Oft wurde es gesagt, und hunderte Male geschrieben, dass die Malerei an ihrem Ende angekommen sei. Sämtliche Möglichkeiten dieses klassischen Mediums, bestehend aus Öl- oder Acrylfarbe auf Leinwand, seien nach dem finalen Aufbäumen der ältesten aller Kunstformen im späten 20. Jahrhundert endgültig durchgespielt und ihre Potenziale somit ausgereizt. Die Ironie dieser propagandistischen Behauptung jedoch liegt darin, dass ausgerechnet im Feld der Bildenden Kunst, wo unentwegt Neues ausgerufen wird, nur höchst selten eine Ausdrucksform durch eine andere oder eine Medium durch ein anderes ersetzt wird oder gar komplett verschwindet. Vielmehr entstehen neue Konkurrenzverhältnisse der Stile und Techniken und somit neue Annäherungen an die Wirklichkeit. Wo ein Ende ausgerufen wird, leuchten sogleich die unerwarteten Zeichen eines neuen Anfangs auf.
Geradezu logisch also, dass beispielsweise auf jenen großen kulturhistorischen Sprung, den Andy Warhol (*1928 in Pittsburgh, PA; † 1987 in New York City) mit der coolen Pop-Art einleitete, Figuren wie der exaltierte Neoexpressionist Julian Schnabel (*1951 New York City, NY) folgten, dessen Bilder geradezu opulent, barock wirken. Und geradezu logisch auch, dass die Malerei zunehmend nach neuen Strategien der Selbstbehauptung rang, als die Präsenz von Fotografie, Film, Video und nicht zuletzt der digitalen Kunstformen sukzessive anstieg. Doch heute, aus der Perspektive des von der Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss so bezeichneten postmedialen Zeitalters, besteht der Erfolg all dieser neuen technischen Medien nicht allein in der Initiierung neuer Kunstströmungen, sondern genauso darin, dass sie enormen Einfluss auf all die sogenannten alten, historischen Kunstformen wie Skulptur oder Malerei nahmen.
Harte Zeiten – Bilder in Trümmern
Dies führt zu jenem Punkt, von dem aus der deutsche Künstler Albert Oehlen (*1954 Krefeld, D) die Malerei neu definierte. Von Beginn an waren Prozesse der visuellen Konzeption sein Thema: Sein Vater war Grafiker, erste eigene Bilder malte er in den 1970er Jahren, Studium in Hamburg unter anderem bei Sigmar Polke (*1941 in Oels, Niederschlesien; † 2010 in Köln). Doch bevor es irgendwie weiter gehen konnte, musste zunächst einmal alles in Trümmer gelegt werden. Auch die Wirklichkeit rundherum war von Härte gekennzeichnet. Einer der Höhepunkte des Kalten Kriegs manifestierte sich im Wettrüsten von Ost und West. Als Teil der Nuklearwaffenpolitik der NATO rüstete Deutschland mit Pershing II Marschflugkörpern auf. Nicht nur dagegen richteten sich die Proteste auf der Straße. Der Kampf gegen Spekulation und somit die Zahl der besetzten Häuser insbesondere in Berlin und Hamburg hatte enorm zugenommen. Als wäre da etwas aus der sozialen Realität draußen in die Kunst gerückt, nennt Albert Oehlen 1983 eines seiner Bilder „Raum für phantasievolle Aktionen‘‘. Im Katalog zur Ausstellung „Terpentin 2012‘‘ im Kunstmuseum Bonn schreibt Stephan Berg treffend: „Kein Ausweg nirgends aus diesem schmutzig unaufgeräumten Bildraum, in dem die fliehend hochgereckten Arme das Subjekt nur mehr als Schwundstufe ausweisen, ausgeliefert an diesen bräunlich verwirbelten saugenden Untergrund, in dem es demnächst zu verschwinden droht. Fast fühlt man sich an Goyas epochalen ‚El Perro‘ (1820-1823) aus den ‚Pinturas negras‘ erinnert, diesen Hundekopf, der als letzter gegenständlicher Rest aus einer gewaltigen bräunlichen, sandigen Maldüne ragt. Aber wo Goya die Empathie mit der ausgelieferten leidenden Kreatur zu seinem Hauptthema macht, zitiert Oehlen diese Pathosgeste nur, um sie zur schrillen Farce zu verzerren.‘‘ Es ist bei Albert Oehlen eine ‚„kulissenschieberhafte, theatralische Als-ob-Rhetorik‘‘. Oehlen nimmt das Baumaterial großer Bildtradition auseinander, zertrümmert, filetiert, segmentiert, was Bild sein könnte, um schließlich zu jenem postmodernen Akt vorzudringen, im Zuge dessen aus der analytischen Negation, aus der Durchstreichung des bisherigen durch dessen Integration in Teilen wiederum ein visuelles Konzept als Behauptung entsteht.
