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Das mobilste Theater von Wien

Text: Michael-Franz Woels | Fotos: brut Wien
Ingri Fiksdal, Diorama © Istvan Virag

Unter der künstlerischen Leitung von Kira Kirsch hat das Koproduktionshaus brut ein bemerkenswertes Kunststück zu Wege gebracht. Ohne einen fixen Spielort im Künstlerhaus seit 2017 konnten die Besucherzahlen für die lokalen Koproduktionen beinahe verdoppelt werden. brut beweist damit nachdrücklich seine Bedeutung als wichtiger Partner für die freie Szene der darstellenden Künste in Wien. FAQ traf die Intendantin Kira Kirsch in der aktuellen Homebase im studio brut, bei der sie zuversichtlich verlautbarte, dass sie bis zum Ende ihrer Dienstzeit unter dem Motto brut all over Vienna alle Bezirke bespielen werde.

Kira_Kirsch_c_Meike_Kenn.pngKira Kirsch © Meike Kenn

FAQ: Bestimmt eines der Highlights dieser Saison: Die libanesische Künstlerin Tania El Khoury ist im November das erste Mal in Österreich und wird die Performance-Installation Gardens Speak in der Galerie Die Schöne präsentieren.

Kira Kirsch: Wir sind stolz, dass diese international bekannte Künstlerin aus dem Libanon das erste Mal zu uns nach Österreich kommen wird. Mehrere Aspekte ihrer Arbeit haben sie für eine brut-Programmierung empfohlen: Sie kommt aus einem Land, das derzeit im Kunstbereich unterrepräsentiert ist. Sie hat eine politische Message: Geschichten von Menschen, die im Widerstand gestorben sind, werden hörbar und erlebbar gemacht. Und Gardens Speak findet eben nicht im Theater statt, sondern in einem ungewöhnlichen Setting – was die Erfahrung ihrer Performance-Installation noch verstärkt.

brut im Sinne von New Art on Stage ist nicht nur ein Raum für Kunst, sondern auch ein politischer und sozialer Raum und ein Mitinitiator von Die Vielen. Können Sie kurz die Anliegen dieser Initiative erklären?

Im deutschsprachigen Raum haben sich Privatpersonen und Kulturinstitutionen zusammengetan, um für die Freiheit der Kunst einzustehen und politisches Eingreifen in künstlerische Programme zu verhindern. Diese deutliche Artikulation soll demokratische Werte bewusst stärken und damit die Möglichkeit schaffen, bei politischer Repression für- und miteinander agieren zu können. Gerade eine „Politik der Einzelfälle“, wie sie ja in Österreich von der FPÖ betrieben wird, muss als Strategie erkannt und verhindert werden. Die Erklärung von Die Vielen ist in einem kollektiven Schreibprozess entstanden und für die österreichische Situation offen formuliert worden. Man verpflichtet sich als Institution im Sinne von Die Vielen, zu handeln und Veranstaltungen zu initiieren – das heißt im Sinn einer solidarischen, offenen Gesellschaft zu agieren. In Deutschland haben Die Vielen für jedes Bundesland eine eigene Erklärung verfasst und sich darin auf die jeweilige politische Situation bezogen. Dort gibt es heftige Angriffe. Die AfD hat Kulturinstitutionen zum Teil stark attackiert. Es gibt bereits eine Liste von gesammelten Vorfällen, die vor kurzem veröffentlicht wurde.

Die internationale Vernetzung österreichischer Künstler und Künstlerinnen aus der freien Theater-, Tanz- und Performanceszene ist ein permanentes Anliegen von brut. Eine neue Initiative im Rahmen eines EU-Projektes nennt sich Be SpectACTive! Was verbirgt sich hinter diesem Imperativ?

