Für ihr Musikalbum „Amsterdam“, das vor zehn Jahren beim Wiener Label Fettkakao erschien, erhielt Stefanie Sourial 2014 den „Blue Bird“ Singer-Songwriter Award. Und auch wenn sie sich auf Nachfrage in Understatement übt – „Das muss ich dringend korrigieren, ich bin keine Musikerin“ – so zählt sie doch schon seit Jahren zu den stärksten Stimmen im queer-feministischen Wien. Die Absolventin der Internationalen Schule für Theater, Regie und Bühnenbild Jacques Lecoq in Paris war Teil des ersten queer-feministischen Burlesk-Kollektivs „Club Burlesque Brutal“ in Wien und der zehn Jahre währenden queeren Performanceparty „Gender Crash“ im Herzen der Stadt. Sie performte unter anderem auf dem „Anti Valentines* Ball“, mit dem „Studio Kotelett“ oder dem legendären immersiven Theaterensemble Nesterval. Seit 2012 arbeit sie mit der preisgekrönten Theaterkompanie „Ad Infinitum“ in Bristol, seit 2017 ist sie im Stand-up-Ensemble PCCC*, dem political correct Comedy Club von Denice Bourbon und Josef Jöchl. An der Akademie der bildenden Künste Wien unterrichtet sie im Fachbereich für Performative Kunst. In Koproduktion mit brut Wien kredenzte Stefanie Sourial 2019 zuletzt die Performance-Trilogie „Colonial Cocktail“. Ihre Performances sind antirassistisch, queer und gesellschaftskritisch und verbinden, fokussiert auf das Politische, historische mit persönlichen Erzähl-Perspektiven. Derzeit probt sie ihre neuestes Stück: „City of Diaspora“. Was assoziiert Stefanie Sourial mit einer „City of Diaspora“? Unter anderem: „Sie ist Anpassung und Auslöschung. Sie ist das Suchen und Verstecken. Sie ist der Zustand nach dem Verschwinden.“ FAQ wollte mehr darüber erfahren …
FAQ: Deine letzte Performancereihe für die Spielstätte brut hieß „Colonial Cocktail“ und spürte der kolonialen Geschichte von alkoholischen Trendgetränken nach. Welche hochprozentigen Erkenntnisse sind dir noch jetzt lebhaft in Erinnerung?
Stefanie Sourial: Koloniale Macht- und Gewaltbeziehungen beeinflussen unser Leben auch heute noch in fast allen Bereichen. Die Wahl von Cocktails als Thema ist bei genauer Betrachtung zu einem gewissen Grad arbiträr: Ich hätte also auch über Jeans, digitale Medien oder Wiener Schnitzel ein Stück machen können. Mich faszinieren aber Cocktails und Getränke, weil Geschmack ein ganz starker Sinneseindruck ist, der Türen zu anderen Welten und zu Erinnerungen öffnen kann. So kam es zur thematischen Verknüpfung von kolonialer Geschichte und heutigen Getränken: Diese reicht von den Gewürzen, die die Holländerinnen und Holländer für Gin aus den südasiatischen kolonialisierten Insel importieren, über Chinin aus Peru für die Herstellung von „Indian“ Tonics und Gin&Tonic als Medizin gegen Malaria auf Seereisen, bis hin zur Entdeckung von Rum als Nebenprodukt der Zuckerproduktion auf amerikanischen Plantagen durch versklavte Menschen. Die Entstehung von uns heute bekannten Trendgetränken hinterlässt eine blutige Spur über Kontinente hinweg und ist eine Geschichte der Enteignung von indigenen Menschen durch gewaltvolle Ausbeutung. Warum heißt der Bombay Sapphire Gin so? Warum sind unter anderem immer noch Queen Victoria oder der Pirat Captain Morgan auf weltweit verbreiteten Gin und Rum Flaschen abgebildet? Alkohol wie Gin oder Rum wurde auch auf Schlachtfeldern eingesetzt, um noch brutaler kämpfen zu können.
„City of Diaspora“ wird Mitte April in der aktuellen Spielstätte von brut Wien, der Nordwestbahnhalle, uraufgeführt. Hat sich dein neues Programm aus deiner letzten Bühnenserie herauskristallisiert?
Einerseits steht das Stück „City of Diaspora“ natürlich in einem inhaltlichen Zusammenhang mit meiner Beschäftigung mit kolonialen Verstrickungen von heutigen Genussmitteln in der „Colonial Cocktail“-Reihe. Andererseits ist die Erfahrungswelt der Diaspora als Migrantin der zweiten Generation aus Ägypten auch meine Lebensrealität. Das Leben am österreichischen Land als POC, als Person of Color, und das Besuchen von ägyptischer Familie, ohne dort aufgewachsen zu sein, brachte vielfältige Erfahrungen des Andersseins mit sich. Es stellte für mich von Anfang an Begriffe wie Heimat und Zugehörigkeit in Frage. So war die diasporische Erfahrung für mich immer schon prägend.
