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Die Tinte des Cineasten von Format

Vor siebzig Jahren eroberte CinemaScope die Kinosäle

James Dean in „Rebel Without a Cause“ 1955. R: Nicholas Ray

Wenn das Licht im Kinosaal langsam erlischt und der Vorhang mit leichtem Rauschen auseinanderfährt, sich dann weiter und weiter öffnet, über das gewohnte Maß hinaus, bis er zum Stillstand kommt und die ganze Breite der Leinwand freilegt – dieser Moment löst oft ein beeindrucktes Raunen im Publikum aus, spürbar die Vorlust, eine gesteigerte Erwartung noch vor dem ersten projizierten Bild.

 70 Jahre CinemaScope

Oft füllt es die volle Breite des Sehfelds aus: das Getümmel aus in bunte Gewänder gehüllten Gestalten, die Henry Kosters Monumentalfilm The Robe (USA 1953; Das Gewand) hier erstmals ins Bild zu setzen vermochte. Für derart aufwändig inszenierte Kompositionen von Menschenmassen, und um deren prächtige Ausstattung zur Geltung zu bringen, kam nicht nur das farbintensive Technicolor zum Einsatz, sondern auch eine neue Bildtechnik: „CinemaScope“ (im Fachjargon auch „CS“ oder „Scope“ genannt).

Mit dem Markennamen ist ein Aufzeichnungsverfahren benannt, mittels dessen sich ein seinerzeit „normales“ 35mm-Filmmaterial in ein raumgreifendes Breitwand-Bild erweitern ließ: Eine anamorphotische Linse verzerrte dafür das Bild während der Aufnahme, bei der Projektion wurde es wiederum entzerrt. In den frühen 1950er-Jahren hatte das Studio 20th Century Fox das bereits in den 1920er-Jahren entwickelte System erworben; bald darauf erwarben andere Hollywood-Major-Studios Lizenzen oder sie machten dem CinemaScope-System mit anderen Verfahren (etwa Paramounts „Vista Vision“) Konkurrenz. In Deutschland/BRD wurde die neue Technik am 25.August 1953 vorgestellt; der erste CinemaScope-Film, The Robe / Das Gewand von Henry Koster (einem Regisseur, der 1933 als Heinrich Kosterlitz aus Berlin in die USA geflüchtet war), ein monumentaler Bibelfilm als erstes abendfüllendes Werk im CS-Format am 16. September 1953 in New York uraufgeführt, kam wenige Monate später aus den USA in die bundesdeutschen Kinos. Die heutige Format-
Angabe „Scope“ bezeichnet nicht mehr die „Marke“ CinemaScope, sondern steht allgemein für das Seitenverhältnis 2,35:1.

Jean Simmons und Richard Burton in „The Robe“ 1953. R: Henry Koster

Breitwandbild – ein Phänomen vieler Namen

Als der Film in die Welt kam, also bevor dieses aus Reihenfotografien zusammengesetzte Phänomen laufender, scheinbar „lebender Bilder“ auf einer Leinwand unisono „Film“ bzw. in seiner Auswertungsform „Kino“ genannt wurde, wurde er – aus einem Patente-Boom technischer Erfindungen entstanden – entsprechend mit diversen Namen bezeichnet: Kinetoskope oder Mutoskope, Filoskope, Zoetrope (so nannte Francis Ford Coppola seine Produktionsstudios), Tachyskope, Veriskope, Projektographen, Animatographen und Imatoskope, Vita- und Historiographen – all diese technischen Parallelerscheinungen des Anfangs (Rummelplatzvergnügungen zunächst, betitelt aus altphilologisch-elitärem Bildungskorpus) kreisten um Begriffe wie Leben und Wahrheit, Lichtwurf von Bildern und Beseelung der Welt, Geschichte und Veränderung. Ganz ähnlich jener Pionierphase des Films stand auch die Erweiterung des Kinos als eine horizontale Ausdehnung der Grenzen des Laufbildformats unter verschiedenen Namensgebungen, je nach Entstehungszeit, Ländern und Firmen. Dabei sind die auf die Silben „scope“, „rama“ oder „vision“ endenden Filmverfahren Anfang der 1950er Jahre nicht einfach eine Reaktion auf die Herausforderungen der aufkommenden Television gewesen, viele waren bereits entwickelt, als es noch kein öffentlich-rechtliches Fernsehen gab.