Das Spezielle an diesem Netzwerk mit dem vielleicht etwas sperrigen Namen sind die annähernd 20 verschiedenen, sehr unterschiedlichen Partner-Institutionen wie Theaterhäuser, Festivals aber auch Universitäten – Cultural Studies, Political Sciences und Sociology of Culture – aus 15 europäischen Ländern, die Prozesse in Theaterhäusern untersuchen. Ziel von Be SpectACTive! ist der Aufbau eines neuen Verhältnisses zum Publikum durch sogenanntes active spectatorship. Es stellt den Versuch dar, das Publikum stärker in die kreativen und organisatorischen Prozesse eines Hauses oder eines Festivals miteinzubeziehen. Dafür werden individuelle Tools konzipiert: wir nennen unseres BEATE. Die Abkürzung steht für „Bruts Engaged Audience as Theater Experts“. Dieser Publikums-club, eine geschlossene Gruppe, wird regelmäßig Proben besuchen und sich auf unterschiedlichen Ebenen mit den Kunstschaffenden austauschen, um Prozesse und Entscheidungsfindungen zu analysieren und sich zu beteiligen. Ich hätte mich während meines Theaterwissenschafts-Studiums sehr gefreut, so etwas zu haben. Also die Möglichkeit, Einblicke zu bekommen, wie ein Theater produziert und arbeitet. Wobei man sagen muss, dass es da natürlich große Unterschiede gibt. brut als Koproduktionshaus für die freie Szene ist ein ganz anderer Betrieb als beispielsweise das Volkstheater.

Es werden auch heuer wieder viele Outreach-Formate angeboten. Neben BEATE, dem neuen Publikumsclub oder den letters for later, initiiert von der Künstlerin Claire Lefèvre, auch die brut extras: out and about – Stadterkundungen mit Künstlern und handle with care – Werkgespräche und Einblicke in Probenprozesse. Neu ist das Format Aperitivo – ein Get-together mit Stückeinführung.

Aperitivo ist das Nachfolgeformat von brut Stammtisch. Der Stammtisch ist ursprünglich entstanden, weil wir eine sehr schöne Küche im Künstlerhaus hatten. Das hat gut und zudem niederschwellig funktioniert – auch ohne ein bestimmtes Thema. Alles war sehr offen, manchmal sind durch die Gespräche auch Zusammenarbeiten entstanden. An anderen Tagen wurde einfach nur gegessen und getratscht. Als wir anfingen, durch die Stadt zu touren, haben wir gesehen, dass ein Stammtisch natürlich von einem fixen Ort lebt. Aber ohne einen Stammplatz, Stammort oder ein Stammhaus macht ein Stammtisch wenig Sinn. Wir haben dementsprechend nach einem neuen Format gesucht, das sich stärker mit den verschiedenen Orten verbindet, an denen wir veranstalten. Anstelle einer klassischen Stückeinführung wird nicht nur über die bevorstehende Performance gesprochen, sondern auch mit Menschen, die in der Gegend wohnen oder arbeiten. Bei der Eröffnungsperformance DIORAMA werden wir uns eineinhalb Stunden vor Beginn treffen, kurz mit der norwegischen Künstlerin Ingri Fiksdal sprechen und dann als Gruppe durch die Seestadt gehen und Bewohner eines Gemeinschaftsprojekts besuchen.

Sie haben bezugnehmend auf die ambulante Situation von einem „Standbein und einem Spielbein“ des brut gesprochen. Das fünfte Jahr Ihrer Intendanz bricht nun an. Können Sie sich noch an Ihre Anfangszeit erinnern?

Ja, sehr gut! Ich habe gleich nach einer Woche erfahren, dass es eine Generalsanierung des Künstlerhauses geben wird. Aber es hat eine Weile gedauert, bis wir das volle Ausmaß dieser Umstände verstanden haben. Da es ja nicht nur Vorstellungen am Abend gab, sondern tagsüber auch Proben und einen Bürobetrieb, war es unmöglich, neben dieser Baustelle zu arbeiten. In meiner ersten Spielzeit mussten wir dann den Entschluss fassen, aus dem Künstlerhaus auszuziehen. Passenderweise war das Stadterkunden eine meiner Anfangsideen im Rahmen meines künstlerischen Konzepts für brut. Das Schweizer Theaterkollektiv mercimax inszenierte 2015 zur damaligen Saisoneröffnung eine mobile Performance mit dem Namen AUTOBALLET. Nicht alle Projekte passen in einen neutralen Theaterraum. Viele Erzählungen müssen raus aus der Black Box des Theaters.

www.brut-wien.at

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