Im religionshistorischen Kontext noch oft negativ konnotiert, ist der Diasporabegriff im aktuellen Theoriediskurs meist positiv besetzt. Wie hast du dich der sehr heterogenen Thematik Diaspora angenähert, wie hast du diesen umfassenden Bereich eingegrenzt?
Von Menschen in Österreich, die nicht mit dem aktuellen Diskurs vertraut sind, wird der Begriff Diaspora wohl vor allem mit der Lebenserfahrung von jüdischen Menschen außerhalb Israels in Verbindung gebracht. Während diese Erfahrung eine ganz spezifische und zentrale im diasporischen Diskurs ist, wird der Begriff heute auch viel breiter auf unterschiedliche migrantische Lebensrealitäten angewandt. In meiner Arbeit gehe ich immer von persönlichen Erfahrungen aus, um darin die historischen und politischen Dimensionen zu verhandeln. Ich habe das Stück „City of Diaspora“ gemeinsam mit den Kunstschaffenden Hyo Lee, Faris Cuchi Gezahegn, Sunanda Mesquita, Janine Jembere, Sushila Mesquita und Mara Verlicˇ entwickelt, die alle ihre eigenen diasporischen Geschichten mitbringen. Das Leben in Zwischenwelten zwischen Herkunft und Aufenthaltsort ist ihnen allen in unterschiedlichen Facetten bekannt und diese Erfahrungen dienten uns als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Stückes.
Für deine (autofiktionalen?) Texte und deine Performance hast du dich an den visionären Vorstellungen von Science-Fiction-Romanen orientiert. Vor allem die imaginären Welten der ersten, mit Science-Fiction bekannt gewordenen Afro-Amerikanerin, Octavia Estelle Butler haben dich dabei geprägt. Was ist für dich das besondere an ihren Geschichten?
Octavia Butler fasziniert mich, weil sie schwarze Frauen in das Zentrum ihrer fantastischen Geschichten stellt, ihnen übermenschliche Kräfte gibt und sie durch Zeit und Raum reisen lässt. Zentral in ihren Werken ist auch immer das Neuverhandeln von – gerade für BPOCs oft grausamer – Vergangenheit. In Butlers Sci-Fi-Werken geht es für mich immer auch um soziale Fragen. Es werden Macht- und Gewaltstrukturen der Gegenwart aufgezeigt, ihre Wurzeln in die Vergangenheit zurückverfolgt und neue Möglichkeiten für die Zukunft aufgezeigt. Dazu gibt es ein tolles Zitat von ihr: „To survive know the past. Let it touch you. Then let the past go.“
Die Poetin Ijeoma Umebinyuo mit Diaspora-Erfahrungen spricht in einem TED-Talk von der Bedeutung der „Demontierung der Kultur des Schweigens“. Brichst du mit deinem multiperspektivischen Performanceabend „City of Diaspora“ auch bewusst mit einer zum Teil gefährlichen „Tradition des Schweigens“ von diasporischen Menschen?
Natürlich gibt es auch eine Kultur des Schweigens rund um diasporische Erlebnisse, besser vielleicht im Plural: Kulturen des Schweigens. Auf der einen Seite die Mehrheitsgesellschaft, die mittels Rassismus, Diskriminierung, aber auch durch das Integrations- und Anpassungsgebot das Schweigen von migrantischen Menschen über ihre Lebensrealitäten einfordert. Auf der anderen Seite gibt es auch Themen rund um Herkunftsland und -kultur, die in den diasporischen Communities eher im Nebel des Schweigens stehen. Das bewusste und gewollte Aufbrechen von solchen Kulturen des Schweigens kann einen ermächtigenden und revolutionären Effekt haben. So sagt es auch Ijeoma Umebinyuo in ihrem TED Talk: „Telling your story gives you the pen, it gives you power, it gives you privilege. And in cases where for centuries you didn’t have that, it is not only a privilege, it becomes revolutionary.“
Du umschreibst die „City of Diaspora“ unter anderem assoziativ mit folgenden Sätzen: „Sie ist eine Stadt in der Stadt, sie ist eine Zwischenwelt, sie ist eine Erinnerung an etwas, das nie erlebt wurde, sie ist das M.O.T.U.“ Was bedeutet das Akronym M.O.T.U.?
