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Die Biennale-Maschinen laufen an

Text: Schöny Roland | Fotos: Archiv
© Stuart Whipps

Zeit der Biennalen! Während Venedig Schlagzeilen macht, gehen die Vorbereitungen nun auch in Wien in ihre heiße Phase. Endlich ist es gelungen, ein Biennale-Konzept umzusetzen. Mehr als eineinhalb Jahrzehnte köchelte das Thema vor sich hin. Allerdings fehlte der Kulturpolitik die Vision und den autonomen Initiativen das Geld. Zeit for „change!“ heißt es somit. Seit MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein die Idee wieder aufgriff, ist die Vienna Biennale auf Schiene. Am 11. Juni wird eröffnet.

Das Besondere ist deren Interdisziplinarität. Die Potenziale von Architektur, Kunst und Design sollen zusammenwirken im Sinne einer positiven sozialen Erneuerung. Dem Motto IDEAS FOR CHANGE folgend, realisieren das MAK und die Angewandte gemeinsam mit der Kunsthalle und dem Architekturzentrum Wien einen Cluster von Ausstellungen und in den Stadtraum eingreifenden Projekten. Einen scharfen Kontrast zur lokalen Situation in Wien lässt das Projekt „Mapping Bucharest: Art, Memory, and Revolution 1916–2016“ erwarten, das die kulturelle Situation der rumänischen Metropole herausarbeiten möchte. Eine Spurensuche zwischen Moderne, Surrealismus und Nouveau Réalisme entlang der Linien der Avant Garde bis heute.

Stärkung der visionären Kräfte

Letztlich soll der Stadtraum selbst Thema sein, wenn der sonst am MoMa New York tätige Kurator Pedro Gadanho Megacities zu Studienobjekten für künftige Entwicklungen und Orten permanenter Evolution ausruft. Dass auch Peter Weibel oder Kuratorin Maria Lind von der Tensta konsthall in einem Außenbezirk Stockholms mitwirken, zeigt, wie breit die Vienna Biennale aufgestellt ist. In der ohnehin sehr starken Kulturmetropole Wien bedarf es besonderer Anstrengungen, neue Schnittstellen zu definieren.

Man kann gespannt sein. Denn grundsätzlich scheint das Konzept der Biennale seit mehr als hundert Jahren seine Anziehungskraft und sein diskursives Potenzial einfach nicht zu verlieren. Allesamt wurden sie gegründet als Maschinen der Erneuerung, als Andockstellen an internationale – und nunmehr globale – Entwicklungen, als Plattformen der Neudefinition aktueller Kunst. Deshalb suchen sie auch die Reibung und einen emanzipatorischen Dialog mit dem gesellschaftlichen Umfeld.

Dass da mitunter die Funken fliegen, lässt sich nachvollziehen. Vor eineinhalb Jahren etwa legte Nikolaus Schaffhausen die künstlerische Leitung der 6. Bukarest Biennale (BB6) nach eklatanten inhaltlichen Differenzen mit den Veranstaltern zurück. Noch spektakulärer war die Absage der Manifesta 6 in Nokosia 2006. In der zwischen Griechenland und Türkei geteilten Stadt hatten die Kuratoren als eines ihrer Projekte nämlich eine Akademie für Künstler einrichten wollen. Anstatt korrekte Bedingungen dafür zur Verfügung gestellt zu bekommen, waren sie vom Bürgermeister kurzerhand gekündigt worden. Um in diesem Herbst in Istanbul Ähnliches zu vermeiden, wurde dort die vormalige Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev als Biennale-Leiterin eingesetzt.

Sie, die einmal am „Biennale-Syndrom“ als gehypte Kunst-Überdosis Kritik geübt hat, argumentiert heute in der Zeitschrift monopol, Biennalen seien mitbeteiligt an der Herstellung zivilgesellschaftlicher Strukturen. „Sie bieten alternative imaginäre Systeme, die zu politischen Bewegungen beitragen können. Ich glaube an die Politik der Form und die Sinnlichkeit von affektiven Konstruktionen, die durch Ästhetik erscheinen.“

Allein deshalb gehen die Biennalen in Gebieten über die Bühne, die im europäischen Feuilleton eher unterbelichtet bleiben. Wem ist schon Kaunas ein Begriff? Zum zehnten Mal schon eröffnet die zweitgrößte Stadt Litauens heuer ihre Kunst-Biennale. Erstmals hingegen begibt sich Paraguays Hauptstadt Asunción auf dieses Feld. Die erst 2010 gegründete Foundation der Kochi-Muziris Biennale wiederum hat die kontinuierliche Stärkung lokaler Infrastrukturen für Kunst sogar in ihrem Mission Statement stehen. Aus alter, europäischer Sicht mag sie an der Peripherie liegen. Allerdings ist sie in einen rasant wachsenden Ballungsraum im Bundesstaat Kerala im Süden Indiens implementiert und brachte im letzten Jahr neben Klassikern wie Anish Kapoor oder Francesco Clemente auch ganz junge Positionen aus Pakistan, Albanien oder Singapur.

