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Der Spielwütige

Text: Jörg Schiffauer | Fotos: Studiocanal

Harvey Keitel zählt seit den siebziger Jahren zu den markantesten Figuren des US-amerikanischen Kinos. Im Interview lässt er eine Karriere Revue passieren, die längst schon weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinausragt.

„Taxi Driver“, Martin Scorsese (1976)

ls im November 1967 ein kleiner Independent-Film im Rahmen des Chicago International Film Festival uraufgeführt wurde, war das eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Premiere. Who’s That Knocking at My Door markierte nicht nur das viel beachtete Langspielfilmdebüt eines jungen Regisseurs namens Martin Scorsese, sondern auch den Beginn der höchst produktiven Zusammenarbeit mit Harvey Keitel. Der bis dahin völlig unbekannte Schauspieler verstand es in der Rolle eines Italo-Amerikaners, der in eine stürmische Beziehung mit einer jungen Frau gerät, eindrucksvoll auf sich aufmerksam zu machen.

Der am 13. Mai 1939 in Brooklyn, New York geborene Harvey Keitel studierte bei den ebenso renommierten wie einflussreichen Schauspiellehrern Lee Strasberg und Stella Adler, nach einigen Erfahrungen in Off-Broadway-Stücken beeindruckte er gleich mit seinem ersten großen Auftritt – vor Who’s That Knocking hatte Keitel nur einen Mini-Auftritt in John Hustons Reflections in a Golden Eye – auf der Kinoleinwand. Die Arbeit unter der Regie von Scorsese in Mean Streets (1973) erwies sich abermals als bedeutende Zwischenstation in Harvey Keitels Karriere. Wiederum verkörpert Keitel einen Italo-Amerikaner mitten im Herzen von New York. Dieser, ein junger Mann namens Charlie, schlägt sich im Milieu von Little Italy, das Martin Scorsese aus eigener Anschauung kennt und so treffend zu zeichnen weiß, durchs Leben. Geprägt ist dieses Dasein durch Charlies Arbeit für seinen Onkel, ein Mitglied der Cosa Nostra, und den damit verbundenen Regeln sowie dem stark katholisch geprägten Hintergrund des jungen Mannes. Das ergibt schon genügend Reibungspunkte, die noch dadurch verstärkt werden, dass Charlie sich für Johnny (Robert De Niro), einen langjährigen Freund, verantwortlich fühlt. Doch die Verbindung wird immer wieder auf eine harte Probe gestellt, denn mit seinem impulsiven, oftmals provozierendem Verhalten, sorgt Johnny für prekäre Situationen und gerät in Konflikt mit Leuten, die man sich in einem Viertel wie Little Italy besser nicht zum Feind macht. Inmitten von Martin Scorseses atmosphärisch dichter Inszenierung des Mikrokosmos Little Italy wird bereits im frühen Stadium der Karriere von Harvey Keitel eine ganz besondere Qualität seiner Spiels deutlich. Zwischen der Hektik, die mit den kleinen und größeren Gaunereien und der latenten Gewalt einhergeht, wirkt der von Keitel gespielte Charlie wie ein geradezu unerschütterlicher Ruhepol. Keitels ruhige Präsenz bildet dabei einen scharfe Kontrast – ein konstituierendes Element der Dramaturgie von Mean Streets – zum stets überdrehten Gehabe von Johnny, den Robert De Niro mit einem gehörigen Maß an pathologisch anmutender Destruktivität ausstattet. Mean Streets zählte schon bald zu den bedeutendsten Arbeiten New Hollywoods, jener Bewegung, die bereits in den sechziger Jahren begonnen hatten, mit neuen, frischen Ideen für einen gewaltigen Umbruch im US-amerikanischen Kino zu sorgen.

Auch wenn Robert De Niro in Folge zum bevorzugten Hautdarsteller von Martin Scorsese werden sollte, gestaltete sich Harvey Keitels Zusammenarbeit mit Scorsese weiterhin höchst produktiv. In Taxi Driver (1976) übernahm zwar De Niro jene Titelrolle mit der er gleichsam zum Superstar aufstieg, doch Keitel grub sich mit der Verkörperung eines flamboyanten Zuhälters – höchst markante Nebenrollen prägen übrigens die Karriere von Harvey Keitel mindestens ebenso wie seine Hauptrollen – ebenfalls im Gedächtnis der Zuschauer ein. Davor hatte er in Alice Doesn’t Live Here Anymore (1974) bereits ein weiteres Mal in einem Film von Scorsese mitgewirkt.

