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Don’t Think Twice, It’s All Right

„A Complete Unknown“ ist bei weitem nicht der erste Versuch, Bob Dylan auf Zelluloid zu bannen. Zeit für eine Einordnung.

Timothée Chalamet in „A Complete Unknown“

 

„It’s complicated“ ist ein Ausdruck, der im Englischen einfach besser klingt. Er passt zu Bob Dylan, dem unberechenbaren „song and dance man“, der nie nach simplen Erklärungen greift. Dylan als Mensch ist so schwer festzulegen wie seine Musik. Und auch die klingt im Original von ihm selbst mit angemessen knittriger Stimme vorgetragen immer besser, eindringlicher, weil in seiner Lyrik so viel Persönlichkeit steckt. So viel Charakter. So viel Wahrheit. Dylan hat es stets geschafft, in seinen Liedern mit einer klaren Poesie Dinge zu benennen, die nur ihn und gleichzeitig die ganze Welt etwas angehen. „Das macht sie so beängstigend“, sagte er 1964 selbst in einem Interview mit dem „New Yorker“. „Wenn ich nicht durchgemacht habe, worüber ich schreibe, sind die Songs nichts wert.“ Man versteht sofort, was er meint. Das Reiben an Zeiten und an Widersprüchen, sowohl gesellschaftlich als auch privat. Seine Texte, ob alt oder aktuell, passen ins Heute wie ins Gestern. Kompliziert wird es erst, wenn man es darauf anlegt, den unkonformen Singer-Songwriter, Schriftsteller, Maler, Regisseur, Schauspieler und Radio-DJ in einen vorgegebenen Rahmen zu pressen. In ein Bild. Oder einen Film.

Timothée Chalamet in A Complete Unknown

James Mangolds Biopic A Complete Unknown ist der jüngste Versuch des Kinos, sich dem Phänomen Bob Dylan zu nähern. Man darf vermuten, es wird nicht der letzte sein – ganz unabhängig davon, ob und wie Timothée Chalamet in der Rolle des jungen Folk-Revoluzzers beim Publikum besteht. Fünf Jahre lang, sagt der Schauspieler, habe er sich auf seinen Auftritt vorbereitet. Fast zehn Kilo musste er zunehmen, was dem sonst extrem hageren Star nicht unbedingt schlecht steht. Er lernte Gitarre und Mundharmonika zu spielen und zu singen wie Dylan. Klar! Dass er im Film trotzdem nicht wie Dylan klingt und sein Porträt auch bezogen auf dessen Gemüt sanfter und harmonischer ausfällt, spielt letztlich kaum eine Rolle: Dylan ist ein so unverwechselbarer Künstler, dass er auf der großen Leinwand sogar gezähmt und geglättet immer noch ungewöhnlich scharfkantig wirkt, zumindest nach den üblichen Hollywood-Maßstäben.

Die Handlung von A Complete Unknown konzentriert sich auf Dylans emotional turbulenten Aufstieg zum Superstar, konkret: seine Anfänge in der New Yorker Folk-Szene zu Beginn der 1960er-Jahre, als er mit neunzehn und nur seiner Gitarre über der Schulter aus Minnesota ins buzzige Greenwich Village aufbricht. Kaum in der Stadt angekommen, hat der talentierte Newcomer zunächst jedoch eine für ihn persönlich wichtige Mission zu erfüllen. Er besucht sein chronisch krankes Idol Woody Guthrie (Scoot McNairy), der an Chorea Huntington leidet, im Greystone Hospital in New Jersey, um ihm zur Aufmunterung und in ehrfürchtiger Bewunderung ein liebevolles Ständchen zu singen. Zufällig sitzt an dem Abend noch ein Besucher bei Guthrie: Pete Seeger (Edward Norton), der große Friedensbotschafter, stets mit dem Banjo unter dem Arm, und „Champion der Folkmusik“, wie einst die „New York Times“ über ihn schrieb. Als er Dylan singen hört, legt sich ein sanftes Lächeln auf sein Gesicht. Fortan unterstützt er den Neuankömmling, verschafft ihm kleine Gigs, bis Dylan selbst genug Aufmerksamkeit auf sich zieht. Lange dauert es nicht.

