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Die Frau von Morgen

Text: Pamela Jahn, Vicky Dearden | Fotos: Constantin Film

Man könnte tatsächlich fast meinen, sie sei nicht von dieser Welt: So perfekt, so unnahbar wird Scarlett Johansson im offiziellen Trailer zu Ghost in the Shell ins Bild gerückt, dass sie die Kinoleinwand mit ihrer schieren Präsenz für den Bruchteil einer Sekunde heller erstrahlen lässt. Egal wie düster, utopisch und abgefahren die Geschichte auch sein mag, der sie sich in diesem Fall verschrieben hat. Etwas Hypnotisches liegt da in ihren Augen. Vergangenheit und Zukunft, das Wissen um die Ungerechtigkeit und Härte der Welt sowie die Abgründe der Menschen, aber auch deren Hoffnungen sind darin verborgen. Dennoch erscheint ihr Blick, der die Kamera geradezu magisch anzuziehen versteht, zugleich so undurchdringlich und unberechenbar, wie die Schauspielerin selbst, die ihn sich zu Eigen gemacht hat.  

Augen-Blicke wie diesen gibt es in nahezu allen Filmen, in denen Johansson seit ihrem ersten Kinoauftritt in Rob Reiners Komödie North (1994) mitgewirkt hat. Ob als Femme-fatale, knallharte Marvel-Superheldin oder unschuldiges Mädchen vom Lande: Die heute gerade einmal 32-Jährige zeigt sich stets derart vielseitig und wandelbar wie kaum eine andere Hollywood-Schönheit ihres Kali-bers. Zwar konnte sie sich angesichts der sanften erotischen Gewalt ihrer Erscheinung gegen den fast schon undankbaren Vergleich mit Marilyn Monroe im Laufe ihrer zielstrebigen Evolution zum individuellen Superstar lange nicht wehren. Aber auch im Umgang mit den eigenen Dämonen scheint Johansson den Normalsterblichen unter uns überlegen: Dass ihre Beliebtheit bei den gefragtesten Regisseuren der Gegenwart (darunter Christopher Nolan, Brian De Palma, die Coen-Brüder und demnächst Wes Anderson) nicht immer zwangsweise an Äußerlichkeiten geknüpft ist, bewies nicht zuletzt ihre famose Leistung in Spike Jonzes romantischem Sci-Fi-Drama Her (2013), in dem sich ein Mann in das Betriebssystem seines Computers verliebt, dem Johansson einfühlsam ihre sinnlich-rauchige Stimme leiht. Darüber hinaus konnte sie jegliche Versuche einer Kategorisierung stets mit einer Arbeitswut, die ihresgleichen sucht, abwehren. Das beachtliche Ergebnis dieses schier endlosen Kräftemessens mit den eigenen Grenzen zeigt sich bis dato in fast 50 Haupt- und Nebenrollen, ein paar Broadway-Auftritten, diversen TV-Engagements, einer nonchalanten Sänger-Karriere, einem Gourmet-Popcorn-Geschäft in Paris und derzeit mindestens vier weiteren Filmprojekten in Arbeit, die ihren Ruf als kühne, betörende Power-Frau lediglich stärken dürften. Oder auch nicht. Denn ganz oben auf der Liste steht zunächst einmal Ghost in the Shell, die mit großer Spannung erwartete Live-Action-Adaption des gleichnamigen Anime-Klassikers. Es ist zweifelsohne die bisher waghalsigste und umstrittenste Sci-Fi-Rolle in ihrer Karriere, für die Johansson unter der Regie von Rupert Sanders (Snow White and the Huntsman) in die Figur des weibliches Cyborgs Motoko Kusanagi (aka The Major) schlüpft, um sich in einer zukünftigen, supertechnologisierten Großstadtwelt im Nahkampf mit ein paar zwielichtigen Hackern zu behaupten.

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Wer das animierte Original kennt, das auf den gleichnamigen japanischen Mangas von Masamune Shirow beruht, der weiß um die Herausforderung, der sich Johansson mit diesem Engagement stellt – nicht zuletzt angesichts der gegen Hollywood gerichteten Vorwürfe des sogenannten Whitewashings. Man hat mit der gebürtigen New Yorkerin eben keine Asiatin für die Hauptrolle besetzt, wie es eine vorlagengetreue Umsetzung verlangt hätte. Auch Johansson selbst war zunächst unschlüssig, ob sie die Rolle annehmen sollte. Immerhin war sie nach ihrem erfolgreichen Eintritt in die vielköpfige Marvel-Familie als Agentin Black Widow sowie einer gezielten Überdosis an aufeinanderfolgenden Sci-Fi-Projekten eigentlich nicht auf der Suche nach einem weiteren gewagten Fantasie-Spektakel. Zumal sie, zumindest schien es bis dahin so, mit ihrer Rolle als unfreiwillige Drogenschmugglerin Lucy in Luc Bessons gleichnamigen Genrefilm längst den Höhepunkt ihres kalkulierten Imagewandels erreicht, wenn nicht sogar überschritten hatte. Mit ihrem Auftritt als männermordende Alien-dame in Jonathan Glazers mysteriösem Indie-Thriller Under the Skin löste sie sich scheinbar ein für alle Mal von dem ihrem Dasein als sexy Männerfantasie.

