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Die Jungfer und der Grantscherben

Text: Alexandra Seitz | Fotos: Constantin Film

Es lassen sich heldischere Gestalten denken als die des Mannes, der da mit einem Strick um den Hals in schmutziger Unterwäsche auf seinem Pferd unter einem Baum sitzt und gegen das unausweichliche Erhängtwerden anringt. Zum Glück kommt eine Frau des Wegs und schneidet den armen Wicht los, nicht ohne ihm zuvor das Versprechen abzunehmen, ihr bei einem geplanten Unterfangen zur Seite zu stehen. Worin dies Unterfangen besteht, sagt sie zunächst nicht. Und als George Briggs, wie er sich nennt, endlich erfährt, worauf er sich eingelassen hat, fühlt er sich übervorteilt. Es gilt, drei wahnsinnig gewordene Siedlerfrauen zurück in den Osten zu bringen, wo man sich um sie kümmern kann. Von der entlegenen kleinen Gemeinde irgendwo in Nebraska nach Hebron, Iowa, soll die Reise gehen. Mitte des 19. Jahrhunderts kein ungefährliches Vorhaben. So schon nicht, und mit drei Frauen im Schlepptau, die den Verstand verloren haben, gleich gar nicht. Weswegen sich auch kein männlicher Angehöriger findet, es zu wagen. Woraufhin Mary Bee Cuddy, alleinstehende Farmerin und patenter Christenmensch, sich bereit erklärt – um sodann Muffensausen zu bekommen vor der eigenen Courage. So also ergibt es sich, dass George Briggs zwar dem Tod von der Schippe springt, dafür aber tief in der Tinte landet. Da sorgen die 300 Dollar, die Cuddy Briggs bei Erreichen des Ziels zu bezahlen verspricht, für einen Motivationsschub. Gemeinsam packen sie die Elenden in eine Holzkiste auf Rädern und machen sich auf den beschwerlichen Weg. Der, wie sollte es anders sein, nicht nur durch das Land führt, sondern sich auch im Inneren vollzieht als Reise, die Erkenntnis und Entwicklung mit sich bringt. Sowie Drama und Tragödie. Und möglicherweise auch Versöhnung und Erlösung.

Mit dem hier in Rede stehenden The Homesman, seiner nach The Three Burials of Melquiades Estrada (2005) zweiten Kinofilmregie, adaptiert der Schauspieler und Regisseur Tommy Lee Jones den 1988 erschienenen, gleichnamigen Roman von Glendon Swarthout und trägt sich nachdrücklich ins Westerngenre ein. Dies erscheint naheliegend und folgerichtig insofern die Familie, der Jones entstammt, seit acht Generationen in jenem seltsam-hartnäckig wie das mythische Zentrum Amerikas wirkenden Staat Texas verwurzelt ist, in dem auch Jones, wenn er nicht vor oder hinter der Kamera agiert, auf seiner Ranch Rinder und Polo-Pferde züchtet. Ein Vollbluttexaner? Auf jeden Fall. Ein Cowboy, der eines Tages an einem Filmset vorbeiritt, vom Pferd stieg und mitmachte? Netter Versuch.

Geboren am 15. September 1946 in San Saba in der Region San Antonio besuchte Jones zwei Eliteschulen, bevor er an der Universität von Harvard englische Literatur studierte und cum laude abschloss. Nach seinem Studium trat er, der nie eine Schauspielausbildung absolviert hat, von 1969 bis 1974 am New Yorker Broadway auf. Von 1971 bis 1975 war er zudem in der ABC-Soap One Life to Live zu sehen. 1976, Jones war inzwischen nach Los Angeles übersiedelt, übernahm er in Roger Cormans Jackson County Jail seine erste größere Filmrolle. Von da an arbeitete er regelmäßig für Film und Fernsehen, sammelte unzählige Auszeichnungen – darunter sowohl einen Oscar als auch einen Golden Globe für seine Darstellung des US-Marshals Sam Gerard in The Fugitive (1993, Andrew Davis) – und prägte über die Jahre den Charakter-Typus des unberechenbaren Grobians mit kompliziertem Innenleben.

Vollständiger Artikel in der Printausgabe.  

 

The Homesman

Western, USA 2014 – Regie Tommy Lee Jones

Drehbuch Tommy Lee Jones, Kieran Fitzgerald, Wesley Oliver (nach dem gleichnamigen Roman von Glendon Swarthout) Kamera Rodrigo Prieto Schnitt Roberto Silvi Musik Marco Beltrami Production Design Merideth Boswell Kostüm Lahly Poore-Ericson

Mit Hilary Swank, Tommy Lee Jones, Grace Gummer, Miranda Otto, Sonja Richter, Jo Harvey Allen, Barry Corbin

Verleih Constantin Film, 122 Minuten

Kinostart 19. Dezember

www.homesman-derfilm.de 

 

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