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Donaufestival 2022

Das Donaufestival leiht den Krach zur Kunst in Krems. Von 29. April bis 1. Mai und von 6. bis 8. Mai findet man in der Minoritenkirche nicht nur zum Göttlichen, sondern löst sich im Kunstnebel auf. Ein Programmüberblick.

Jessica Moss © Antoine Lutens

Zum Grünen Veltliner aus der Wachau beben die Marillen im Marmeladenglaserl – das Donaufestival kehrt nach Verschiebungen 2021 zu seinem Stammplatz inmitten des Kremser Frühlings zurück. Das böse C-Wort hat man entlang der Donau zwar nicht vergessen, es rumpelt aber wieder Kopf- und Computermusik. An zwei Wochenenden springt man unter dem Motto „Stealing the Stolen“ in den postkolonialen Sumpf und dreht drei Runden in der grauen Lagune. Das Programm wolle nicht stehlen, sondern „bereichern und Inspiration statt Ächtung bezeuchen“, so Festivalkurator Thomas Edlinger. Deshalb haben er und sein Team ein Programm zwischen Szenestars und Nischenkrach zusammengestellt. Es wird performt und diskutiert.

In der „Oase des Denkens“, einem Fußmarsch zwischen Minoritenkirche und Mehrzweckhallenkomplex der Festivalzentrale, dräut der Rausch zwar im nächsten Heurigen. Man verschmäht aber das Achterl und findet die Erleuchtung in der Dunkelheit. Mit der englischen Songwriterin Tirzah schlurft man zu Beats, zu denen sie ihre Stimme so enthusiasmiert gibt wie das Kernpublikum einer Finissage im siebten Bezirk. Wer hätte gedacht, dass britische Grime-Musik das Messer jemals gegen Xanax tauschen würde? Shabazz Palaces, halb Hip-Hop-Combo, halb One-Way-Ticket zum Saturn, jettet von Seattle an die Donau. Die OGs waren vor fünf Jahren bei deren Gastspiel in der Wiener Arena und haben gesehen, wie das adoptierte Kind von Sun Ra und Frank Ocean klingen könnte.

Midori Takada © promo

Mit Matana Roberts und Jessica Moss checken außerdem zwei Freundinnen vom kanadischen Godspeed-You-Black-Emperor-Label Constellation am Donaufestival ein. Roberts, die Jazzerin mit Hang zur Gedichtanalyse und die Violinstin bei den Post-Rock-Heiligen von Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, treten gemeinsam auf. Das passiert so selten, dass man das Meeting in Krems als organisatorische Eliteverkupplung bezeichnen darf. Ebenfalls rar hat sich in der Vergangenheit die japanische Perkussionistin Midori Takada gemacht. Dabei ist sie im Land der aufgehenden Sonne berühmt wie Haroumi Hosono oder das Yellow Magic Orchestra. Ihre Debütplatte erschien vor 40 Jahren – ein musikalischer Zen-Garten, in dem Marimbas pluckern und Vöglein in einer Wandtapetenwelt das Leben bezwitschern, während im Hintergrund der Zimmerbrunnen plätschert. Glück ist, wenn einen der YouTube-Algorithmus zurück auf die Bühne führt. Takada kommt zum ersten Wochenende nach Krems.

Die Software-Abteilung im Elektronikparadies entlädt sich mit dem Auftritt von 700 Bliss. Das Duo um Moor Mother und DJ Haram ratterte schon bei ehemaligen Auftritten am Hyperreality auf der Sophienalpe, hier prügeln die beiden konzentrische Kreise in den Donauarm – mit Beats, die das britische Pendant wie ein Sozialprojekt in der Regenbogengruppe wirken lassen. Wer sich in den letzten Jahren in Krems herumgetrieben hat, weiß außerdem: Moor Mother, die Machatscheckerin aus Philadelphia, hat Festivalchef Edlinger auf der Kurzwahltaste abgespeichert. Eine sichere Leitung gibt es auch zu Vladislav Delay. Die finnische Rauschkugel zieht mit Lebensabschnittspartnerin Antye Greie-Ripatti ein, die den Aufguss mit einer Aquarell-Keynote begleiten wird.

