Win wenig lustlos hatte man die Ankunft des neuen „Joker“ erwartet. Brauchte die Welt tatsächlich noch eine Comic-Verfilmung aus der Welt der (Anti-)Superhelden?
Doch die gute Nachricht für all jene, die sich nicht für Hollywoods serielle Blockbuster-Produktion aus dem Marvel- oder, wie in diesem Fall, aus dem DC-Universum interessieren: Hangover-Regisseur Todd Phillips’ Joker ist ein bizarr-düsterer, gewaltexplosiver Psychothriller, ein hypnotischer Superhelden-Film ohne Superhelden. Bereits Christopher Nolan hatte mit seiner „Dark Knight“-Serie das Superhelden-Genre mit Heath Ledger als Batmans Gegenspieler in psychologisch abgründige Dimensionen getrieben.
In der Originalstory von „Joker“ liefert nun ein abgemagerter Joaquin Phoenix die psychologische Vorgeschichte zum Killerclown. Körperlich ausgemergelt und psychisch schwer belastet, irrt er als Arthur Fleck durch ein herunter-gekommenes Gotham City des Jahres 1981.
Das bankrotte New York der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre ist unschwer an den nachtschwarzen Straßen und seinen Müllbergen auszumachen. Man kennt das aus Martin Scorseses Taxi Driver, der hier als klarer, atmosphärischer Referenzpunkt aufgerufen wird. Die Noir City liegt nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch am Boden: Betrunkene Männergruppen grölen in der U-Bahn und belästigen Frauen, marodierende Jugendliche verprügeln den hilflosen Arthur in einer Nebengasse.
Arthur Fleck ist ein leichtes Opfer seiner mitleidlosen Umgebung. Psychisch krank und tablettenabhängig, bewohnt er mit seiner siechen Mutter eine ranzige Wohnung und verdient ein bisschen Geld mit Clownauftritten im Kinderkrankenhaus. Arthur liebt alte Hollywood-Musicals in Schwarz-Weiß und wäre gern ein Stand-up-Comedian. Leider findet ihn niemand lustig. Sein größter Traum besteht darin, in seiner Lieblings-Late-Night-Show im Fernsehen aufzutreten, deren Host von Robert De Niro gespielt wird – eine weitere Verbeugung Richtung Scorsese, diesmal vor King of Comedy. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit Arthur; eine Herabwürdigung folgt der nächsten und stößt ihn immer tiefer ins soziale und psychische Elend. Irgendwann schlägt der gedemütigte Clown brutal zurück und verwandelt sich in einen mörderischen Reißwolf mit aufgemaltem Grinsegesicht. Seine Maske wird zum Symbolbild protestierender Menschenmassen im Kampf gegen die herrschende Macht-Elite.
Der ausgehungerte Joaquin Phoenix verausgabt sich gänzlich als Killerclown mit dem zerquälten Gesicht eines Kranken, dessen (geistige) Auszehrung den gesamten Körper transformiert. Er zeigt dies prozesshaft: Seine fahrigen Bewegungen sind paranoid und tänzerisch, fragil und brutal zugleich, angetrieben vom Irrwitz des Gedemütigten. Eindrucksvoll würgt er an seinem unverkennbaren, (offenbar lang geprobten) manischen Gelächter wie ein Erstickender an einem unterdrückten Schluchzer. Doch geweint hat er schließlich genug: Trauer schlägt in Zynismus zurück, glänzend gespielt im Method Acting der Psychopathologie.
Vollständiger Artikel + Interview mit Joaquin Phoenix in der Printausgabe
JOKER
Drama/Thriller, USA 2019 – Regie Todd Phillips
Drehbuch Todd Phillips, Scott Silver Kamera Lawrence Sher
Schnitt Jeff Groth Musik Hildur Gudnadóttir Kostüm Mark Bridges
Mit Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy,
Brett Cullen, Marc Maron, Douglas Hodge
Verleih Warner Bros., 122 Minuten
Kinostart 11. Oktober