Startseite » Drei Tage im Dreiländereck

Drei Tage im Dreiländereck

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Agata Alexander

Reading, England 1988

Auf dem einstmals stolzen Festival tummelt sich eine für den Veranstalter desaströse Besucheranzahl. Am Campingplatz fließen diverse Alkoholika trotzdem in Strömen und das gerade neu erworbene Zelt des Berichterstatters gibt im Sturm der ersten Nacht fast den Geist auf. Zähneputzen mit den Ciderresten der letzten Nacht gehört zum guten Ton und einige Profis wärmen sich ihre Baked Beans mit Gaskochern. Während die versammelte Gemeinde am Freitag von den Godfathers, den Ramones und Iggy Pop (mit den Ex-Sex Pistols Paul Cook und Steve Jones in der Band) mehr als zufrieden gestellt wird, passiert am Samstag das denkwürdige Ereignis, das einen Einschnitt in die Festivalkultur bedeutete und gleichzeitig einen späteren glorreichen Neustart ermöglichte. Dank einer merkwürdig ahnungslosen Programmierung standen am zweiten Tag Mainstreamacts, mit den unsäglichen Starship („We Built This City“) als Headliner, auf der Bühne. Bonnie „It’s A Heartache“ Tyler beginnt am späten Nachmittag ihre Show und aus dem Publikum fliegen die ersten Flaschen auf die Bühne. Die abgebrühte Tyler weicht den Geschossen nicht nur aus, sie vergisst auch ihre Bühnenmanieren, greift tief in die walisische Schatzkiste der Schimpfwörter und bekommt die Situation notdürftig in den Griff. Sie beendet programmgemäß das Set und macht die Bühne frei für Meat Loaf, der gerade wieder einmal ein Karrieretief erlebt und dessen großes Comeback mit „Bat Out Of Hell II“ noch fünf Jahre auf sich warten lassen wird. Als Meat Loaf die gesäuberte Bühne betritt, ist die Ruhe vorbei. Die Pause wurde von den unzufriedenen Radaubrüdern benützt um fleißig nachzutanken und die dadurch entstehende Körperflüssigkeit wurde in Flaschen deponiert, und ab dem ersten Ton flogen die Pissbottles auf die Bühne. Die Masse hatte ein Spiel gefunden, das ihr immer besser gefiel und so kam es bald zur Unterbrechung, nach einigen Appellen startete Meat Loaf den zweiten Versuch. Kurz darauf traf ihn eine Flasche mitten im Gesicht. Der Auftritt war zu Ende, die Masse hatte gesiegt und Meat Loaf stank nicht nur scheußlich, er hatte auch einen Nasenbeinbruch.

Reading 1988 war eines der letzten Festivals mit derart wirrer Programmierung und beinahe ohne Sicherheitsmaßnahmen.

Nova Rock 2012

In den vergangenen 24 Jahren haben große Rockfestivals viele Entwicklungssprünge hinter sich gebracht. Man kann das Schlagwort Professionalisierung verwenden oder auch einfach behaupten, dass aus vielen Gründen etwas mehr Vernunft im Festivalzirkus Einzug gehalten hat. Als eines der größten Festivals in Europa kann es sich die Marke Nova Rock gar nicht leisten, auf Entwicklungen im Bereich der Freizeitkultur nicht zu reagieren. Das fängt bei Dingen wie dem Pfand für Müllsäcke, dem generellen Glasflaschen-, Feuer- und Gaskocherverbot auf dem Campinggelände, dem VIP-Areal und einer gewissen Basisinfrastruktur an und endet bei der Programmierung.

