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Der ästhetische Diktator

Text: Ruth Schink | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Ort der Handlung

Das Café Goldegg, gegenüber der Wiener Bestattung, eines Abends im Januar des Jahres 2010.

Tex Rubinowitz erscheint pünklichst und in bester Laune zum Interview. Fester Händedruck, offener Blick, Wuschelhaar. Die Wahl des intarsiengeschwängerten Kaffeehauses findet er ebenso großartig, wie die „sexy Wurstfinger“ seines Gegenübers.

Nach Gesprächen über Dünnbierkneipen, Faustkämpfe und falsche Musikikonen starten wir ins eigentliche Interview. Als beiderseits bekennende Finnland-Verehrer sind wir längst beim Du angelangt.

Erste Szene: der Bienenerzieher 

Ruth Schink: Lieber Tex, in deiner Biografie gibt es einige Ungereimtheiten. Klär uns bitte auf. Dirk Blocker oder Dirk Wesenberg?

Längere Pause. Verwunderung. Das ist doch eine simple Frage.

Tex Rubinowitz: Blocker. Eigentlich. Noch einmal Pause. Stirnrunzeln. Fährt zügig fort.

Das ist etwas kompliziert. Ich hatte eine unschöne Kindheit. Es war alles sehr schwer. Ich wurde geschlagen … Und anderes … Keine wirklich schönen Geschichten.

Denkt nach. Da gibt es eine große Distanz zu meiner Vergangenheit. Daher vielleicht auch die unaufgeräumten Dinge in meiner Biografie.

Pam! Blattschuss. Mein Großhirn setzt für einige Sekunden aus. Lähmung. Einen Augenblick lang schaut man tief in den, der da sitzt, hinein. Großer Moment. Kein Theater. Entspannte Gesichtszüge. Ich fasse Mut und wage mich an die nächste Frage.

Lüneburg oder Hannover?

Hannover. Obwohl viele fragen: Du kommst ja aus der Lüneburger Heide, dort muss es doch schön sein, wenn es blüht, und so weiter, bla bla bla. Dabei ist die Heide gar nicht in der Nähe von Lüneburg! Alles Schwachsinn. Aber interessant, wie das funktioniert. Ich habe einmal versucht, diesen Eintrag auf Wikipedia zu ändern. Das war unmöglich. Da gibt es Wächter. Und dann wird erst einmal lange diskutiert. Wenn sich keine Mehrheit für Hannover findet, wird das einfach wieder gelöscht. Wikipedia ist eben ein Universum für sich.

Wenn du dir eine neue Identität zulegen könntest, wo würdest du leben wollen?

Ich würde in Tokyo leben. Der fantastischsten Stadt von allen.

Und was würdest du dort machen?

Ich wäre Bienenzüchter. Oder wie eine Japanerin das einmal sehr poetisch übersetzt hat „Bienenerzieher“. Bienenstämme sind einfach schön. Eine Gemeinschaft, die sich selbst erhält und schützt. Und ein unglaublich schönes Sozialgefüge, wahnsinnig solidarisch. Wunderbar, diese Völker. Alles Arbeiter. Das ist die einzige sozialistische Diktatur, die je wirklich funktioniert hat. Grinst zufrieden. Leicht entrückter Blick. Offensichtlich streift er gerade im Imker-Outfit über eine mailüftige Gänseblümchenwiese.

Warum bist du Anfang der Achtziger Jahre nach Wien gegangen?

Ich hatte ja fast nur Sechsen in meinem Zeugnis. Also bin ich von der Schule und wollte Imker werden. Habe mich beworben. Aber es wurde nichts daraus. Dann habe ich alles Mögliche gemacht. Joghurt abgefüllt und Fallschirme verpackt bei der Bundeswehr. Aber alles immer mit Freude. Und Neugier. Man lernt ja jeden Tag etwas Neues. Und das hat mich auch weitergebracht, diese Neugier. Und dann bin ich irgendwann nach Wien.