Grobe Pixel und Lineaturen aus dem Computer
Es ist Albert Oehlens Versuch, den fragwürdig gewordenen Platz der Malerei in der Gegenwartskunst neu zu bezeichnen. Zu seinen strategischen Maßnahmen gehört anfangs auch, sie in unangenehme, peinliche Kontexte zu verwickeln, in die sie mit all ihren kunstfernen Bildern auch tatsächlich hineingerutscht ist. Dazu verwendet er muffige Farben wie abgestandene Brauntöne, längst abgegriffene Symbole wie den Spiegel als Motiv oder widmet sich anachronistischen Themen der Kunstgeschichte. Doch indem er die Malerei rücksichtslos mit ihrer eigenen Geschichte konfrontiert, öffnet er neue Zonen für experimentelle Verfahren der Bildgenerierung, die er bald in das Repertoire seiner künstlerischen Arbeit übernimmt.
Damit wechselt Oehlen keineswegs das Medium. Auch verabschiedet er sich nicht von der gestischen Handschriftlichkeit, die der Malerei stets inhärent ist. Vielmehr addiert er eine neue Technologie in den Prozess der Bildwerdung. Ab 1990 entstehen Albert Oehlens Computerbilder. In einer Zeit, in der sich die digitale Revolution eher als Rhetorik, denn als reale Umwälzung des Alltags auswirkt, kommen dem Künstler die neuen Möglichkeiten der Bilderzeugung auf dem Bildschirm entgegen, um seinen Diskurs über die Künstlichkeit des Bildes zuzuspitzen. Was durch Anwendung des Computers verbunden mit Siebdruck entsteht, ist aber keineswegs eine Ästhetik der cleanen Form. Es sind vielmehr grobpixelige Bildsamples und Lineaturen. Sie wirken kaum irgendwie technoid und werden nach dem Ausprinten von Oehlen noch dazu mit dem Pinsel weiter geformt. Auch dem Visionären, das der Digitaltechnologie anhaftet, begegnet Oehlen mit Skepsis und verwendet den Computer mehr als experimentelles Tool, um die Malerei auf einer neuen Ebene weiterzuführen.
Diese Anfänge – nämlich mit einem einfachen und heute trivial erscheinenden Grafikprogramm von Texas Instruments zwei grundsätzlich unterschiedliche Formen der Bilderzeugung miteinander zu verschneiden – kommentierte Albert Oehlen später in einem Interview in „Texte zur Kunst‘‘. Keineswegs irgendwie euphorisiert nahm er den neuen Begriff „Computerkunst‘‘ als Aufforderung wahr, etwas auszuprobieren, ohne damit allzu große Erwartungen zu verbinden: „1990 kaufte ich mir einen Laptop. Diedrich Diederichsen war damals zu Besuch bei mir, und wir sprachen über die Bedeutung des zweitneuesten Mediums. Die Bedeutung und Benutzung des Synthesizers der Zeit im Gegensatz zu Walter Carlos (der klassische Instrumente am Synthesizer imitierte). Die erste Generation ist immer verpflichtet, die Möglichkeiten vorzuführen. Echt außerirdische Töne zu erzeugen oder gar die menschliche Stimme zu imitieren, zum Beispiel. In der Zeit, als sich niemand mehr für den Synthesizer interessierte, haben dann Roxy Music und Pere Ubu den Synthi als Instrument (zum Zwitschern und Rauschen) in die Rockmusik eingepasst. In der ersten Zeit glaubt man immer, dass jetzt wirklich alles möglich ist. Danach bekommt das Ding einen Charakter, es wird zu einem Instrument, das man wiedererkennt.‘‘ Bezogen auf den Computer in der Kunst meinte er mit „zweitneuestem Medium‘‘, „dass man nicht immer an vorderster Front der technischen Möglichkeiten arbeitet‘‘.
Solche zurückgeschraubten Erwartungshaltungen an den Computer waren verbunden mit einem weiteren Moment, das gerade in der Kunst, aber auch in der Wissenschaft zur Optimierung der Ergebnisse beitragen kann: mit dem Zufall an der Grenze zum Unfall. „Durch einen glücklichen Zufall war das erste Bild als eine sehr kleine Datei angelegt. Ich habe ein bisschen gekrickelt, und Diedrich Diederichsen, der bei mir zu Besuch war, hat „Krieg ist böse‘‘ ins Bild geschrieben, weil an dem Tag der Golfkrieg anfing. Die Schwarzweißzeichnung war extrem pixelig. Weil ich keinerlei Hoffnungen in die computerspezifischen Möglichkeiten setzte, die man kennt, mußte ich ein Gemälde planen. Das heißt, ich dachte weder an Phantasielandschaften und Gitterfiguren oder vektorgenerierte Körper noch an eine Kunst, die nur Information ist. Internet und so weiter. Es war mir also ziemlich egal, was im Detail auf dem Bild los ist. Ich wollte eine neue Art Gemälde.‘‘ In der Feinarbeit schließlich wurden gewisse Treppchen-Effekte korrigiert, Linien gedehnt und gezerrt und manche Farbfelder wieder retuschiert. So ergab sich für Oehlen ein Display, das übertragen auf die Leinwand malend weiterbearbeitete. Es repräsentierte jene Künstlichkeit, die er als Maler anstrebte. Später entstanden dann auch Grafiken nahezu ausschließlich am Computer.
