David Fincher ist kein Mann fürs Grobe. Sein Name steht für Qualität, Tiefgang und Präzi-sion. Der Regisseur von Filmen wie Se7en, Fight Club, Panic Room oder Zodiac hat im Laufe seiner Karriere immer wieder gezeigt, dass er mehr kann, als mit perfekt inszenierten Serienkiller-Thrillern zu verstören. Seine episch angelegter Film The Curious Case of Benjamin Button aus dem Jahr 2012, der auf einer Kurzgeschichte von Scott Fitzgerald basiert, ist bis heute eine Ausnahme im US-amerikanischen Kino. Auch die Facebook-Aufsteigersatire The Social Network (2010) und Mank (2021), der die Entstehungsgeschichte des Drehbuchs zu dem Filmklassiker Citizen Kane thematisiert, zeugen davon, mit wie viel Wandlungsfähigkeit und Freude am Geschichtenerzählen sich Fincher den üblichen Kategorisierungen weitgehend entzieht.
Dass er dafür akribisch an jeder Einstellung bastelt und seinen Schauspielern unzählige Takes abverlangt, ist auch über die Grenzen Hollywoods hinaus längst kein Geheimnis mehr. Rooney Mara, die in The Girl with the Dragon Tattoo (2011), Finchers Adaption von Stieg Larssons Roman „Verblendung“, die Hauptrolle spielte, drückte es einmal so aus: „Es gab viele Momente, in denen ich Dinge anders machen wollte oder meine eigenen Vorstellungen hatte, was meine Figur oder eine bestimmte Szene angeht – und wenn sich eine Idee als besser erweist, hat David überhaupt kein Ego. Aber in der Regel haben die Leute einfach keine besseren Ideen als er.“
Für einen Regisseur, der so sehr auf Genauigkeit und Perfektion bedacht ist, scheint es umso erstaunlicher, dass Fincher mit The Killer jetzt einen Film gedreht hat, in dem die sorgfältig geordnete Welt eines asketischen Auftragsmörders durch einen selbstverschuldeten Störfall in der Routine langsam aus den Fugen gerät. Jener namenlose Hitman wird mit einer bestechenden Zen-Coolness von Michael Fassbender gespielt, der in einem fließenden Monolog über die verschiedenen Charakteristiken seines Berufs und viele andere Themen reflektiert, wie etwa die Unmoral der Welt oder die Musik der britischen Rockband The Smiths. Währenddessen sitzt, steht oder liegt er hoch oben in einem Bürokomplex und zielt mit seinem Scharfschützengewehr auf ein Pariser Fünf-Sterne-Hotel, bis sein Opfer in der Suite gegenüber auftaucht und er – im falschen Moment – den Abzug drückt.
Die Folgen seines Fehlers sind schwerwiegend und fatal. Fortan jettet der Killer unter diversen Pseudonymen durch eine Welt, die auf Anonymität, Macht und Geld ausgerichtet ist. Bei dem Versuch, seine eigene Haut zu retten, durchläuft er verschiedene Stationen, die dem Zuschauer bis zum Schluss kaum mehr darüber verraten, wer oder was genau hinter Fassbenders stählerner Fassade steckt.
Angesichts der vermeintlichen Schlichtheit, mit der The Killer aufwartet, scheint der Film zunächst wie eine Fingerübung in Finchers Œuvre zu wirken. Doch es ist das unzuverlässige Voice-over Fassbenders, das der versierte Regisseur mit teuflisch klugen Schnitten und Perspektivwechseln untergräbt, sodass das, was wir hören, bald immer weniger mit dem übereinstimmt, was wir sehen. Das erhebt The Killer letztlich zu einem Thriller von großer Eleganz, der mit gewohnt düsterem Humor und viel Feingefühl inszeniert ist. Fassbenders unergründliche Mimik ist genau richtig dafür.
