Killers of the Flower Moon
Angekündigt ist der Film schon länger, doch nun erscheint er noch nicht um den 80. seines Regisseurs, Martin Scorsese (17. November 1942*), sondern erst im nächsten Jahr, avisiert für den Mai 2023: Killers of the Flower Moon. Leonardo DiCaprio, der auch als Produzent fungiert, spielt die Hauptrolle neben Brendan Fraser, Jesse Plemons, Lily Gladstone, Robert De Niro, Barry Corin u. a.
Die Dreharbeiten begannen im April 2021 in Oklahoma. Aufnahmen entstanden in Osage County, speziell in Pawhuska, Fairfax und Bartlesville, und wurden am 1. Oktober 2021 abgeschlossen. In den frühen 1920er Jahren wurden mehrere reiche Angehörige des Indianerstammes der Osage im Indianerreservat Osage County in Oklahoma ermordet, nachdem große Ölvorkommen unter ihrem Land entdeckt worden waren.
Das Drehbuch basiert auf dem Buch des US-amerikanischen Journalisten David Grann: „Killers of the Flower Moon. The Osage Murders and the Birth of the FBI“. Ein True-Crime-Thriller. Die wahre Geschichte hinter der spektakulärsten Mordserie Amerikas. In Feuilleton-Rezensionen zum Buch von David Grann heißt es: „Auf den letzten Seiten nimmt der Autor Zeugnisse der Entdeckung eines vergessenen Kapitels der amerikanischen Geschichte und beleuchtet mithilfe von Mitgliedern des Stammes der Osage eine erschütternde Verschwörung, die weit tiefer reicht als jene vier Jahre des Horrors. Es wird einen zutiefst in der Seele treffen (Dave Eggers, „New York Times“) – „Erfüllt vom mythischen Charakter unserer Vergangenheit – stoischen Texas Rangers, korrupten Kapitalisten (Robber Barons), Privatdetektiven und mörderischen Desperados wie die Al Spencer Gang – kommt Granns Story einer US-amerikanischen Frontier-Geheimgeschichte gleich. (Sam Wood, „Rolling Stone“) – „Der Genozid, den das weiße Amerika an den ‚native Nations‘ begangen hat während des Jahrhunderts, das zu der von Grann geschilderten Periode führte, bildet eine Metapher für die Dezimierung der natürlichen Welt, welche den indigenen Völkern heilig war.“ (Ed Vulliamy, „The Guardian“)
Von Little Italy nach Hollywood
Der jüngste Sohn von Textilarbeiter Charles Scorsese (1913–1993) und Catherine Scorsese, geb. Cappa (1912–1997) – seine Mutter sollte er mehrfach, u. a. in Goodfellas (1990), in seinen Filmen besetzen – geboren am 17. November 1942 in Queens, New York City, verfasste erste Drehbücher und zeichnete imposante Storyboards zu einem kolossalen Kino mit monumentalem Szenenbild, während er wegen Asthma bronchiale das Bett hüten musste. 1950 zog die Familie nach Little Italy, wo Scorsese erstmals mit der Kirche in Berührung kam und sich entschloss, Priester zu werden. Nach dem Ausschluss aus der Jesuitenschule strebte er eine Ausbildung als Lehrer an, entschied sich an der New York University 1960 aber für die Filmkunst. Mit finanzieller Unterstützung seines Dozenten drehte Scorsese erste preisgekrönte Kurzfilme und schloss 1965 sein Bachelor-Studium ab. Während er seinen Master machte, arbeitete er vier Jahre lang an seinem Spielfilmdebüt Who’s That Knocking at My Door (1967) und stellte währenddessen schon in der kurzen Form – What’s a Nice Girl Like You Doing in a Place Like This? (1963), It’s Not Just You, Murray! (1964) und dem blutigen The Big Shave (1967, erstmals in Farbe) – sein Talent unter Beweis. Das Budget von 75.000 US-Dollar für den langen Film sollte ihn finanziell ruinieren. Scorsese unterrichtete an der Universität spätere Star-Regisseure wie Oliver Stone und Jonathan Kaplan, bevor er nach Kalifornien zog und sich dort mit Francis Ford Coppola, Steven Spielberg und George Lucas anfreundete. 1970 war er am Schnitt des Dokumentar- und Musikfilms Woodstock (Michael Wadleigh) beteiligt, im Herbst 1971 drehte er für Roger Corman seinen ersten Hollywood-Film, Boxcar Bertha (1972; dt.: Die Faust der Rebellen) nach dem Buch „Sister of the Road: The Autobiography of Boxcar Bertha“ von Ben Reitman.
