„I saw a Rohmer film once. It was kinda like watching paint dry.“ Mit dieser wenig schmeichelhaften Kritik meint es Gene Hackman als Privatdetektiv im Neo-Noir Night Moves (1975) zwar ernst, Regisseur Arthur Penn teilte diese Auffassung allerdings nicht: Er war ein großer Bewunderer des französischen Filmemachers Éric Rohmer (eigentlich Jean Marie Maurice Schérer, 1920–2010). Der Detektiv steht hier vielmehr für jene Zuseher, die auf Action und Effekt getrimmt sind und dabei psychologische Nuancen übersehen. Denn in Rohmers Filmen passiert durchaus viel – allerdings viel stärker auf geistiger Ebene denn hinsichtlich der Handlung.
Louis Trintignant und Françoise Fabian in „Meine Nacht bei Maud“
In Night Moves läuft übrigens Rohmers Meine Nacht bei Maud (Ma nuit chez Maud) in einem Programmkino. Dieser populärste Spielfilm des Regisseurs markiert den dritten Teil seines aus sechs Werken bestehenden Zyklus „Moralische Erzählungen, der zwischen 1962 und 1972 entstand. Im Zentrum des Films steht der junge katholische Ingenieur Jean-Louis (Jean-Louis Trintignant), dem während eines Gottesdienstes die junge Françoise auffällt. Die schöne Blonde gefällt ihm sogar derart gut, dass er sie heiraten will. Zunächst lernt er aber über seinen kommunistischen Bekannten Vidal die geschiedene Maud kennen. Das Trio diskutiert lebhaft über Themen wie Ehe und Religion, dann verabschiedet sich Vidal. Jean-Louis und Maud verbringen die Nacht zu zweit in Mauds Wohnung, wobei er allerdings ihre Avancen ablehnt. Am nächsten Tag macht Jean-Louis Françoise einen Antrag und sie heiraten. Doch ein paar Jahre später stellt sich heraus, dass die beiden Frauen in einem pikanten Verhältnis zueinander standen – Françoise war die Geliebte von Mauds Mann.
Dass an dieser Stelle keine Spoilerwarnung kommt, hat einerseits mit dem Alter des Films, andererseits schlicht mit Rohmers Verweigerung des Melodramatischen zu tun: Jean-Louis und Françoise, die mittlerweile auch Eltern geworden sind, beschließen schlicht, über ihre Vergangenheit zu schweigen und mit ihrer Beziehung weiterzumachen. Der Film, der in den Kategorien Bester fremdsprachiger Film und Bestes Drehbuch für den Oscar nominiert war, vereint alle Trademarks Rohmers: lange Dialogpassagen, ein Minimum an äußerer Handlung und das Verhältnis von Männern und Frauen. Ein Leitthema bildet dabei die Philosophie Blaise Pascals, insbesondere die berühmte Gotteswette. Auch bildet der Film eines der Rohmerschen Credos ab, wonach er sich weniger damit beschäftigen wolle, was Menschen tun, sondern vielmehr damit, was sie denken, während sie es tun. Close-ups lehnte der Regisseur ab, weil sie ihm nicht dafür repräsentativ erschienen, wie man einen anderen Menschen wahrnehme. Weitere Besonderheiten des Meisters, der im Medium Film eine Verwandtschaft mit Literatur erkannte: der Verzicht auf einen klassischen Soundtrack, der oftmalige Einsatz von Laien und chronologische Dreharbeiten. Rohmer arbeitete bereits in Meine Nacht bei Maud mit einem reduzierten Set an Figuren, was er später auch auf die Personage hinter Kamera ausdehen sollte: Außer ihm und den Schauspielern bestand seine Crew ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre nur noch aus Kamera- und Tonmann.
Jean- Claude Brialy, Laurence de Monaghan in „Claires Knie“
Die bei Arthaus erschiene DVD-Box „Eric Rohmer – Moralische Erzählungen“ umfasst alle Filme des Zyklus „Moralische Erzählungen“, wobei es gleich zwei Premieren zu verzeichnen gibt: Sowohl Die Karriere von Suzanne (La Carrière de Suzanne, 1963) als auch – als Bonus – Die Bäckerin von Monceau (La Boulangère de Monceau, 1962; der Kurzfilm war nicht im Kinoeinsatz) erscheinen erstmals auf Disc. So lassen sich die Werke des Meisters in bester Bildqualität neu- oder wiederentdecken.
Eric Rohmer: Moralische Erzählungen
DVD-Schuber (fünf DVDs): Die Karriere von Suzanne (1963)
Die Sammlerin (1967), Meine Nacht bei Maud (1969)
Claires Knie (1970), Die Liebe am Nachmittag (1972)
Die Bäckerin von Monceau (1962) – DVD-Premiere
Lauflänge: ca. 460 Minuten
(Arthaus)