Marilyn Monroe, Betty Grable und Lauren Bacall in „How to Marry a Millionaire“ 1953. R: Jean Negulesco

„Grandeur“ – Entwicklungsstadien des erweiterten Filmbilds

Die Expansion dieses Phänomens Breitfilm setzte früh an: Bereits für das Jahr 1900 ist eine „Cinéorama“ Rundumprojektion sowie 75mm-Breitfilm von Lumière auf der Pariser Weltausstellung bezeugt; ein „Alberine-Panoramica“ mit 70mm-Breitfilm ist für das Jahr 1914 für Italien nachgewiesen; eine „Magnascope“- Großprojektion fand 1925 in den USA statt (in dem Film Chang von Cooper/Schoedsack, die kurz darauf King Kong schufen, ließ man eine auf der Leinwand vergrößerte Elefantenherde durchs Bild laufen); im Folgejahr entwickelte RKO (USA) einen „Natural Vision“ 63,5mm-Breitfilm (große Wirkung zeigte der Kurzfilm Niagara Falls); 1927 demonstrierte Abel Gance (Frankreich) „Polyvision“ und „Triptych“, die Bild-Anordnung dreier Leinwände, mit seinem Napoleon-Film; 1929 stellte in den USA die Fox den „Grandeur“ 70mm-Breitfilm und Paramount den „Magnafilm“, 56mm, vor (1926 gab es die Fox Grandeur News, 1930 The Big Trail von Raoul Walsh; 1930 ließ MGM den „Realife“ 70mm-Breitfilm folgen (Billy the Kid von King Vidor); 1931 wurde ein „Vitascope“ 65mm-Breitfilm vorgestellt, zehn Jahre später auf der New York World Fair (1939) ein „Vitarama“ Panoramafilm, während des Zweiten Weltkriegs im sogenannten Schießkino militärisch für die Simulation von Flugzeugangriffen genutzt. Im Nachkrieg setzte in den USA der „Cinerama“-Panoramafilm diese Entwicklungslinie fort, der das legendäre „CinemaScope“ folgte, vor dessen Anwendung viele Major Studios in Hollywood noch einen praktischen Weg gewählt hatten zum Breitwandfilm: durch ein Kaschieren von Filmen ohne große Rücksicht auf Bildverluste, es sei denn, sie waren „Breitwand-tauglich“ inszeniert, wie etwa Julius Caesar (Joseph L. Mankiewicz, 1953).

Gina Lollobrigida und Burt Lancaster in „Trapeze“ 1956. R: Carol Reed

Paul Newman in „The Hustler“ 1961. R: Robert Rossen

Von „La dolce vita“ zum „Koloß von Rhodos“

„Cinépanoramic“, später „Franscope“, war eine französische CS-Version (Lola von Jacques Demy, 1960, und Jules et Jim von François Truffaut, 1961, wurden damit gedreht, ebenfalls Le mépris von Godard, auch Die Dreigroschenoper von Wolfgang Staudte nach Brecht, beide 1963), die italienische Scope-Version „TotalScope“ wurde u. a. für Federico Fellinis La dolce vita (1960), kurz darauf für Der Koloß von Rhodos (Sergio Leone, 1961) benutzt, und man staunt, wie „breit“ die Anwendungsspanne zwischen dem spektakulären und dem ambitioniert erzählten Kino sich ausdehnte. „VistaVision“ (USA) hatte 1954 Premiere mit White Christmas von Michael Curtiz, auch die bekannten Hitchcock-Filme zwischen To Catch a Thief (1955) und North by Northwest (1959) folgten dieser Technik.
1960 kamen die Verfahren „Super Panavision 70“ (USA) sowie das „Techniscope“ in Italien auf (Godards 2 ou 3 choses que je sais d’elle / Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß entstand 1967 in diesem Verfahren); 1962 das amerikanische „Ultra-Panavision-70“ (z.B. The Mutiny on the Bounty, Lewis Milestone/Carol Reed 1962, mit Marlon Brando); im selben Jahr erschien im dreistreifigen Cinerama-Format The Wonderful World of the Brothers Grimm (Henry Levin/Georg Pal). Neben anderen technischen Entwicklungen der 60er kam „Todd-AO 35“ (USA) auf den Markt, ein Verfahren, mit dem Roman Polanskis Macbeth (1971) sowie Jesus Christ Superstar (Norman Jewison, 1972) entstanden; für die Anwendung des „Super Techniscope“ steht ein Film wie Greystoke: The Legend of Tarzan, Lord of the Apes (Hugh Hudson, 1984), für „Panavision Super 70“ der Film Far and Away / In einem fernen Land (1992) von Ron Howard, ein Western, dessen optische Opulenz prächtiger Bildpanoramen hervorgehoben wird …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 71

 

 

| FAQ 71 | | Text: Jörg Becker
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