Doch ist auch der neueste Streich der Schauspielerin im Grunde nur folgerichtig. Es ist ein weiterer Schachzug, beflügelt von einer Unerschrockenheit und Energie, die Johansson im Laufe der Jahre konsequent immer weiter nach oben katapultiert hat. „The minute she walks on set, the amperage goes up 200 points,“ schwärmte schon Woody Allen, für den sie bisher dreimal vor der Kamera stand – wenn auch mit gemischtem Erfolg. Was jedoch weniger an Johanssons darstellerischer Leistung lag, als an der strauchelnden Karriere des umtriebigen Regisseurs in den nuller Jahren. Obendrein hätte der sie beinahe gar nicht entdeckt, wenn nicht Kate Winslet in letzter Minute für Matchpoint (2005) abgesagt und damit Johansson ins Spiel gebracht hätte, die mit ihrer verführerischen Verletzlichkeit am Ende nicht nur Allen, sondern auch ihre ärgsten Kritiker um den Finger wickelte. Zwar konnten sich für die nachfolgenden gemeinsamen Projekte Scoop (2006) und Vicky Christina Barcelona (2008) schließlich nur noch eingefleischte Fans begeistern, doch auch hier zeigte sich erneut die ungestüme Leidenschaft der Schauspielerin für ihr Metier. Selbst in jenen Momenten, in denen die ohnehin mäßige Handlung regelrecht flöten ging. „She can sing, do dramatic things and jokes if you need her to,“ erklärte Allen damals stolz wie ein Vater, der seiner Tochter bei den ersten Gehversuchen auf der Bühne zuschaut. Dabei war Johansson, die einige Jahre davor mit Sofia Copollas Lost in Translation (2003) längst ihren großen internationalen Durchbruch erlebt hatte, bereits gute 15 Jahre im Geschäft bevor sie schließlich auch Woody Allen zur neuen Muse wurde, wie zuvor bereits dem Maler Vermeer als Filmfigur in Peter Webbers Girl with a Pearl Earring (2003).

Tatsächlich hat Johansson im Laufe ihrer Karriere allein mit ihrer Leinwandpräsenz schon so manchen Film vor dem Scheitern bewahrt, von ihrer sensiblen Darstellung der nach einem Reitunfall beinamputierten, dreizehnjährigen Grace in Robert Redfords verunglücktem The Horse Wisperer (1998), bis hin zu dem allzu blasiert wirkenden Don Jon, in dem sie mit Joseph Gordon-Levitt für dessen Regiedebüt auf Tuchfühlung ging. Auch das ist eine Kunst, die nicht jedem Schauspieler gegeben ist: Die Fähigkeit, sich von den eigenen Entscheidungen zu emanzipieren, ohne diese zu bereuen, und stattdessen das Beste aus dem Material zu machen. Was sie in Ghost in the Shell, gehüllt in einen hautfarbenen Ganzkörperanzug und mit pechschwarzen Haaren, bewirken kann, bleibt abzuwarten. Aber so viel ist sicher: Die Chancen, dass ein derart halsbrecherisches Experiment wie dieses gelingen kann, stehen mit Johansson an der Spitze ungleich höher.

Wie geht es Ihnen damit, wieder in Japan zu sein?

Ich liebe Tokio, es ist eine großartige Stadt. Als ich das letzte Mal die Gelegenheit hatte hier zu arbeiten, war ich viel jünger. Genauer gesagt war ich 17 Jahre alt. Jedes Mal, wenn ich hierher zurückkehre, fühlt es sich vertraut an. Ich vermute, weil ich hier die sehr frühen Tage verbracht habe. (Lacht) Es ist eine wundervolle Stadt. Ich liebe sie.

Lesen Sie das komplette Scarlett Johansson Interview in der Printausgabe.  

Interview: Vicky Dearden / The Interview People

Übersetzung: Angela Sirch

 

Ghost in the Shell

Action/Science Fiction, GB/USA 2017

Regie Rupert Sanders Drehbuch Jamie Moss, Jonathan Herman basierend auf den Manga von Masamune Shirow Kamera Jess Hall Schnitt Neil Smith Musik Clint Mansell Production Design Jan Roelfs

Mit Scarlett Johansson, Pilou Asbæk, Michael Pitt, Kitano Takeshi, Chin Han, Lasarus Ratuere, Juliette Binoche

Verleih Constantin Film

Kinostart 30. März

| FAQ 41 | | Text: Pamela Jahn, Vicky Dearden | Fotos: Constantin Film
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