… um dort die rekordverdächtige Zeit von einer Woche (!) an der Universität für Angewandte Kunst in Wien zu studieren …

Warum bist du geblieben?

Was mich am meisten beeindruckt hat, als ich nach Wien kam, war die Architektur. Der Ring, dieser Pomp, diese Opulenz, die Demonstration von verloren gegangener Größe. Fantastisch!

Zwei feingliedrige Hände zeichnen die barocken Fassaden in der Luft nach. Ein unsanft serviertes Bier holt den Schöngeist wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Österreich ist langsam. Und schwerfällig. Und sadistisch … Wie Thomas Bernhard. Sadistisch und auch masochistisch. Aber mehr masochistisch. Die Volksseele ist leidend. Ein wenig düster. Das mag ich.

Typisch Rubinowitz. Er hasst oder er liebt. Er ist gerne radikal. Alles dazwischen wäre langweilige Ver¬schwendung.

Zweite Szene: Nackte Nobelpreisträger

Bist du Links- oder Rechtshänder?

Rechtshänder.

Diese Wette hätte ich verloren. Dabei sind sie doch alle Linkshänder: Picasso, Kafka, Goethe, Mozart, Da Vinci und so weiter. Auch da fällt er aus der Rolle. Schön. Gut.

Sind deine Zeichnungen mehr Dur oder Moll?

50:50 würde ich sagen. Oder sagen wir 30 Dur und 70 Moll. Ja, doch eher Moll. Eindeutig Moll.

Wie viel Blatt Papier verbrauchst du pro Tag?

Ich zeichne ja nicht jeden Tag. Nur zu Hause. Klassischerweise beim Zeitunglesen und Fernsehen. Wenn ich auf Reisen bin nicht. Das geht gar nicht. Unterwegs, unmöglich.

Weil man unterwegs nicht fernsehen kann?

Nein, das ist ja eine ganz eigenartige Verselbständigung – dieses Fernsehritual, diese Sucht. Früher habe ich wirklich so am Tisch gesessen (posiert steif, Handflächen plan aufgelegt) mit einem Blatt Papier und habe Kreise gemalt. Mittlerweile kann ich nur zeichnen, wenn ich fernsehe und ich kann auch nur fernsehen, wenn ich irgendetwas daneben tue. Ich registriere so nebenbei hörspielartig, was vorgeht.

Zeichnest du lieber zu Filmen oder Serien?

Am liebsten zu Serien. Das ist schön statisch.

Und Werbung?

Mich interessiert Werbung schon. Es wird etwas komprimiert. Einfach eingedampft, immer mehr eingedampft. Bis dann etwas ganz Schreckliches übrig bleibt. Ich hab ja auch einmal in der Werbung gearbeitet. Und ich hasse Werber. Das sind für mich die niedrigsten Menschen der Welt. Das ist genau wie bei David Lynch, wo die Kamera dann so runtergeht ins Gras, wo nicht definierbare Tiere, Käfer oder Ameisen kämpfen und komische Geräusche machen – das ist Werbung.

Wie lange brauchst du für eine Zeichnung?

Wie aus der Pistole geschossen, messerscharf: 2 Sekunden!

Maximal 5 Sekunden. Ich meine, es wird ja ganz schlecht bezahlt. Ich werde jetzt keine Zahlen nennen – aber es ist wirklich lächerlich. Absolut tragisch. Aber die Zeichnungen für den Standard und den Falter sind wie Visitenkarten, wie Angelhaken. Und manchmal kommt ein dicker Fisch, man macht Werbung, und das wird dann zwanzig Mal so gut bezahlt.

Was war dein größter Deal?

Langgezogenes Raunen.