Diese muss es mittlerweile schaffen, mehrere Zielgruppen nach Nickelsdorf zu locken, um den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. Da sind einmal die jungen Abenteurer, die losgelöst von den Eltern ihre Freiheit für drei Tage genießen dürfen und nebenbei auch nützliche Fähigkeiten wie den Zeltbau oder das Horten von Bierdosen erwerben. Die Energiebündel dieser Gruppe müssen auch meist noch lernen, dass sich das beliebte Vorglühen auf die Stabilität des Zeltes negativ auswirkt. Da sich der Rock vom Etikett der Jugendlichkeit schon vor Jahren verabschiedet hat, stellt natürlich auch die Altersgruppe 30+ einen wesentlichen Teil des Publikums. Für sie wurden VIP-Karten und Ruheareale erfunden und dann gibt es natürlich noch die erweiterte Kernfamilie und diverse Patchworkkombinationen. Väter legen genauso Söhnen Nova-Rock-Gutscheine unter den Weihnachtsbaum wie umgekehrt und der gemeinsame Besuch ergänzt den Familienurlaub und zeigt, dass man sich doch noch was zu sagen hat.

Diese Zielgruppen spiegeln sich natürlich auch in der Programmierung wider. Mit Metallica, den Toten Hosen, Cypress Hill und Slayer sind klassische generationenübergreifende Bands zu sehen. Im Fall von Metallica dürfen somit die betagteren Besucher Geschichten aus dem Jahr 1991 erzählen, als die Mannen rund um Lars Ulrich und James Hetfield als Vorband von AC/DC das altehrwürdige Bundesstadion Graz Liebenau bespielten und die Mehrzahl der Zuschauer schwer beeindruckten. Der Schwerpunkt der Show von Metallica wird übrigens auf dem „Black Album“ liegen. Greatest Hits sind somit garantiert.

Ein Coup ist sicher die Verpflichtung von Rise Against. Die Punker mit Hardcorehintergrund sind die kommende Konsensrockband und verkörpern wie kaum eine andere Band den Paradigmenwechsel im klischeebeladenen Rockgeschäft. Die Band aus Chicago tourt seit einem Jahrzehnt ohne große Medienunterstützung durch die Welt und der Fleiß trägt zweifellos Früchte. Die Hallen, die sie alleine füllen, werden immer größer, vermitteln aber trotzdem so etwas wie Ethos und zumindest einen Hauch von Geradlinigkeit und Sturheit. Die Band ernährt sich fleischlos und hat das Zeug, neben all dem wohlkalkulierten Punklärm auch mit zwei Akustikballaden zu glänzen und hat auch eine erstaunlich hohe Anzahl an weiblichen Fans. Neben all den erwarteten Höhepunkten mit allem Brimborium wird die im Kern einfache Show von Rise Against sicher einer der Höhepunkte des Wochenendes.

Den eher distinguierten Besuchern sei auch gleich einmal geraten, beim Auftritt von Billy Talent am Samstag dem Moshpit fern zu bleiben. Die Kana-dier haben ihr Handwerk gelernt und beherrschen die Kunst der großen Geste und das Handwerk eines tempobolzenden Festivalauftritts. Dass ihr letztes Album schon ein paar Jahre zurückliegt, wird sowohl Band wie Publikum egal sein, denn ein Festival ist dazu da, um Hits im großen Stil zu zelebrieren, und das kann im Fall von Billy Talent garantiert werden.

Großfestivals sind nicht dazu da um Nachwuchspflege zu betreiben, sie müssen ihr heterogenes Publikum unterhalten und das Nova Rock 2012 wird dies tun. Von den Vorzugsschülern der Springsteen-School-Of-Rock Gaslight Anthem, über die Hip-Hop/Metal Fusionierer von Linkin Park bis hin zu den Trash Metal Pionieren Slayer, den wiedervereinigten Cypress Hill und den Bands von denen Daddy Geschichten aus der guten alten Zeit erzählen kann, findet jeder, der schon einmal eine Leder-jacke sein Eigen nannte und die Faust im Takt gegen den Himmel streckte seine Band zum Glücklichwerden. Ganz großes Kino verspricht natürlich auch der Auftritt von Marilyn Manson, des Moralisten im Teufelskostüm, der mit seinem neuen gerade erschienenen Werk „Born Villain“ im Rücken, ohne Rücksicht auf Verluste, knochentrockene Riffs und jede Menge Gruseleffekte in die burgenländische Ebene schleudern wird.

| FAQ 17 | | Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Agata Alexander
Share