Das Akronym M.O.T.U. entstand in den Proben. Es steht für „Memory of the Unkown“. Die Erinnerung an etwas, das nie erlebt wurde. Es stellt für mich eine zentrale Erfahrung des Lebens in der migrantischen Zwischenwelt dar. Erinnerungen an Herkunftsland und -kulturen, die keine eigenen Erlebnisse sind, die immer auch fremd bleiben. Und trotzdem die eigene Lebensrealität stark prägen. Diese selbst nicht erlebten Erinnerungen, oft intergenerationalen Erinnerungen der Diaspora speisen sich aus Vergangenem, wirken aber auch stark auf die Möglichkeitsräume der Zukunft. Ich arbeite in dem Stück mit fiktiven und Si-Fi-haften Elementen, um Visionen für eine andere Zukunft zu entwerfen. Daher bin ich im Stück selbst das „MOTU“ und nicht ein Mensch, oder noch weniger ich selbst. Auch um eine Distanz zur eigenen Geschichte zu schaffen. Denn es soll nicht um mich und meine persönliche Geschichte gehen, sondern darum, etwas daraus zu schaffen, oder sichtbar zu machen, das anderen Menschen nützlich sein kann.
„Das Erinnern und Vermissen von nie gekannten Dingen wird dabei zu einer zentralen Erfahrung“, schreibst du im Ankündigungstext. Diasporische Gemeinschaften zeichnen sich häufig durch die Vorstellung eines gemeinsamen Ursprungs(mythos) oder eine gemeinsame Vision aus. Welche Mythen oder Visionen, die du im Zuge deiner Recherche aufgespürt hast, findest du besonders beeindruckend?
Spannend sind für mich vor allem die Bereiche – ich denke hier vor allem an die Erfahrungen von queeren und non-binary Menschen in der Diaspora – die oft durch eine bestimmte Erfahrungswelt geeint werden; und nicht durch einen tatsächlichen gemeinsamen Ursprung. Das Gemeinsame der diasporischen Erfahrung liegt dann eher in einem geteilten Verständnis für das Sich-nicht-zugehörig-Fühlen. Und auch in dem „gemeinsamen Gefühl des Vermissens“ einer Heimat, die man nie hatte. Besonders beeindruckend an vor allem auch queeren diasporischen Communities in Wien finde ich den gemeinsamen Versuch, Raum zu schaffen, um Erfahrung zu teilen, den respektvollen Umgang miteinander, eine respektvolle Art miteinander zu sprechen und sich gegenseitig zuzuhören, Lebenserfahrungen zu teilen und Rassismen „neu“ zu verarbeiten. Rassismus ist nicht etwas, das in der Geschichte einmal passiert ist und heute nicht mehr existent ist, bzw. nur in Form von rechter Politik und Neonazis weitergeführt wird. Rassismus ist so tief und stark in uns allen verhaftet und muss von Grund auf diskutiert und verarbeitet werden. Ich selbst habe die Räume, die Erfahrung und das Wissen vor allem dank der Leute kennengelernt, mit denen ich beispielsweise in den Projekten zusammenarbeiten durfte. Faris Cuchi Gezahegn, Hyo Lee, Sunanda Mesquita, Janine Jembere oder Sushila Mesquita – und noch so viele mehr – sind ein großer Teil einer Community, deren Wissen und Erfahrung für mich auch in meiner persönlichen, künstlerischen und politischen Arbeit eine essentielle Veränderung mit sich brachten.
Abgesehen von der zeitlichen und der örtlichen Ebene spielt sich eine Lebenserfahrung der Diaspora auch auf einer emotionalen Metaebene ab. Das Phänomen des Othering aus den Post-Colonial Studies könnte man in diesem Kontext auch ins Spiel bringen. Welche Erfahrungen hast du als Künstlerin mit einem ägyptischen Vater in Wien gemacht?
Schon seit meiner Jugend war es für mich problematisch, mich in Kunst- und Performancekontexten zu positionieren: als POC in mehrheitlich weißen Kunstkontexten, als non-binary Mensch in binär-gegenderten Räumen. Dieses Erleben der eigenen Andersartigkeit, des Nicht-Dazugehörens zu bestimmten Szenen, wird von außen herangetragen. Aber man reproduziert es auch selbst und entwickelt große Zweifel im Kunstschaffen. Erst später im Leben, durch den Austausch mit großartigen Menschen aus der Diaspora, mit großartigen BPOCs, habe ich meine eigene Perspektiven festigen können und meine eigenen Positionen vertreten können. Der Austausch, der Diskurs, die Community sind ganz wichtige Aspekte für mich in meinem eigenen Weg als Kunstschaffende in Wien.
Stefanie Sourial: „City of Diaspora“
brut nordwest, Nordwestbahnstraße 8-10, 1200 Wien
Do., 03. / Fr., 04. / Sa., 05. / So., 06. Februar 2022, 20:00 Uhr
www.brut-wien.at
www.stefaniesourial.com