No Direction Home, 2005. Foto Album / Alamy Stock Foto

Joan Baez mit Bob Dylan in Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story by Martin Scorsese, 2019 © Netflix

Natürlich ist die Chronologie vom Aufstieg Dylans, der am 24. Mai 1941 Duluth, Minnesota, geboren wurde und in Hibbing, einer Bergbaustadt nahe der kanadischen Grenze aufwuchs, nicht ganz so „unbekannt“ wie der Titel von Mangolds Film impliziert. Martin Scorseses preisgekrönter Doku-mentarfilm No Direction Home aus dem Jahr 2005 behandelt in etwa die gleiche Zeitspanne wie A Complete Unknown, selbstverständlich mit dem gleichen Personal. Und obwohl Dylan auch Mangolds fiktionale Erinnerungen abgesegnet hat, die wiederum auf dem 2015 erschienen Buch „Dylan Goes Electric“ von Elijah Wald basieren, wartet Scorseses Film mit dem entscheidenden Trumpf im Ärmel auf: Im Mittelpunkt steht ein Interview mit Dylan, in dem er erstaunlich tiefgreifende und durchaus plausible Antworten auf zahlreiche Fragen zu seiner Kindheit, seinem Werdegang vom Interpreten zum Komponisten und überhaupt dem Wesen seiner Kunst gibt – was in der Welt des notorisch kamerascheuen Bob Dylan eine Seltenheit ist.

Mangold dagegen erzählt in seinem Film zwei Geschichten, die sich immer wieder überlagern: Zum einen zeigt er – wenn auch zu eindimensional und platt – wie sich Dylan von den Zwängen und Dogmen der Folkmusik-Szene befreit. Er raucht, singt und scheint in einer Dreiecksbeziehung gefangen zu sein, während er mit sich und der Frage ringt, welche Art von Musik er überhaupt machen möchte. Schließlich tauscht er seine Akustikgitarre gegen eine elektrische ein und beginnt, Rockmusik zu spielen. Als er 1965 mit fetzigem Blues das Newport Folkfestival unter Strom setzt, ist nicht nur Seeger enttäuscht, sondern auch ein Großteil des eingeschworenen Publikums bäumt sich gegen ihn auf.

Die zweite Handlungsebene in A Complete Unknown ist mit der ersten unweigerlich verbunden. Und sie ist von ebenso elementarer Bedeutung, will man Dylans Musik und Charisma verstehen. Gemeint ist seine äußerst problematische Beziehung zu Frauen. Er selbst hat sich damit in seiner einzigen eigenen Regiearbeit, Renaldo und Clara (1978), auseinandergesetzt. Das vierstündige Mammutwerk von und mit Dylan und diversen Mitgliedern seiner 1975er „Rolling Thunder Revue“-Tournee, ist für alle Nicht-Dylanologen eine gewisse Zumutung, oder anders: Der Film zeugt von einer Unverfrorenheit, die man nicht so leicht ignorieren kann. Zugänglicher ist in jeder Hinsicht Martin Scorseses Netflix-Produktion Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story (2019), weil auch er die besagte Tournee dokumentiert hat, zu der Dylan eine wilde Truppe aus Hipstern, Freaks und Musikern um sich scharte. Anders als in seinem eigenen Regiedebüt spielen der Musiker und Scorsese hier gemeinsam und äußerst unterhaltsam mit Fakten und Fiktion.

Renaldo und Clara dagegen war ein wilder Mix an On-Stage-Mitschnitten, dokumentarischen Interviews und fiktionalen Episoden, die Dylans Liedtexte, sein Leben und eine fiktive „Ménage à trois“ zwischen seiner damaligen Frau Sara, Joan Baez und ihm selbst widerspiegeln. Das Ganze war erklärtermaßen ein intimer Versuch des Künstlers, seinen eigenen Emotionen und intimsten Gedanken Herr zu werden, doch das Ergebnis ist überraschend frei von jeder Art von Gefühl oder Individualität. Denn auch sein Renaldo ist letztlich ein Mann, der sich hinter einer Maske versteckt, sich nicht greifen lässt und am Ende so obskur bleibt wie der ganze Film.

