Wenn ich als Kind mit den Eltern zu den Großeltern in ein kleines Dorf im Murtal fuhr, gab es immer ein für mich völlig normales Ritual: Nach der Begrüßung und dem gegenseitigen Versichern, das alles in Ordnung sei, kam von einem der anwesenden Verwandten immer noch vor dem Mittagessen die Frage der Fragen: „Weißt du wer sich aufgehängt / erschossen hat?“ Die rhetorische Frage wurde dann natürlich gleich mit Details zum Hergang, den Umständen des Fundes, den Verwandtschaftsverhältnissen und dem Leid der verbliebenen Familie ausführlich beantwortet. Ich für meinen Teil nahm zur Kenntnis, dass in den Wäldern, in denen wir spielten, schon ziemlich viele Bewohner des Tals an den Bäumen rundherum ihre Stricke befestigt hatten.
Paul Plut wuchs ein Tal weiter nördlich auf, im Ennstal, genauer in der Ramsau, der Hochebene über Schladming, die auf der einen Seite vom Dachsteinmassiv dominiert wird, und auf der anderen Seite von den Schladminger Tauern. Wirkliche Auswege gab es vor allem früher für die Bewohner nicht. Die Leben wurden bestimmt von den strikten bäuerlichen Strukturen, die man auch als autoritär bezeichnen kann und der Natur – und da vor allen von ihren Unbillen. Als Anfangsdreißiger kennt Plut diese Welt und ihre beschränkten Perspektiven vor allen aus den Erzählungen seiner Famile und seiner Umgebung. Und diese Geschichten haben definitiv Spuren hinterlassen. Wie schon seine erste Soloplatte „Lieder vom Tanzen und Sterben“ drehen sich auch auf dem soeben erschienen Nachfolger „Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse“ die Lieder um die Seelen, die allen Gewalten zwischen Natur und Himmel ausgeliefert sind. Als ich ihm meine Eindrücke schildere, werde ich doch korrigiert. „Ich glaube, die naive Sicht auf die Dinge macht die Sachen im kunstbeschreibenden Sektor oft leichter, daraus besteht ja auch die Magie der Songs von Tom Waits, Bob Dylan oder Fever Ray, denke nur daran wie sie die schwere Krankheit ihres Kindes beschrieben hat. Naives Beschreiben und das Runterbrechen auf ein paar Worte finde ich prinzipiell spannend, die Perspektive aus der ich erzähle, ist aber nicht kindlich, sondern ohnmächtig. Wenn man in der Ramsau aufgewachsen ist, dann ist das prägend. Wenn ich diesen Blick dann mit der Sensibilität für Wörter verbinde, überrascht es mich auch selber, dass dann schon ein Bezug zur Religiosität und zum Berggehen entsteht. Das hab’ ich, als ich noch daheim gewohnt habe, nie so begriffen, aber mit diesem Blick zurück tun sich Verbindungen auf, die ich sehr spannend finde.“
Konzert
Das Präsentationskonzert der neuen Lieder im vollen WUK in seiner neuen Heimat Wien überraschte nicht nur mich. Dort, wo die Musiker Lockerheit zumindest vorgeben, war schon nach ein paar Minuten klar, dass hier ein bis in die letzte Bewegung inszeniertes Konzert stattfand. Großartig und voller Inbrunst vom Anfang bis zum Ende, aber war das jetzt ein Stück oder doch ein Konzert? Plut antwortet mit einem breiten Grinsen: „Es war eine Geisterbeschwörung, aber es ist schon inszeniert. Wobei auch ein normales Konzert bis zu einem gewissen Grad inszeniert ist, aber bei mir ist es jetzt durchgetaktet. Die Akzente sind stärker gesetzt und jedem ist klar was er macht. Ganz anders als bei einem Auftritt mit ‚Viech‘ zum Beispiel, da lassen wir es in verschiedene Richtungen laufen, was auch sehr schön und dem Gedanken des Musizierens näher ist. Aber ich habe die letzten Jahre viel am Theater gearbeitet und die schönen Seiten von diesem Fokus kennengelernt. Das wollte ich auch in mein Stück einbauen.“ Also doch ein Stück? „Entweder ist es ein Stück oder ein Konzert, dazwischen gibt es eigentlich nichts, vielleicht ist es Musiktheater?“ Plut bemüht sich, seine Kunst zu Ende zu denken, daher verzichtet er im Gegensatz zu den Konzerten in den letzten Jahren auf jede Moderation. „Das ist bewusst so entschieden worden, weil es sich absolut nicht richtig angefühlt hat. Es wäre ein Heraustreten aus diesem Ding, dieser Rolle und ein Wiederhineinfinden wäre für alle Beteiligten, inklusive der Zuhörer schwer, deswegen gibt es erst am Ende die Abmoderation. Das war die Idee dabei.“ Und was soll man sagen, in diesem Fall zündet die Idee, denn der Zuhörer wird von Beginn an in die höchstpersönliche Ramsauer Unterwelt ihres Schöpfers hineingezogen. Plut schafft es, das Publikum erst wieder aus dieser Welt zu entlassen, wenn die Erzählung ihr Ende gefunden hat.