Vladislav Delay © promo

Am Donaufestival orientiert man sich nicht nur am globalen Norden – auch unter der Gürtellinie des Äquators holpern Beats aus Laptops. MC Yallah & Debmaster entspringen dem Dunstkreis des international gehypten Nyege Nyege-Camps in Uganda. Dort macht man Musik für den Ritalin-Haushalt. Passend dazu: Slikback, ein kenianischer Musiker, verbrüdert sich mit Weirdcore, der Videos aus seinem Apple rendert, die genauso klingen wie sein Name: crazy like fox news! Außerdem findet kultureller Austausch auf Art des Donaufestivals mit Bands wie den Les Filles de Illighadad statt. Das ist Sagniemals-Weltmusik-Musik aus der Sahelzone, der uns den Blues aus der Sahara bringt – sicher angeführt von der ersten Tuareg-Frau, die sich eine elektronische Gitarre um den Beduinenmantel hängt.

Arca © Hart Lëshkina

Einer der Headliner des Festivals ist Arca. Man muss das Projekt von Alejandra Ghersi in den letzten Jahren nicht konsequent verfolgt haben, um nach drei Sekunden mit ihrer Musik zu registrieren, dass hier jemand die hypersexualisierten Grenzen des Mach- und Hörbaren in operettenhafter Zügellosigkeit in einen utopischen Schwellenzustand zwischen Kitsch, Pathos und Cyborg Manifesto überführt hat. Es klescht, es bimmelt, die Zukunft trägt neonfarbene Yeezy-Sneaker. Dagegen ist die Abteilung für Tiefseetauchende mit dem Musiker The Bug abgedeckt. Der hat zuletzt mit der Schreihälsin Dis Fig eine Platte gemacht, die böse Geister mit Techno austreibt, für den man zwei Jahre Psychotherapie verrechnen müsste.

Apropos Therapie: Das Manchester-Duo Space Afrika produziert Musik, die so klingt, als hätte man die Beats aus Burials Geknistere operiert. Übrig bleibt eine Geschichte, die sich nur im Schatten der Nacht erzählen lässt. Gerade dort aber die Wirkung zweier Schamanensessions entfaltet. Dass mit Blackhaine ein MC aus derselben Gegend wie Space Afrika auftritt, ist kein Zufall. Der Zwei-Meter-Hühne, der so aussieht, als hätte er den letzten Pub-Fight gewonnen, hat zuletzt die Stadion-Sessions von Kanye West choreografiert. Macht er Musik, quetscht er sich zwischen Death Grips und dem räudigsten Drill in eine Nische, wo Schattenweltler ihr Unwesen treiben.

Soap & Skin © Clemens Schmiedbauer

Wer angesichts dieses Schattentanzes fragt, wo man den heimischen Beitrag am Donaufestival erwarten darf, muss noch bis zur Veröffentlichung des Gesamtprogramms abwarten. Mit Soap&Skin lockt man zwar berufsjugendliche „You’re at home“-Fußmatten zum Weinwandertag nach Krems. Ansonsten scheint der Fokus woanders. Die lokale Szene nimmt höchstens im Publikum Platz, um das mit Afrobeat begleitete Soziologie-Seminar von Fehler Kuti zu verfolgen. Selbst in der Performance-Schiene, die Astrid Peterle verantwortet, bleibt der österreichische Beitrag minimal. Die Wienerin Elisabeth Tambwe führt die Schönbrunner Location Château Rouge und trat schon am Donaufestival auf. Ula Sickle dürfte in der Gegend aber nur dem Wiener Festwochen-Publikum – und Uni-Ravern ein Begriff sein. Der Rest holt den Basiskurs für „kollektive Handlungen zwischen Gegenwart und möglichen Zukünften“ vor Ort nach. Oder fackelt mit Ariel Efraim Ashbels ein Freudenfeuer in der Dominikanerkirche ab.

 

FAQ verlost 2 x zwei Tagespässe für das Donaufestival in Krems für 30. April und 07. Mai.
Senden Sie bis 24. April eine E-Mail mit dem Betreff „Donaufestival“ an  gewinnspiel@faq-magazine.com

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!  

Donaufestival 2022
29.4.–1.5.2022 und 6.–8.5.2022, Krems an der Donau
www.donaufestival.at

 

 

| FAQ 64 | | Text: Christoph Benkeser
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