Es ist eine gute Zeit, um Ernst Molden zu treffen. Die letzten Vorstellungen seines Singspiels „Häuserl am Oasch“ laufen gerade im Wiener Rabenhoftheater vor vollen Rängen, im Sommer erschien unter enthusiastischem Applaus der Fangemeinde das Debütalbum der Red River Two. Dazu sind die Vorbereitungen für die Veröffentlichung seiner Songtextsammlung „Liederbuch“ im März 2011 beinahe abgeschlossen, und auch die Songs für das noch weiter entfernte neue Album mit dem Arbeitstitel „Es leben“ sind schon aufgenommen. Es gibt also derzeit wenig zu bewerben und daher mehr Zeit für eine entspannte Werkschau.
Häuserl
Von 1991 bis 1993 war Ernst Molden in der Ära Gratzer II Dramaturg am Wiener Schauspielhaus. Bis auf ein kurzes Gastspiel als Musiker mit seiner Band in einer Produktion des Burgtheaters im Casino am Schwarzenbergplatz mied er diese Umgebung ebenso bewusst wie erfolgreich. Mit dem „Häuserl am Oasch“, einem Singspiel im Sagenmantel oder auch einer phantastischen Revue durch Wiener Befindlichkeiten, kehrt er als Autor und maßgebender Musiker auf die Bühne zurück. „Ich hab ja große Theaterängste gehabt, ich hatte schon ein Leben am Theater und hab das so überhaupt nicht als meine Welt empfunden. Jeder Außenstehende glaubt, dass durch die Gruppendynamik alle an einem Strang ziehen, um etwas Großes entstehen zu lassen. Das stimmt alles nicht. In Wirklichkeit sind das lauter Psychos, die sich gegenseitig fertig machen, und am Schluss geht es sich irgendwie aus. So laufen 99 Prozent aller Theatergeschichten. Im Rabenhof war das anders. Wenn am Burgtheater ein Schauspieler fragt, ,Mit welcher Energie soll ich das jetzt sagen?‘, folgt eine Diskussion und alle anderen haben Pause. Ich hab dann immer auf der Gitarre Skalen geübt und war nie so gut wie damals. Wenn ein Schauspieler Thomas Gratzer (Rabenhofchef und Regisseur des ,Häuserls‘) die gleiche Frage stellt, kommt als Antwort, begleitet von einem leichten Kopfschütteln: ,Sog’s afoch‘.“
Dass es überhaupt soweit kam, ist ebenfalls dem Impressario des Rabenhof zu verdanken. „Der Gratzer hat mich da hineintheatert. Zuerst sagt er: ‚Schreib ein Stück‘, dann: ‚Schreib eine Rockoper‘. Dabei kann man aber nur scheitern, und soweit, dass ich bewusst scheitern will, bin ich noch nicht.“ Die Idee der Rockoper wurde also vermutlich zum Wohl aller entsorgt. „Schreib so was wie die ‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘ auf modern und mit Musik“, war der nächste Vorschlag. „Da hab ich mir dann das Stück durchgelesen, das absolut genial ist, aber es gibt drei Verfilmungen, und ich kenne vier Theaterinszenierungen, und für mich ist die Horváth-Geschichte erzählt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen und kann da auch nichts mehr transformieren. Aber die Idee mit dem Wienerwald fand ich schon gut, da kenne ich mich aus. Also hab ich gesagt, dass ich das gerne machen würde. Dann bin zuerst einmal nur durch den Wald gegangen und bin immer im Häuserl am Stoan (Anm.: legendäres Ausflugswirtshaus an der Wiener Höhenstraße, geöffnet seit 1923) geendet. Parallel hab ich die alten Sagenbücher rausgeholt, die ich ja mag, auch wenn sie schlecht geschrieben sind, aber sie sagen viel über die jeweilige Bevölkerung aus. Dann hab ich eine Sage erfunden und sie in der Gegenwart explodieren lassen. So ist der fast 800 Jahre alte Wirt entstanden, seine Tochter und die anderene Figuren.“ Unerwähnt lässt Molden, dass ihm neben der Sage auch noch wunderbare Songs eingefallen sind, die die Geschichte illustrieren und die Schauspieler glänzen lassen. „Waun da Wiena en Woed ged“ ist eine derartig glänzende, sich ins Ohr bohrende Revuenummer, dass die Herren Lehar und Benatzky bestimmt neidisch herunterschauen. Eine angedachte Fortsetzung hat Molden verworfen, die Zusammenarbeit mit dem Rabenhof wird aber weitergehen. Ein leeres Heft wurde bereits angeschafft, und die Idee eines „Würstelstands des Todes“ hat sich in Moldens Gedankenwelt eingeschlichen.