Plut war unter anderem auch als musikalischer Leiter bei dem Stück „Haummas net sche?“ von Christine Nöstlinger am Volkstheater engagiert. Wie haben sich diese Erfahrungen auf die eigene Arbeit ausgewirkt? „Punktuell fließen die Erfahrungen sehr stark ein, aber zum Teil auch überhaupt nicht. Die Regisseurin, mit der ich gearbeitet habe, brauchte spontan Entwürfe zu gewissen Themen, oft auch auf Instrumenten, die ich zwar spiele, aber nicht beherrsche. Ich spiele Klavier und Akkordeon, aber mein Hauptinstrument ist die Gitarre. Ich habe die Dinge spontan umgesetzt, und das hat auch gut geklungen, aber es waren eher Entwürfe. Die Lieder auf der Platte sind viel durchdachter, konzeptueller und feiner. Solche Feinabstufungen gibt es am Theater nicht, aber was mir sehr gut gefällt, ist die Möglichkeit, Sachen ausprobieren zu können, sie wieder zu verwerfen und zu schauen, wo es einen hinzieht.“
Ramsau now
Die wirkliche Ramsau ist eine gute und clever geölte Tourismusmaschine, die früh ihre Stärken erkannte und sich doch vom Ballermanngetöse des Wintertourismus im Talort Schladming abhebt. Im Sommer tummeln sich hunderte Familien und Wanderer auf den Bauernhöfen und in den Appartementhäusern. Im Winter setzt man auf den nordischen Skisport und in allen Saisonen bevölkern die Tagesausflügler, die mit der Seilbahn den noch existierenden Gletscher am Dachstein sehen wollen, den Ort. Wie sieht er die Entwicklung im Tourismus? „Ich war selber Skilehrer, das ist unumgänglich. Viele Freunde und Familienmitglieder arbeiten in diesem Bereich. Sie sind alle heilfroh, dass sie nicht mehr wie früher wirkliche Knochenarbeit verrichten müssen, um den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern eigentlich mit etwas Schönem, dem Bewirten von Gästen. Es gibt aber auch Grenzen wie den Apres-Ski-Tourismus, da bringt mich auch nichts rein, das ist abscheulich. Ich glaube, die Ramsau würde das auch machen, aber mit den Langlauftouristen und den Berggehern sind die Rahmenbedingungen einfach nicht gegeben. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es in der Ramsau noch angenehm ist zu leben, auch für Menschen, die nicht im Tourismus arbeiten. Der Tourismus ist ja eigentlich noch jung. Es gibt da einen ORF-Film aus den Siebzigern, den ich in die Finger bekommen habe. Da hört man Gespräche, ob die Straße von Schladming rauf in die Ramsau gebaut werden soll, denn dann kämen zu viele Ausländer und Zigeuner hinauf ins Dorf. Da hat man den Tourismus noch gar nicht gesehen.“ …
Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 63
Paul Plut
Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse
www.paulplut.com