Tiere im Film, das ist das überraschende und zugleich kaum eingrenzbare Thema der heurigen Viennale-Retrospektive. Wie nähert man sich so einer Aufgabe an?
Wir haben dieses Thema schon letztes Jahr diskutiert – und dann entschieden, keinen Kurator von außen anzufragen. Da es ohnehin eine unerschöpfliche Thematik ist, kann man vielleicht auch eine lockere Haltung einnehmen. Für mich ist es ein interessantes Thema, seit ich Filme sehe, aber aufgrund seiner enormen Dimension habe ich immer davor zurückgeschreckt, eine Schau darüber zu machen. Ich habe öfters mit Kollegen darüber gesprochen, wie mit dem französischen Filmtheoretiker Raymond Bellour, weil ich dachte, damit müsse man jemand beauftragen. Aber auch vor dieser Person türmt sich dann dieses Gebirge auf … Deshalb war ich einverstanden, dass Hans Hurch und ich gemeinsam einen praktischen Vorschlag machen, wie man sich zu diesem Filmthema verhalten kann – eine Filmauswahl, die nichts Abschließendes oder akademisch Ausgewogenes beansprucht, sondern sich damit bescheidet, das Terrain möglichst großflächig und zugleich subjektiv abzustecken. Wir wollten möglichst viele Menschen ansprechen, Cinephile und Tierliebende ebenso wie Studierende und Forscher, die sich reflexiv mit Tieren befassen. Wichtig war uns, dass diese Retrospektive eine weitergehende Beschäftigung anregt. Sie folgt aber nicht dem Motto „Everything you always wanted to know about animals in movies“. Das wäre bei diesem umfassenden Thema absurd.
In den vergangenen Jahren fiel mehrfach eine Beschäftigung mit Tieren im Film auf: in Publikationen, Filmschauen, Symposien. Auch das Filmmuseum interessierte sich vor einigen Jahren für Hunde im Film. Woher rührt dieses Interesse?
Auch wir beziehen uns auf das deutlich verstärkte Interesse in den Kulturwissenschaften, das ungefähr seit dem Jahr 2000 zu beobachten ist. Es gibt die critical animal studies, die ökologisch inspirierte Kulturwissenschaft, auch posthumanistische Philosophie-Debatten, wenn man etwa an die documenta denkt. Überspitzt formuliert: Der Bürgerstatus von Pflanzen und Tieren auf unserem Planeten ist mittlerweile ein Thema der Philosophie geworden. Aus Filmsicht gab es einige Aktivitäten, die auf bestimmte Aspekte konzentriert waren. Etwa Sabine Nessels und Heide Schlüpmanns Publikation „Zoo und Kino“ oder die Untersuchungen des Wildlife-Aspekts in Natur-Dokumentationen, wo man der Frage nachging, was das Leben wilder Tiere in der Wildnis für den Dokumentarismus bedeutet. Wir wollten aber keinen spezialistischen Zugang zu dieser Thematik wählen, sondern einen, der von starken filmischen Äußerungen in allen Gattungen ausgeht.
Wie kommt diese Rückkehr der Tiere im Film?
Der Mensch ist selber ein Tier und es sollte einem klar sein, wenn man so eine Schau besucht, die Animals heißt, dass als erstes und wesentliches Tier der Homo sapiens dasteht. Auch wenn man vom Kino der Raubtiere oder der Vögel oder der Fische spricht. Die Kinematografie ist eine jener Kulturtechniken, die der Mensch vor circa 120, 130 Jahren begonnen hat – und genau zu diesem Zeitpunkt beschleunigt sich auch das Verschwinden der Tiere aus den Lebenszusammenhängen des Menschen. Es ist kein Zufall, dass etwa in den 1870er Jahren die Naturparkbewegung in den USA begann, die explizite Wahrnehmung der Ausrottung von Tierarten, die langsame Verdrängung von Tieren in landwirtschaftlichen Zusammenhängen durch Maschinen. Das Tier kehrte aber in kulturalisierter Gestalt zurück. Der Zoo ist eine sehr bekannte Art, in der diese Rückkehr inszeniert wird und in der unser Blick weiterhin auf Tiere fallen kann – allerdings auch der Blick der Tiere auf uns zurück. Der Zoo ist eine visuelle Inszenierungsstrategie, das Kino ist auch eine solche. Der Tierkitsch in der kapitalistischen Ära ist zum Beispiel auch eine solche, kurz: Die Menschen entwickeln Weisen, das Tier anders weiterexistieren zu lassen. Insofern ist das maßgebliche Tier unter diesen Tieren der Mensch.
In Sam Fullers „White Dog“ (1982) findet eine Frau einen Hund, der auf die Tötung schwarzer Menschen abgerichtet wurde. Das gleicht einem Schock und Vertrauensverlust. Der Hund als vertrauter Partner des Menschen wird urplötzlich zum Fremden. Im Film geht es nun darum, den Hund zu resozialisieren. Womit man auch gleich bei menschlichen Kategorien ist. Welche Rolle spielt Anthropomorphismus, also die Vermenschlichung von Tieren, in Filmen?
Die von Ihnen angesprochene Frage der Einsicht in das, was mit einem Tier möglich ist und was nicht, ist auch eine Frage, die das Kino immer wieder zu beantworten sucht. Ich glaube, dass ein Gutteil der spannenderen, bleibenderen Filme der Filmgeschichte, die sich mit Tieren befassen, ein Bewusstsein für diese Grenzen hat. Natürlich zeigen wir auch Beispiele eines Kinos, in dem die Schwierigkeit der Sozialisierung eines Tieres gar nicht sichtbar werden soll, in Lassie Come Home zum Beispiel. White Dog könnte ein Kontrastbild zu Lassie darstellen. Es gibt natürlich auch die Horror-Variante des Kinotiers, die etwa durch The Fly und King Kong vertreten ist, die wir aber auch schon in den beiden Horrorfilm-Retrospektiven 2013 und 2014 thematisiert haben. Es scheint mir wichtig, dass das Tier nicht nur smooth in die menschliche Gesellschaft eintritt, sondern ein Störelement ist, ein Stachel, der die eigene Begrenztheit und Tierhaftigkeit bewusst macht. In The Fly wie auch in White Dog und überhaupt in der Mehrzahl der Filme, die wir ausgesucht haben, wird eine Grenze, eine Bruchstelle im problemlosen Zusammenleben von Menschen und Tieren spürbar. Das kann natürlich auch witzige Formen annehmen. Man sieht am Kino einerseits, wie der Mensch sich die Natur Untertan zu machen versucht, seit der Industrialisierung in noch höherem Ausmaß. Die Natur zurechtzubiegen, und ihr jene ideologischen Funktionen zuzuweisen, die der Gesellschaft behagen. Dass das Kino auch diese Funktion hatte, kann man nicht abstreiten. Man sieht es schon im frühen Kino: dort wird das Hundetheater dokumentiert, Tiere auf Varieté-Bühnen, eine irrsinnig grausame Leopardenjagd, das Jagen von Seehunden in Tasmanien, das Jagen von Fischen mithilfe von Kormoranen, die man ins Meer hält, bis sich in den Mündern und Hälsen des Vogels die Fische fangen. Das frühe Kino hat eine ganze Latte an solchen Umgangsformen mit Tieren, die heute verpönt sind. Das verschreckt das Publikum zum Teil mehr als die Tötung eines Tieres, weil man solche Dinge heute nicht mehr zeigen würde.
Vollständiger Artikel in der Printausgabe.