Herr Fincher, für das Drehbuch zu „The Killer“ haben Sie sich nach der gemeinsamen Zusammenarbeit bei „Se7en“ erneut mit dem Autor Andrew Kevin Walker zusammengetan. Was hat Sie am Stoff gereizt?
Als ich das erste Mal auf die Graphic Novel stieß, gefiel mir die Idee, mit dem Klischee zu spielen, das den meisten Filmen über Auftragskiller zugrunde liegt: Dieses Bild vom skrupellosen, einsamen Killer, der ein ganzes Arsenal an Waffen besitzt, die alle präzise vor ihm auf einem Tisch ausgebreitet liegen. Aber als Andrew Kevin Walker dazu kam, wollte er genau dieses klassische Image komplett unterlaufen. Stattdessen wollte er zeigen, wie so ein Typ in der heutigen Welt funktioniert, in der alles anonym ist und man die absurdesten Dinge mit einem Klick auf dem Handy kaufen kann. Und die Vorstellung fand ich verlockend. Ich war auch fasziniert von der Rachegeschichte als System der Spannungserzeugung: Da ist dieser Killer, der sein ganzes Leben darauf hingearbeitet hat, nach der Pensionierung entspannt die Füße hochzulegen, und alles, was er tun muss, ist diesen einen letzten Job zu Ende zu bringen. Aber plötzlich wird sein ganzes Existenzmodell in Frage gestellt, weil er sein Ziel um Haaresbreite verpasst.
Michael Fassbender spielt den namenlosen Hitman mit ernster Miene und einer inneren Wut und Zerrissenheit. Was ist das für ein Typ?
Er ist jemand, der mit sich ringt, das, was er tut, in sehr technisch rigide, emotionslose Begriffe zu kleiden. Es ist seine Art, sich davon abzugrenzen, dass er ein kaltblütiger Auftragsmörder ist. Es macht ihm keinen Spaß, Menschen zu töten. Für ihn ist jeder Job lediglich eine Transaktion. Davon versucht er sich selbst zu überzeugen, in dem er im Kopf ständig sein eigenes Mantra wiederholt, in dem er sich sagt: Ich bin eigentlich gar nicht so skrupellos! Ich bin einfach ein Typ, der nach einem bestimmten Kodex lebt. Aber im Laufe des Films bricht dieser Kodex, diese Mauer aus Binsenweisheiten, Selbsterkenntnis und Illusion immer mehr in sich zusammen. Zu Beginn sagt er zum Beispiel, er würde nie einen Mord begehen, für den er nicht bezahlt wird. Am Ende tötet er eine ganze Reihe von Menschen als Konsequenz für den Job, den er verpatzt hat. Die Frage ist, wie passt das zusammen mit dem Kerl, den wir am Anfang kennengelernt haben, der so selbstbewusst und selbstsicher war? Und wie lässt sich die Tatsache, dass er sich plötzlich den kleinen Zeh stößt, so dramatisieren, dass es zu dem Bild passt, das wir in der Eingangssequenz zu sehen bekommen haben?
Was macht Michael Fassbender zu einem perfekt unperfekten Hitman?
Er ist undurchsichtig. Er hat Humor. Aber das wirklich Erstaunliche ist: Wenn man sich sein Gesicht über viele Monate hinweg ansieht, steckt darin diese seltsame, exquisite Mischung aus Charlton Heston und Laurence Olivier. Es ist einfach grandios.
Was ist das Besondere an Schauspielern wie Fassbender oder Brad Pitt, mit dem Sie sogar wiederholt zusammengearbeitet haben?
Sie sind Filmstars. Genauso wie Cate Blanchett auch. Morgan Freeman gehört ebenfalls in diese Riege. Damit meine ich nicht, dass sie auf den Titelseiten vieler Magazine zu sehen sind. Es geht darum, dass sie ein inneres Verständnis von der Kunst des Filmschauspiels haben – und das ist der Grund, warum das Publikum in sie investiert. Weil sie sich ganz und gar in den Dienst des Textes stellen. Weil sie immer und überall nach der Wahrheit suchen. Unentwegt. Es gibt andere Schauspieler, die auch gut sind, und die trotzdem nicht das gleiche Interesse im Zuschauer wecken.