Das war ein Ölgemälde. Elfriede Jelinek nackt. Und zwar hab ich das in einer Ausstellung gehabt, in einer Galerie in Wien. Die wollten eigentlich nur Zeichnungen. Ich hab aber schnell mal meinen Ölmalkasten rausgeholt. Kurz davor ist Elfriede Jelinek Literaturnobelpreisträgerin geworden. Sie als Feministin und ich als Mann, der sich anmaßt, sie nackt zu malen! In einem Sektglas! Habe das dann gemalt und noch nass zur Galerie König getragen. Die Ölbilder sind sofort gekauft worden am nächsten Tag. Und da hat eben ein Bild 900 Euro gekostet. Das war mein höchster Preis. Das hat die Stadt Wien gekauft. Da werden dann irgendwelche Amtsstuben zwangsbeglückt. Und irgendein Schreiber muss jetzt diese nackte, im Sektglas schwimmende, Elfriede Jelinek anschauen. Ich muss das unbedingt herausfinden, wo das hängt und mit diesen Typen dann so reden: „Wie geht’s Ihnen damit?“

Hat Elfriede Jelinek es je gesehen?

Ja. Und jetzt kommt’s nämlich. Weil die Jelinek ist ja eine sehr schüchterne Frau. Öffentlichkeitsscheu. Das ist ja auch Quatsch nebenbei, weil die flicht sich ja Zöpfe, trägt Yamamoto-Anzüge und inszeniert sich. Aber sie hat das irgendwo mitbekommen, dass es Nacktbilder von ihr gibt und mochte die auch. Sie hat mir dann eine Mail geschrieben: „Lieber Herr Rubinowitz, gibt’s diese Bilder noch zu kaufen, ich hätte nämlich das eine so gern“. Aber die Bilder waren schon weg und dann hab ich ein neues gemalt für sie, ein Porträt mit extrem breitem Kinn. Aber erkennbar mit Zöpfchen. Danach hat sie sich nie mehr gerührt. Ich glaube sie hatte nichts dagegen, dass ich sie in einem Sektglas male – also eine fiese, frauenverachtende Darstellung – aber sie hatte etwas dagegen, dass sie ein dickes Kinn hat. Sie ist soweit, dass sie über ironische Frauendarstellungen hinweg sehen kann, aber das Gesicht ist ihr heilig. Da darf man nicht rumpfuschen. Vielleicht hätte ich ihr besser ein drittes Auge gemalt.

In diesem Moment taucht wie auf Bestellung die Hauskatze auf. Das eitelste Wesen im ganzen Raum, wenn nicht im ganzen Universum. Unnahbar und sich doch gleichzeitig in den Mittelpunkt der Bewunderung spielend. Ganz Jelinek. Rubinowitz applaudiert: „Eine rieeesen weiße Katze! Wie ein Eisbär.“

Dritte Szene: Die kolumbianische Posaune 

Im Hintergrund spielt Herb Alpert. Tijuana. Taste of Honey. „Ah ist das geil“. Und wie sooft an diesem Abend sind wir wieder beim Thema Musik gelandet. Nach verherenden Kritiken über Elvis und Falco wird es Zeit, sich seinen Lieblingsthemen zuzuwenden. Nichts leichter als das!

Wie tanzt man finnischen Tango?

Freut sich. Relativ einfach. Einfache Schritte. Eine Mischung aus Schieben und Watscheln. Aber ich selber kann nicht wirklich tanzen … Ich war auch in Argentinien, wo ein völlig affiger Stil gepflegt wird, von einer Minderheit zu touristischen Zwecken. Tango in Argentinien ist ja nicht vorhanden. So wie hier das Jodeln. In Finnland ist das ganz was anderes. Da können alle Tango. Selbst Soldaten müssen in ihrer Grundausbildung Tango lernen. Da geht es um Respekt und Höflichkeitsformen. Und dazu gehört eben auch das Tanzen.

Bist du Blasmusik-Fan?

Ja, ich liebe das sehr. Diesen Blechkörper. Das ist ein großer Traum von mir, mal in einer Marching Band zu spielen und zu gehen. Auch Trauermärsche sind wahnsinnig toll. In Indien gibt es so Wedding Brassbands. Die sind sehr tragisch und sehr lahm. Alles ist schief und krumm. Und dann haben sie noch einen Sänger dazu, der „hahaajaaaahaaa haaaa“ singt. Lässt sich eine zum Himmel heulende Gesangseinlage nicht nehmen. Die Stimmung kocht. Ah, fantastisch! Blech ist so toll!