Trash aus dem Alltag des Konsums
Ohne dass er selbst es so formulieren würde, läuft die künstlerische Praxis Albert Oehlens insgesamt aber darauf hinaus, das Vertrauen in die Malerei und die Kraft des Bildes zu stärken; vor dem Hintergrund einer radikalen Kritik jedoch. Dass er anstrebt, Popkunst zu machen, die emotional zu fesseln vermag, steht dazu nicht im Widerspruch. Auch gute Popmusik kann Differenz herstellen und Kritik transportieren. Bereits in Collagen in verschiedenen Formaten griff Albert Oehlen diverses Bildmaterial aus dem Alltag, aus Tageszeitungen oder illustrierten Magazinen, auf, um die intendierten Inhalte zu konterkarieren oder in ihrer Trivialität bloßzustellen. In den letzten Jahren verwendete er in seiner Malerei Sujets aus der Werbung auf, die naturgemäß darauf angelegt sind, die Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen breiter Publikumsschichten zu kanalisieren. Wo es also darum geht, die Menschen auf der simpelsten Ebene von billig abzuholen, scheute Oehlen nicht dafür zurück, auch die Kunst mit Inhalten aus der alleruntersten Schublade aufzuladen. Was damit begann, dass er einfach Plakatteile auf Leinwand klebte und mit Farbe überschmierte, steigerte er nun, indem er für eine Ausstellung in der Thomas Dane Gallery in London, 2007, Werbeanzeigen von Schlecker abmalte. „Werbung auf niedrigstem Niveau – Werbung, die alles andere als ‚sophisticated‘ ist, die einen nur anschreit.‘‘, wie er selbst sagt. Überhaupt stellte er in dieser Ausstellung ähnlich Alltägliches wie die Deutschlandfahne oder Werbefotos von Bratwürstchen mehr oder weniger zusammenhanglos nebeneinander. Was wie eine vom Zufall gespeiste Kollision wirkt, übersetzt aber genau jene Beliebigkeit ins Bild, die das Tagtägliche unseres Lebens drückend überformt.
War es anfangs noch eine Art des „bad painting‘‘, die Albert Oehlen kultivierte, während er später aus einer Palette einzelner Operationen am Computer und den daraus entstandenen Rasterungen auf dem Bildschirm schöpfte, so arbeitet er nun ebenso kybernetisch, wenn er die Ästhetik von Rave-Flyern oder die Traumlandschaften von Billig-Reisprospekten inklusive nerviger Schriftsätze per Druck in opulent farbige Bilder integriert. Seine Herangehensweise bezeichnet er als „postungegenständlich‘‘. Dass er mittlerweile auch eine neue Gruppe von Bildern geschaffen hat, deren Prinzip die Entleerung zu sein scheint, die Zurücknahme der Zeichen zu Gunsten der farbigen oder auch grauen oder weißen Fläche, steht dazu nicht im Widerspruch. Auch die Entleerung von allzu präsenten Strukturen und die flächige Verdichtung und Verwischung in seinen grauen Gemälden lässt sich auf die seinem Œuvre zugrundeliegende Matrix zurückführen. Es ist das Durchspielen unterschiedlicher formaler Konzepte, die erst hinterfragt, durchgestrichen, auseinandergenommen werden, um in der Dialektik zwischen Verneinung und Erneuerung die Malerei als Oberfläche und als Konstruktion zu entlarven, die letztlich doch so viele Anziehungskraft entwickelt, dass sie den Weg der zu diesem Punkt hinführt, vergessen lässt. Ironie oder gar Strategie also, dass genau jener Albert Oehlen, der mit dem Gestus des Kampfes gegen die Malerei nun mit einer gewissen Sympathie für deren Fürsten selbst zu einer deren wichtigsten Vorreiter wurde. Nach großen Retrospektiven im Musée d’art moderne de la Ville de Paris oder zuletzt im Kunstmuseum Bonn lässt er nun im mumok in Wien seine einzelnen Werkgruppen gegeneinander antreten.
Albert Oehlen
mumok, 8.Juni – 20.Okt. 2013
Museumsplatz 1
A-1070 Wien