Während der umfangreichen Vorbereitungsarbeiten zu Shoah traf Claude Lanzmann Benjamin Murmelstein, den letzten Vorsitzenden des sogenannten Judenrates im Ghetto von Theresienstadt. Dass Lanzmann die Aufnahmen jener Gespräche, die 1975 stattfanden, schlussendlich nicht für Shoah verwendete, erwies sich als großer Glücksfall, denn er entschloss sich, die faszinierende Persönlichkeit Murmelstein in den Mittelpunkt eines eigenen Films zu stellen. Den Kern von Der Letzte der Ungerechten bildet das Gesprächsdokument, das Claude Lanzmann 1975 im Verlauf mehrerer Tage filmisch festhielt. Wie bei Shoah, seinem epochalen Werk zum Holocaust, mit dem Lanzmann Maßstäbe im Dokumentarfilm setzte, hält er auch in Der Letzte der Ungerechten an seinen formalen Prinzipien fest: Archivmaterial wird nicht verwendet, nur mit Interviews und Rückkehr mit der Kamera an Schauplätze des Holocaust ruft Lanzmann den größten Sündenfall der Menschheit ins Gedächtnis. Im Mittelpunkt steht mit dem in Lemberg geborenen und ab 1923 in Wien lebenden Benjamin Murmelstein ein Mann, dessen Biografie auch die Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Dabei sah er sich einem moralischen Dilemma gegenüber, das eigentlich unauflöslich war, trotzdem gelang es Murmelstein auch inmitten unvorstellbaren Grauens, moralische Integrität zu bewahren. Claude Lanzmann schuf mit Der Letzte der Ungerechten nicht nur ein großartiges Porträt eines beeindruckenden Menschen, sondern auch einen weiteren Meilenstein im Dokumentarischen.
Kelly Reichardt hat sich in der jüngeren Vergangenheit als eine der spannendsten Regisseurinnen des US-amerikanischen Independentkinos etabliert. Im Mittelpunkt von Night Moves stehen drei Protagonisten, die sich in ihrem Einsatz für eine bessere Welt zu einem drastischen Schritt entschließen: Um den Forderungen nach einer ökologisch verträglichen Lebensweise Nachdruck zu verleihen, sprengen sie einen Staudamm. Doch der Plan, ein deutliches Zeichen zu setzen, bei dem niemand zu Schaden kommt, verläuft nicht ganz wie gedacht. Night Moves beginnt als ungewöhnlich ruhiger Thriller, der minutiös die Vorbereitungen auf den Anschlag zeigt und dabei die Entschlossenheit der Aktivisten deutlich macht. Doch nach der Tat treten bald deutliche Bruchlinien innerhalb der kleinen Gruppe auf, Reichardts Inszenierung wird zu einem beklemmenden Psychogramm einer Radikalisierung, das den Wandel von engagierten Idealisten zu Tugendtätern porträtiert.
Jim Jarmusch zählt schon seit geraumer Zeit zu den großen Ikonen des Independentfilms. Eine nun erscheinende Edition vereinigt alle zwölf bisherigen Regiearbeiten Jarmuschs, von seinem Debütfilm Permanent Vacation aus dem Jahr 1980 bis zu der postmodernen Variation des Vampirmythos Only Lovers Left Alive (2013). Dazwischen manifestieren sich anhand seines Gesamtwerks, das etwa den skurril-melancholischen Down by Law, die Western-Paraphrase Dead Man (mit Johnny Depp in der Hauptrolle) oder den wunderbaren Neo-Noir-Krimi Ghost Dog: The Way of the Samurai beinhaltet, die vielen Facetten des Filmemachers Jarmusch.
Der Letzte der Ungerechten /Le Dernier des injustes
Regie: Claude Lanzmann
Edition Filmladen, 220 Minuten
Bereits erschienen
Night Moves
Regie: Kelly Reichardt
Mit Jesse Eisenberg, Dakota Fanning, Peter Sarsgaard
Ascot Elite, 112 Minuten
erscheint am 17. Februar 2015
Jim Jarmusch – The Complete Collection
Arthaus/Studiocanal
Erscheint am 11. Dezember