Formatradio – auf ewig mit Tina Turner assoziiert werden wird: „Simply the Best“. Es ist ein nicht ganz würdiger Schluss des Dokumentarfilms Tina, in dem die Ikone zum letzten Mal ihre Geschichte erzählt. Jahrzehntelang wurde sie von Journalisten auf ihre von Gewalt und Ausbeutung geprägte Ehe mit Ike Turner angesprochen. Jedes Mal musste sie dabei schlucken, ihr unglaublich gewinnendes Lächeln aufsetzen, wieder an die zwei Jahrzehnte denken, in denen sie zu funktionieren hatte und eine Antwort finden – nur um nach dem Ende des Interviews wieder zu weinen oder voller Ärger in die wartende Limousine zu steigen. Dabei begann schon ihre Kindheit mit mehreren Traumata: Zuerst verließ ihr Vater die Familie, später dann auch noch die Mutter. Tina und ihre Geschwister kamen bei Onkeln und Tanten unter.
In Tina äußert sich Turner, die Ende des Jahres 82 wird, zum letzten Mal zu ihrer Vergangenheit. Um ein für alle Mal ihre Geschichte auf ihre Weise zu erzählen, setzte sie sich noch einmal in einen Interviewsessel; außerdem kommen ihr Mann und vertrauenswürdige Menschen zu Wort. Dass der Zugriff auf das Archivmaterial fast grenzenlos war, ist ein weiterer Bonus, denn der Ort, an dem Tina Turner auch unter grausamsten Bedingungen, mit mühsam bedeckten inneren und äußeren Verletzungen, stets zu begeistern wusste, war on stage. Egal, ob in der Ike and Tina Turner Revue, als Solistin in Las Vegas, als tingelnde Rockerin oder als Superstar in den Stadien der Welt: Die Bühne war der Ort, an dem sie immer strahlte. Warum das so war – ob etwa Talent und Disziplin eine Liaison eingingen, die ein Leben lang hielt –, wird nicht beantwortet. Das Publikum kann es aber vermuten, denn einer der Songs aus den Archiven ist John Lennons „Help“. Während dieses Songs bleibt die Kamera auf ihrem Gesicht, und es wird klar, dass man diesen Song nur so interpretieren kann, wenn man einen Blick in die eigenen Innenwelten zulässt – und dieses Gefühl dann in den Song packt. Dieser festgehaltene Moment bleibt für die Ewigkeit und zeigt, was für einen Song Lennon hier geschrieben hat. Und wie eine große Interpretin wie Tina Turner ihn in ganz andere Sphären heben kann.
Der große Erzählstrang der Dokumentation ist die Emanzipation, oder besser, die Flucht vor der Beziehung in ein eigenes friedliches, selbstbestimmtes Leben. Der Scheidungsvergleich spricht eine deutliche Sprache. „Er kann alles haben. Ich will nur meinen Namen, Tina Turner“, meinte sie vor dem Richter. Und so wurde die Ehe dann auch geschieden. Die Tantiemen und das Haus blieben bei Ike, der Name (und die Kinder) blieben bei Tina. Von diesem Augenblick an suchte sie Arbeit und fand sie zuerst in Vegas, dann als Rockerin. Schließlich ging sie nach London, da es in Amerika keine Chance gab, ihre Karriere wieder zu starten. Ein Song, mit dem die Songcontest-Gewinner Bucks Fizz einen kleinen Hit hatten, gelangte in die Hände ihres Managers, und obwohl er ihr nicht zusagte, wurde „What’s Love Got To Do With It“ der Beginn des Weges in Richtung Superstar. Aber auch dann hörten die Fragen nach der Vergangenheit nie auf.
Die Suche nach der Magie in der Musik von „River Deep Mountain High“ oder im von ihr geschriebenen „Nutbush City Limits“ bleibt hier ausgespart – das ist dann wohl ein Thema für eine neue Dokumentation. Tina erzählt die Geschichte eines Lebens – berührend, ohne Hass und so ehrlich wie möglich.
TINA
Musik/Dokumentation
Ab 8. Juli 2021 als Blu-ray, DVD & Download erhältlich.
Universal Studios