Eine Passionsgeschichte zur Zeit der Great Depression und der Blues
„I finally found where I belonged in making pictures“, erklärte Scorsese zu jenem Film über eine Frau, die zur Zeit der Great Depression wie ein Tramp oder Hobo in Güterwaggons die Staaten durchquert. Roger Corman legte er 500 (!) Zeichnungen vor, in denen er das gesamte Script zu einem jener „Depressionsfilme“ der Sechziger/Siebziger vorskizziert hatte, die Antikapitalismus und Exploitation mit kritischem Gegenwartskommentar verbinden. An der Seite eines Gewerkschaftsaktivisten, dessen schwarzen Freundes und eines Berufsspielers kämpft Bertha, zum Outlaw stigmatisierte Rebellin aus erlittenem Unrecht, gegen die ausbeuterische Eisenbahngesellschaft, die sich der korrupten Polizei bedient. Im Showdown einer blutigen Passionsgeschichte, nachdem der Unionist an einem Güterwaggon gekreuzigt wurde, übt sein afroamerikanischer Freund gnadenlose Rache. Scorseses erster „kommerzieller“ Film zeigt die Selbstbehauptung seines Stils – mit Brüchen der Konventionen durch extreme Close-ups, durch abrupte Bildwechsel, eingefügte Standbilder, disparate Schnitte –, eine Rauheit, die sich jedem melodramatischen Anklang widersetzt. Der Film illustriert die Legende und bricht sie zugleich, durch Mundharmonikaspiel erfüllt mit der Essenz des ursprünglichen, schwarzen Blues, einer Musik, die bei Scorsese immer starke Wirkung ausübt (und der er sich in seinem Beitrag zur siebenteiligen Dokumentarfilm-Reihe The Blues unter dem Titel Feel Like Going Home [2003] widmet).
Film ist seine Passion. Martin Scorsese gilt als Hardcore-Cinephiler, ein unbedingtes Kompliment. Sein Filmwissen ist legendär, Proben davon kann man in seinen ausgiebig kommentierten filmhistorischen Kompilationen A Personal Journey with Martin Scorsese Through American Movies (in der Reihe: „A Century of Cinema“, BFI 1995) und Il Mio Viaggio In Italia (1999), mit dem Blick auf von ihm geliebte Filme, zur Kenntnis nehmen.
Mitunter stellt er sich selbstironisch als Filmverrückten dar, etwa mit Cameo-Auftritten in seinen Filmen, als Fotograf (The Age of Innocence, 1993; Adaption eines Edith-Warthon-Romans von 1920), Kameramann (Hugo Cabret, 2011; der Ehrung von Georges Meliès als Magier der Kino-Pioniertage), als Regisseur (The King of Comedy, 1982; Jerry Lewis und Robert De Niro, der in seiner Rolle als Rupert Pupkin aus einer Tragödie eine traurig-bissige Showbizz-Satire entstehen lässt) oder als Scorsese höchst selbst in seiner Rolling-Stones-Dokumentation Shine a Light (2008; Konzertfilm, kombiniert aus zwei Auftritten der Band vom Herbst 2006 im New Yorker Beacon Theatre). In einer Szene von Taxi Driver (1976) spielt Regisseur Scorsese selbst einen von Travis Bickle chauffierten Fahrgast, der seine Ehefrau umbringen wolle, weil sie ihn betrügen würde. Bickle fährt ihn mit seinem Taxi in Sichtweite der Wohnung, wo er den Akt der Untreue stattzufinden wähnt. Gegenüber dem Taxifahrer scheint er eine Beichte abzulegen für eine Tat, die er nie begehen wird.
Vitales Kino und Reflexion
Kein Scorsese-Film ist nur das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint. Zum Beispiel Taxi Driver (1976), sein erster großer internationaler Erfolg, der Robert De Niro und Jodie Foster zu Stars machte und Paul Schrader als Autor durchsetzte: einerseits ein brutales Massaker, andererseits die Bestandsaufnahme danach, ein Symptom. Scorsese-Filme sind vitales, effektives Kino und dabei stets auch Reflexion über dessen Instrumente, zeigen Gewaltszenen und zugleich die Analyse der Darstellungsmittel. Scorseses Kino ist sich bewusst, ein Erbe zu sein, in Traditionen zu stehen, zugleich übt es immer auch Kritik an der Filmgeschichte, erweitert und pusht sie, treibt sie voran. In The Last Temptation of Christ (1988) etwa, einem seiner Lieblingsprojekte, bei dem er nicht das Evangelium verfilmte, sondern den Roman von Nikos Kazantzakis, der Jesus als Zweifelnden dargestellt hat, einen Religionsstifter in seiner Menschlichkeit und damit Vorwürfe christlicher Fundamentalisten provozierte, finden sich Authentizitätsmerkmale des historischen Films, der von Darstellern gespielt wird, die mit New Yorker Akzent sprechen. Aviator (2004), Scorseses Biopic über Howard Hughes, den Ölmillionär, Flugzeugpionier und bedeutenden Filmproduzenten, ist nicht nur eine Hommage an einen hochneurotischen Exzentriker sondern auch eine Reflexion über die Obsession des Filmemachens. Und New York, New York (1977) befindet sich visuell und von der Tonspur her auf der Ebene von Musicals der vierziger oder fünfziger Jahre, verzichtet jedoch auf deren konventionelle Romantik, verströmt stattdessen moderne Hektik …
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