Mehrdeutigkeit und Ambivalenz findet sich 2020 bereits im Leitmotiv des renommierten Avantgardefestivals. Das dem Titel eines 2019 erschienenen Romans von Ian MacEwan entlehnte Motto vermisst das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, sowie den Einfluss von Algorithmen und künstlichen Intelligenzen auf die Kunstproduktion. Dazu kommt das Nachdenken über soziale und intelligente Maschinen in der Biotechnologie und artverwerwandten Materien. Mehrere Lesarten des Leitmotivs ergeben sich bereits bei der Übersetzung: „Maschinen wie wir“ ist naheliegend, dazu gesellt sich noch die alternative Übertragung „Maschinen mögen uns“ und „Maschinen sind uns ähnlich“. Der kurz gehaltene Programmtext zum kommenden Donaufestival fragt zurecht: „Ist diese Zuneigung auch eine Drohung?“
Hören (auch) mit Schmerzen bei Swans
Bedrohlich kann es jedenfalls in musikalischer Hinsicht mit einem als Höhepunkt des Festivals prognostiziertem Auftritt der US-amerikanischen Band Swans (26. April) werden. Die seit 1982 bestehende Band mit dem einzigen fixen Bandmitglied Michael Gira hat seit Bestehen alles andere als Kontinuität im Sachen Sound (von brachial bis zart) und Personal demonstriert. Das mag auch an Giras schwieriger Biografie liegen, der schon als Zwölfjähriger Drogenerfahrung nicht zu knapp sammelte, was ihm als Minderjährigem und später als Erwachsenem einige Gefängnisaufenthalte bescherte. 1979 zieht der 1954 geborene Gira nach New York, wo er inspiriert u.a. von Suicide und der No-Wave-Bewegung Swans gründete. Der Rest ist Geschichte. In den letzen Jahren gab Gira mit den Alben „To Be Kind“ (2014) und „The Glowing Man“ (2016) wieder mächtige Lebenszeichen von sich, aktuell hat Gira das mit vielen Gästen eingespielte, eher sanfte „Leaving Meaning“ (2019) im Tourgepäck. Ohrenstöpsel sind bei Swans dringend angeraten!
Michael Gira, Swans © William Lacalmontie
Hitziger Prototyp Post-Punk
Wie Swans ist auch die britische Band Wire (24. April) schon lange ins Stadium der eigenen Historisierung eingetreten. Als die prototypische Band des Postpunk mit den Gründungsmitgliedern Colin Newman, Bruce Gilbert, Robert Grey und Graham Lewis veröffentlichte Wire Ende der 1970er-Jahre mit „Pink Flag“, „Chairs Missing“ und „154“ drei Alben für die Ewigkeit, trotzdem löste sich die Band bereits 1980 zum ersten mal auf und die Gründungsmitglieder widmeten sich anderen Projekten. Nach dem Abgang von Robert Grey und einer Phase als WIR spielten die Gründungsmitglieder wieder als Wire. Unlängst veröffentlichte die Band mit „Mind Hive“ ihr 17. Album, das nahtlos an alte Qualitäten anschließt, ohne sich verstaubt anzuhören. Ganz im Gegenteil klingt die Band, die lange On-Off Beziehungen mit vielen Soloveröffentlichungen pflegte, vital wie schon lange nicht. Auffällig ist auf „Mind Hive“ die ungemeine Vielfalt in Sound und Komposition. Das achtminütige, droneartige Stück „Hung“ steht selbstverständlich neben dem Prog-Rock von „Be Like Them“, und der heute am modernsten klingende Song ist „Cactused“ erinnert wiederum an die frühen Jahre der Band. Mehr Kult als Wire kann eine Band kaum sein. Es gilt strengste Anwesenheitspflicht! Der dritte Act mit langer Geschichte und einem umfangreichem Werk mit zahllosen Kooperationen ist der britische Schlagzeuger Charles Hayward (26. April). Bekannt wurde Hayward als Leiter der experimentellen Rockband This Heat, die als This Is Not This Heat bereits 2017 beim Donaufestival in der Minoritenkirche gastierte und für Begeisterung sorgte. Hayward ist ein Kapazunder, der mit unzähligen Fusion- und Alternative-Rock-Bands gearbeitet hat. Er ist auch ein gefragter Studiomusiker (Everything but the Girl, Raincoats …) der auch mit Bill Lasswell und Fred Frith in der Band Massacre spielte, sowie mit Ted Miltons Formation Blurt. So weit zu den älteren Herren.
Girl Band © Rich Gilligan
Girl Band Boys only und Trümmersound
Für mitteleuropäische Verhältnisse ziemlich exotisch daherkommen werden vermutlich die beiden „Indonesian rave weirdos“ Gabber Modus Operandi, die Happy Hardcore und rituelle indonesische Folkloresounds präsentieren werden. Weiters wird am ersten Festivaltag der norwegische Musiker Bendik Giske seine Fusion aus Saxofon und Elektronik (Giske ist live am ganzen Körper mikrofoniert) als Reinszenierung der schwulen Berliner Clubkultur zelebrieren. Keinesfalls verpassen sollte man auch die Band mit dem unverschämten Bandnamen-Etikettenschwindel: Die vier irischen jungen Männer nennen sich Girl Band und werden auch in Krems dem Publikum ihren räudigen Noise-Rock ohne Rücksicht auf Verluste um die Ohren schleudern …
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Hildur Guðnadóttir © Antje Taiga Jandrig
Donaufestival Krems
24. April bis 2. Mai 2020