Kannst du Noten lesen?

Solala. Ich lerne ja gerade Posaune. Und mein Lehrer, ein Kolumbianer, hat verlangt, dass ich Noten lerne. Ich wollte aber nicht. Bei der Posaune gibt es einen Zug und sieben Positionen. Die sind aber leider nicht so angeordnet wie bei der Blockflöte, dass die Töne hintereinander sind. Die sind ganz woanders. Man hat dann noch das Pusten, also unterschiedliche Lippenspitzdinge. Tief ist Lippen locker lassen und hoch ist Lippen pressen. Pfff, Pfff, Pff, PFFFFF! Virtuose Vorführung der Lippenspitzdinge. Und das grausame bei der Posaune: so schön das Instrument ist und die Töne, die sie macht, so grausam ist, dass man die immer suchen muss. Also hab ich so Hilfsnoten. Mein kolumbianischer Lehrer hat mich verachtet und ausgelacht. Aber ich sagte, ich will doch nur Go West von den Pet Shop Boys spielen. Puh puh, puhh puhh puhh puhhpuhh!

Bist du finanziell gesehen ein erfolgreicher Musiker?

Naja. Ich hab ja keine Ausgaben. Mein größter Luxus ist ein schönes Bier. Nimmt einen genüsslichen Zug von seiner frisch gezapften Halben. Gediegene Pause. Dann und wann reisen – das hat sich durch meine Reisereportagen teilweise amortisiert. Ich hab keine Kinder, keine Autos, keine Häuser, keine Bedürfnisse. Ich esse nichts. Aber mir geht’s wunderbar. Was ich liebe, ist Sport! Die Lebensgeister erwachen! Also Schwimmen und Laufen! Die Augen blitzen! Federleicht dirigiert er sich bis zum finalen Höhepunkt. Ich liebe Schlager (allegro)! Ich liebe Songcontest (vivace)! Ha! Hoffentlich kommt noch eine Songcontest-Frage (presto con brio)!

Nein, leider. Keine Songcontest-Frage. Enttäuschung auf beiden Seiten. Kurze Kapitulation. Schnell. Themenwechsel.

Du bist also sehr bescheiden?

Ich habe keine materiellen Ansprüche. Ästhetische Ansprüche habe ich dafür extrem. Ich bin wirklich diktatorisch, wenn etwas nicht stimmt mit Ästhetik. Auch mit akustischer Ästhetik. Ich hasse Klingeltöne und Telefongespräche. Deshalb hab ich jetzt einen Phonejammer gekauft, der alle Telefongespräche im Umkreis von 20 Metern zerstört. Das ist so ein kleines Ding. Sieht aus wie ein Elektroschocker. Hält inne, mit einem milden Lächeln, genährt aus süßer Erinnerung. Ich war jetzt ein paar Mal in Hamburg, und wenn ich das anschalte im Zugrestaurant, wo das ganz besonders ekelhaft ist, wenn Leute telefonieren und schreien, dann kriegt er den noch kurz an die Strippe „Hallo Heinzi“ „ich bin gleich“ „hallo“ „hallo“… Das ist toll. Sadismus pur. Diabolisches Grinsen. Man quält die Leute … Macht mir wahnsinnig Spaß.

Bist du ein Sadist?

Begeistertes Jajajaja!

Deine Zeichnungen wirken aber eher harmlos.

Bestätigend Fast lieblich, ja.

Natürlich hab ich auch was Liebliches in mir. Mich ergötzen auch Idyllen und etwas Schönes. Ich finde ja Esel schön. Oder Schafe. Oder Hühner. Natürlich gibt es diesen Hang zur Schönheit. Aber meine Schönheit ist halt eine andere als das, was die Leute da draußen schön finden.

Was ist Schönheit für dich?