Sie sind über Musikvideos zum Kino gekommen. Was haben Sie dabei für Ihre Arbeit mit Schauspielern gelernt?
Wenn man in der Musikwelt arbeitet, ist der Star auch der Finanzier, was eine interessante Sichtweise ist. Wenn man ein Madonna-Video dreht und eine Million Dollar ausgibt, ist sie diejenige, die dafür bezahlt. Und in den meisten Fällen wussten die Leute, die dafür ihr Geld ausgaben, was ihre Stärken waren und worin ihre Schwächen lagen. Es war dann an mir, das auf die bestmögliche Weise in visueller Form umzusetzen.
Macht es einen Unterschied für Sie, ob Sie ein Musikvideo oder einen Film drehen?
Nein, ich bin ein Regisseur. Ich drehe Musikvideos. Ich mache Werbespots. Ich könnte Live-Theater machen. Ich würde sogar Musicals oder die Eröffnung der Olympischen Spiele drehen. Eine Fernsehwerbung zu machen, ist für mich keine minderwertige Arbeit. Man benutzt einfach andere Muskeln. Genauso ist es nicht das Gleiche, ob man 400 Meter Sprint oder einen Marathon läuft.
Sie sind für Ihre vielen Takes bekannt. Worauf achten Sie, wenn Sie eine Szene drehen?
Zuerst suche ich nach der technischen Präzision, dann nach der Glaubwürdigkeit im Spiel und schließlich nach der Verschmelzung dieser beiden Elemente. Ich suche nach der Überraschung, dem Interessanten und dem Seltsamen. Etwas, an das ich zuvor nicht gedacht habe. Ich suche nach dem Fehler, der alles so aussehen lässt, als wäre es genauso passiert. Ich möchte über die Fiktion hinausgehen. Und manchmal dauert es eine Weile, bis man dieses Ziel erreicht. Aber wenn man zum Beispiel mit jemandem wie Tilda Swinton zusammenarbeitet, weiß man, dass sie bereits nach der dritten oder vierten Aufnahme so wirkt, als hätte sie den Moment verinnerlicht. Trotzdem ist es ihr egal, ob man tausend Takes von ihnen dreht. Sie ist ein Vollprofi und eine Schauspielerin, die den Einsatz nicht scheut, wenn am Ende ein besserer Film dabei herauskommt.
Es gibt kaum Dialoge in „The Killer“. Das Geschehen wird fast ausschließlich von Fassbenders Figur im Kopf kommentiert.
Mir gefiel das Voice-over der Graphic Novel von Anfang an, aber ich konnte mich zunächst nicht wirklich damit identifizieren. Ich habe zwar schon früher nihilistische Sachen gemacht, aber das schien mir nicht Grund genug, es ins Drehbuch zu übernehmen. Auch hier war es Andy, der großen Einfluss darauf hatte, worüber die Figur mit sich selbst spricht, und wie das Voice-over im Film funktionieren kann. Langsam bekam ich ein klareres Bild davon, wie einzigartig und seltsam die Idee war. Manchmal wirkt das Ganze auf mich wie ein Charles-Bronson-Thriller mit einem nicht diagnostizierten Autisten in der Hauptrolle, und die Vorstellung finde ich höchstinteressant …
Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 72
THE KILLER
Thriller, USA 2023 – Regie: David Fincher
Drehbuch Andrew Kevin Walker Kamera Erik Messerschmidt Schnitt Kirk Baxter Musik Trent Reznor, Atticus Ross Production Design Donald Graham Burt
Mit Michael Fassbender, Tilda Swinton, Charles Parnell, Arliss Howard, Kerry O’Malley, Sophie Charlotte, Sala Baker, Emiliano Pernía, Gabriel Polanco
Verleih Netflix, 118 Minuten
Kinostart 26.10.2023 (ab 10.11.2023 auf Netflix)