Nach dem Erfolg von Taxi Driver spielte Harvey Keitel in Filmen von US-Auteurs wie Robert Altmann (Buffalo Bill and the Indians), Alan Rudolph (Welcome to L.A.) und Paul Schrader (Blue Collar). Dass er weiterhin mehr als in der Lage war, einen Film fast allein zu tragen, bewies Keitel mit der intensiven Darstellung eines begabten Pianisten, der auch als Geldeintreiber arbeitet, in James Tobacks Fingers (1978). Da war Keitel auch bereits international gefragt, nach einer Rolle in Ridley Scotts Spielfilmdebüt, dem brillantem Historiendrama The Duelists (1977), übernahm er neben Romy Schneider eine Hauptrollen in Bertrand Taverniers erschreckender Dystopie Death Watch (1980).

Bad_Lieutenant.pngBad Lieutenant, Abel Ferrara (1992)
Reservoir_Dogs.pngReservoir Dogs, Quentin Tarantino (1992)

Spätestens mit Beginn der achtziger Jahre war Harvey Keitel eine feste Schauspielgröße, ein vielbeschäftigter Darsteller, der nicht selten mehrere Filmauftritte pro Jahr absolvierte. Er spielte sich dabei durch zahlreiche Genres, und auch wenn man durchaus eine gewisse Vorliebe für Arthouse-Projekte und Autoren-Filme konzedieren mag, finden sich ebenso etliche Auftritte in Mainstream-Produktionen. Doch immer wieder gelingen ihm herausragende Darstellungen, Rollen, denen Keitel geradezu ikonischen Status verschafft. In Abel Ferraras Bad Lieutenant (1992) liefert er als titelgebender Cop, der von seiner Drogen- und Spielsucht getrieben ist, eine schauspielerische Tour de Force sondergleichen ab. Im popkulturellen Gedächtnis verankert bleibt Keitel auch als „Cleaner“ Winston Wolfe in Quentin Tarantinos legendärem Pulp Fiction (1994). Einen weiteren markanten Auftritt lieferte er als Besitzer eines Tabakgeschäfts und ambitionierter Amateurphotograf in dem mit dem Silbernen Bären bei der Berlinale ausgezeichnetem Smoke (1995) ab, seine Vielseitigkeit bewies Keitel in Jane Campions hochemotionalem Drama The Piano (1993). Harvey Keitel im Gespräch über die Anfänge seiner Karriere, die Zusammenarbeit mit Quentin Tarantino und sein neues Projekt.

FAQ: „Mean Streets“ war ihre erste Zusammenarbeit mit Robert De Niro und die zweite mit Martin Scorsese? Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders im Gedächtnis geblieben?

Harvey Keitel: Zunächst einmal die Energie, die damals alle in die Arbeit an diesem Projekt einbrachten. Diese wunderbare Geschichte über eine bestimmte Gegend New Yorks und seiner Bewohner, die wir erzählten. Glaubensfragen, die uns durch unsere Erziehung in vielerlei Hinsicht stark beeinflussten. Es war ein schöner Film und eine schöne Zeit. Ich hatte Robert bei einer Theateraufführung in New York gesehen, auf kleinen Off-Broadway-Bühnen sowie im Actor’s Studio, ich kannte also seine Arbeit schon einigermaßen. Das erste Mal habe ich ihn aber im Actor’s Studio getroffen, eine junge Schauspielkollegin hat uns einander vorgestellt. Wir haben uns zunächst angesehen, ein wenig genickt und vor uns hingemurmelt, dann haben uns angegrinst und schließlich beide laut gelacht. Das war also unsere erste Begegnung. Ich habe Robert erst ein Jahr später bei den Dreharbeiten zu Mean Streets wieder getroffen …

Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 57

Interview: Cezar Greif

Text und Übersetzung: Jörg Schiffauer

 

| FAQ 57 | | Text: Jörg Schiffauer | Fotos: Studiocanal
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