Schönheit würde ich sagen, ist eine finnische Frau oder eine japanische Frau. Das idealste ist natürlich eine japanische Frau, die gerade finnisch lernt. Vorfreudiges Räuspern. Und ich bin nicht der Lehrer, sondern … äh (grinst breit) das ist jetzt Fetish Fantasy. Ich habe ja eigentlich keinen Fetisch. Aber Haare und Zähne sind ganz wichtig. Teigig, dickbackig, blass und dicke Haare. Das ist es.

Damit wäre auch schon alles gesagt. Fast alles.

Vierte Szene: Das Finale – kein Sex, keine Wiedergeburt

Zum Abschluss möchte ich Tex noch mit ein paar schnellen Rating-Fragen ins Schwitzen bringen. Bewertung von Minimum Null bis Maximum Zehn.

Bereit?

Ja. Schön.

Deine Qualitäten als Zeichner?

Zögerlich: Drei.

Als Maler?

Schon schneller: Auch Drei.

Als Sänger?

Hmmm. Verunsicherung.

Okay, mach aus der Drei beim Zeichner eine Vier und beim Sänger eine Drei.

Als Autor?

Ach Scheiße. Ärgernis. Muss das komplette System nochmal neu skaliert werden? Meinetwegen, als Autor Vier.

Als Schauspieler?

Eins! Das ging zügig.

Zu späterer Stunde muss ich diese Wertung auf 10 Iffland-Ring-verdächtige Punkte erhöhen – die Darstellung von Elton Johns haariger Hand in einem Tokyoter Plattenstore, inklusive dessen stoischem Leibwächter, ist Oscar-weit unerreicht.

Als Brillenmodel?

Wie aus der Pistole geschossen: Null!

Als Liebhaber?

Ach Gott!! Grinst gequält. Nein! Gib mir doch mal eine Zehn!

Jetzt belustigt: Nein: Minus Vier! Ich hab ja kein Liebesleben. Ich habe keinen Sex. Gibt’s ja nicht. Nicht vorhanden. Bin aber fröhlich dabei. (lacht)

Und wenn es eine Sexsituation gäbe?

Dann wäre ich ein vollkommener Idiot. Also schreib: Null!!

Bombenstimmung! Jetzt geht alles! Ich entscheide mich also für die großen Fragen der Menschheit.

Woher kommst du, wohin gehst du?

Ich gehe natürlich in die Wissenschaft. Das habe ich vorher schon ausgemacht. Das heißt, mein Körper soll nicht verbrannt oder vergraben werden. Sondern er soll in die medizinische Forschung. Was ich absolut logisch finde. Also ich verstehe gar nicht, warum Leute sich in der Erde von Würmern fressen lassen wollen.

Ich finde das absolut genial. Ich habe da auch so Phantasien, so Konzepte entwickelt: selbst seine eigene Todesanzeige schreiben. Dann lass ich mir einen Redakteur kommen vom Kurier oder von der Zeit und sag ihm „Ich geb’ dir tausend Euro, und wenn ich sterbe, soll das erscheinen“. Wie viele brave Leute an den Himmel glauben, glaube ich eben an das „Ich trete euch noch mal in den Arsch, ihr armen Schweine“.

Also kein Wiedergeburtsgläubiger?

Um Gottes Willen. Es gibt nichts! Das sagt einem die Logik! Es ist alles nur ein Märchen, mit dem die Religionen gut Münze gemacht und ihre schönen Kirchen gebaut haben. Ich halte mich aber schon für spirituell. Auf eine andere Art. Ich kann zum Beispiel Leute glücklich machen. Ich kann mich auch selbst glücklich machen. Ganz simples Beispiel: Wenn ich kalte Füße habe, kann ich in ungefähr zwei Minuten meine Füße warm machen. Nur durch Kraftanstrengung. Ich hab so eine Energie, dass ich die warm machen kann. Das ist sehr hilfreich.

Blickt auf seine Füße.