Antwort auf die globale Ausweitung

Gar nicht soweit entfernt von solchen Motiven war die erste Biennale di Venezia 1895 im damals kulturell rückständigen Italien. Mittlerweile jedoch spiegelt Venedig die globale Situation wider und hält seine Pole position durch die steigende Zahl nationaler Pavillons und Sonder-Events in Palazzi, Lagerhallen und alten Werftgebäuden, die buchstäblich aus aller Welt bespielt werden. Maßgeblich zur Erweiterung trug Harald Szeemann bei, der Ende der 1990er Jahre bei auch erstmals mit einem China-Schwerpunkt überraschte. Der diesjährige Biennale Kurator Okwui Enwezor intensiviert jetzt die Auseinandersetzung mit künstlerischen Positionen aus den afrikanischen Staaten und bringt außerdem unterbelichtete schwarze Künstler wie den im vergangenen Jahren verstorbenen amerikanischen Sound-und Free-Jazz Spezialisten Terry Adkins ein.

Dass kritische Theorie, Gesellschaftsanalyse und Rückbezüge auf die Geschichte nicht trocken als Podiumsdiskussion daher kommen müssen, versucht wohl eines der ungewöhnlichsten Experimente der Sprachkunst zu belegen. Im Arsenale von Venedig führt der britische Künstler und Filmemacher Isaac Julien „Das Kapital“ von Karl Marx als Performance durchgehend während der gesamten Biennale-Dauer auf. Auch Manuskripte von Pier Paolo Pasolini zeigt Kurator Okwui Enwezor in Verbindung mit Originalton-aufnahmen, um die Bedeutung des analysierenden Worts und der Sprachkunst zu unterstreichen und unseren Blick auf gesellschaftliche Zusammenhänge zu schärfen.

So schöpft die Zukunft aus der Geschichte, ohne sehen zu können, wie es tatsächlich weiter geht. Symbolisiert ist dies im bekannten Motiv des Angelus Novus bei Paul Klee, das auch Walter Benjamin in seinen geschichtsphilosophischen Thesen aufgreift. Zugleich fragmentieren Grenzlinien das Lokale und das Internationalem. Deshalb hat die Kunsthalle Wien ihre Überblicksausstellung dessen, was sich in Wien an relevanter und interessanter Kunst so tut, einfach „Destination Vienna“ übertitelt. Es bleibt eine Annäherung ohne falschen Lokalpatriotismus, denn viele sind hier tatsächlich einfach hier „gelandet“. Dass auch sehr originelle Figuren der sogenannten älteren Generation wie Heinz Frank oder Hans Nevidal, die nicht an vorderster Front mitmischen und nur sporadisch auftauchen, einbezogen wurden, macht diese Schau so sympathisch. Es wird keine Ideologie propagiert auch und nicht das Gefühl erzeugt, hier müsse man die Liste der kommenden Stars auswendig lernen.

Wer allerdings Lust auf ein straightes Informationsprogramm hat, dem sei das Gallery-Weekend mit seinen zahlreichen Guided Tours am letzten Mai-Wochenende ans Herz gelegt. Einige der Galerien beteiligen sich auch mit Sonderprojekten an „Destination Vienna“.Nicht zufällig schließt sich hier also der Kreis. Nicht nur jener zwischen Diskurs und Markt, sondern auch jener zwischen Wien als Kunststadt und einer bevorstehenden Biennale, deren Ideenlabor noch um einiges mehr umfassen möchte.

Vienna Biennale 2015

Ideas for Change

11. Juni bis 4. Oktober 2015

www.viennabiennale.org

Gallery Weekend

2015.viennagalleryweekend.com

Destination Wien 2015

17. April – 31. Mai 2015

www.kunsthallewien.at

Biennale di Venezia

9. Mai – 22. November 2015

www.labiennale.org

14. Istanbul Biennale

5. September – 1. November 2015        

10th Kaunas Biennial

18. September 30. Dezember 2015

www.bienale.lt

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