Dont Look Back, 1967

Cate Blanchett in I’m Not There, 2007

A Complete Unknown dagegen engt den Fokus ein auf zwei der wichtigsten Frauen in Dylans früher Biografie: Verhandelt werden seine On-Off-Beziehung zu der Künstlerin Suze Rotolo, die im Film Sylvie Russo (Elle Fanning) heißt, und sein Verhältnis zu der Sängerin und Aktivistin Joan Baez (Monica Barbaro). Die eine ist zusammen mit Dylan auf dem Cover von Dylans Album „The Freewheelin’ Bob Dylan“ zu sehen. Die andere ist bereits eine erfolgreiche Folk-Stimme, als Dylan 1960 in New York eintrifft. Beide fördern mehr oder weniger direkt seine Karriere; durch seine Begegnung mit ihnen kann er seinen Erfahrungshorizont erweitern und sein Ego aufbauen. Und schließlich werden beide später bitter von ihm enttäuscht.

Zuvor jedoch ist Sylvie neben Seeger die erste, die Dylans Größe und Potenzial erkennt. Bald teilen sie ein Bett, dann ihre Wohnung, und werden ein Paar. Doch als Sylvie für ein paar Monate zum Studium nach Europa geht, entdeckt er Joan Baez, ist schnell fasziniert von ihr und zugleich überraschend hochmütig, etwa wenn er ihre Lieder mit „Ölgemälden in einer Zahnarztpraxis“ vergleicht. Auch seine Behauptung, Gitarrenakkorde von Cowboys auf Jahrmärkten gelernt zu haben, verärgert die Sängerin zutiefst. Für sie ist klar: Charakterlich ist Dylan ein ziemliches Arschloch, künstlerisch ein Genie. Auf der Bühne wie privat verhalten sich die beiden wie zwei Magnete, die sich, je nachdem wie sie zueinanderstehen, entweder gegenseitig abstoßen oder anziehen – auf der Leinwand wird das bei einem gemeinsamen Auftritt besonders deutlich, wenn sie die Zeilen von „It Ain’t Me Babe“ wie bittere Anschuldigungen gegen- statt miteinander austauschen. Es ist eine der schönsten, schmerzlichsten Szenen im Film.

In Wirklichkeit wuchs Dylans Einfluss Anfang der 1960er- Jahre rasch über den von Baez hinaus, weil er immer schon sowohl ein begnadeter Songwriter als auch ein gekonnter Performer war. Und auch die Sängerin spürte unverzüglich die ungeheure Dynamik, die von seiner Lyrik wie von seiner Aura ausging: „Bobby drückt aus, was ich – und viele andere junge Menschen – fühlen, was wir sagen wollen“, erklärte sie damals in einem Interview, befragt nach dem Geheimnis seines Erfolgs. „Die meisten „Protestlieder“ über Bomben, Rassenvorurteile und Konformität sind dumm. Ihnen fehlt es an Schönheit. Bobbys Lieder dagegen sind kraftvoll wie Poesie … und, mein Gott, wie dieser Typ singen kann!“ …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 79

 

 A COMPLETE UNKNOWN / LIKE A COMPLETE UNKNOWN
Drama/Biopic, USA 2024 – Regie: James Mangold
Drehbuch: James Mangold, Jay Cocks; Kamera: Phedon Papamichael; Schnitt: Andrew Buckland, Scott Morris; Kostüm: Arianne Philips
Mit: Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro, Boyd Holbrook, Dan Fogler, Norbert Leo Butz, Scoot McNairy
Verleih: Walt Disney, 141 Minuten

 

| FAQ 79 | | Text: Pamela Jahn
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