Eigentlich finde ich meinen Körper ja schrecklich. Er sieht grausam aus. Also Biertitten, Schwangerschaftsstreifen am Po, ganz dünne Beine, ganz hässliche Füße. Ein Ensemble von furchtbaren Dingen. Ich habe auch ganz viele Jahre meinen Körper gehasst. Und dann ist mir aufgefallen, das bringt ja überhaupt nichts. Wir arbeiten ja zusammen. Jetzt liebe ich meinen Körper wahnsinnig. Also ich finde ihn nicht schön, aber die Teile sind super. Meine Ohren zum Beispiel. Ich habe eine extreme Fähigkeit. Ich kann meine Ohren von innen verschließen. Ich habe einen Muskel, der die Eustachische Röhre verschließen kann. Ich bin dann nicht total taub, aber bis zu 40 Prozent. Das ist extrem toll.

Natürlich folgt eine Vorführung in ohrenbetäubender Echtzeit.

Drei Orte, die du unbedingt noch sehen musst, bevor du stirbst?

Da wäre erst einmal das Königreich Tonga. Als ehemalige deutsche Kolonie. Da würde ich dann den Leuten Platten vorspielen. Ich würde mit meinen 30 Singles da hinfahren und in einer Bar fragen „He, dein Urgroßvater und mein Urgroßvater, wir waren mal…“ Und so weiter. Sehr schön wäre das. Spannend.

Nach Recherchen waren es dann doch eher die Niederländer, die im Südpazifiik Hof hielten. Aber egal. Rubinowitz gerät ins Schwärmen. Springt voll auf den Zug auf.

Und dann käme Mali, mitten in der Wüste. Ich bin ja nur ein einziges Mal in Afrika gewesen, in Eritrea, das fand ich unglaublich toll. Unglaublich arm. Das war mal eine italienische Kolonie. Und die haben tolle Architektur dort. Asmara, die Hauptstadt – da baute Mussolini, der Interesse an futuristischer Architektur hatte. Da gibt’s wahnsinnige Art Déco, riesige Kinos, bauhausartiges Zeugs, mitten in der Wüste. Und weil es dort so trocken ist, kann die Gebäude keine Feuchtigkeit kaputt machen. Und die Frauen sehen alle aus wie Pam Greer in Jackie Brown. Sagenhaft!

Und Nummer 3?

Wäre Seborga. Das ist ein Fürstentum von eigenen Gnaden, das zwischen Genua und Frankreich liegt. Eine folkloristische Enklave, mit einem kleinen dicken Fürsten mit Bart, einer eigenen Feigen-Marmelade und einem berühmten Früchtekuchen.

Punkt. Aus. Stille. Schön. Eine geht noch. Wie sieht das Paradies auf Erden aus?

Das kommt auf die Situation an. Wenn man im Ravintola Sea Horse in Helsinki sitzt, ist die Atmosphäre so wahnsinnig schön. Unfassbar fantastisch. Die frittierten baltischen Heringe, mit Kartoffelbrei und Roter Bete – eine vollkommen banale Speise eigentlich – werden an diesem Ort zu etwas Großartigem. Da zu sitzen, wie in einer Wabe – man sitzt in so Kojen. Man sagt „yksi olut“, ein Bier. Man sagt nicht bitte, nicht danke. Das Essen steht einfach da, man isst, das passt einfach zusammen. Es gibt keine Musik, nur Ruhe. Eine Stillheit, eine Verdämmertheit. Für mich eine schöne Vorstufe des Sarges.

Epilog

258 Minuten, zwei Kneipensperrstunden und einige Biere später endet das Gespräch mit Tex Rubinowitz, und ein weiteres Fan-Idol-Treffen findet ein Happy End.

Tex Rubinowitz Geboren 1961 in Hannover, lebt in Wien. Zeichner, Autor und Musiker, Saunabesitzer, Marathonläufer und Finnland-Fan. Der passionierte Sammler und Donau-Kaltwasserschwimmer veröffentlicht seine Cartoons in der Zeit, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Standard, im Falter und im Satire-Magazin Titanic.

Sein aktuelles Brillenmodell heißt „Sylt“.

 

| FAQ 06 | | Text: Ruth Schink | Fotos: Magdalena Blaszczuk
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