Dialekt
Das „Häuserl“ ist eine logische Folge seiner Liebe zum Wiener Dialekt, die noch lange kein Ende finden wird. Sie wurde dem Bürgersohn aber definitiv nicht in die Wiege gelegt, und auf seinen Alben bis ins Jahr 2008 dominierte die Hochsprache. Für die Zuwendung zum Dialekt war vor allem Willi Resetarits verantwortlich, der ihn anlässlich eines Besuches in seiner Radiosendung „Trost und Rat“ um ein Lied bat. Molden sagte zu. Er hatte aber gleich den Hintergedanken, dass er für Resetarits etwas schreiben wollte, das den in Resetarits verschütteten Ostbahn Kurti etwas aktivieren würde. Und so entstand mit der „Hammerschmidgoss‘n“ ein Kuckucksei im Liederkorb von Willi Resetarits und eine neuer Weg für seinen Schöpfer. „Ich habe bei der ‚Hammerschmidgoss‘n‘ bemerkt, dass das Wienerische eine unpackbare Popsprache ist. Die Vokale, die Dehnungen, dazu diese Zwielaute und so etwas hochmelancholisch Melodisches, das das normale Standarddeutsch nicht hat.“ Dieses Monster von einem Song, das auf zwei Zeitebenen die nicht erwiderten Gefühle und Erinnerungen eines Heimkehrers beschreibt, ist mittlerweile zu einem der Höhepunkte jedes Konzerts geworden, und wenn ich am 25. Oktober die Gesichter im vollen Schutzhaus zur Zukunft richtig gedeutet habe, ist diese Ballade im Cinemascope-Format auf dem besten Weg, eine Hymne zu werden. In vielen Herzen verankert ist sie auf alle Fälle.
Aber dieses Lied führte auch zur weiteren Zusammenarbeit mit Willi Reseratits und zu den Songs, die 2009 zum Dialektdebüt „Ohne di“ wurden. Mit Willi Resetarits, Hannes Wirth an der Gitarre und Walter Soyka an der Harmonika wurde die intime Songsammlung mit Klassikern der Moderne, wie dem Titelsong „Bahnhof“ oder „Stangl ma d Schui“, von allen Printmedien mit dem verdienten Jubel bedacht und vom Radio in gewohnter Weise ignoriert.
Fünf Stationen
Molden schöpft aus seiner Umgebung. War in den letzten Jahren das Personal aus der Landstraßer Seite des Stadtparks und der Gegend um Wien-Mitte in seinen Songs präsent, so bahnt sich eine große Änderung an. Die Kinder wurden für das alte Refugium zu groß, und die Familie zog aus dem ruhigen, mit Beamtenflair durchzogenen Grätzl nach Erdberg. Die Frage nach der Wechselwirkung zwischen neuer Umgebung und den daraus geborenen Songs, die vermutlich im Mai erscheinen werden, liegt nahe. „Es war erst die zweite Wohnung, die wir uns angeschaut haben, eigentlich ist sie eine Spur zu groß, aber wir haben uns in die Optik verliebt. Im Sommer war sie leer. Ich hab dann so Placebo-Handlungen wie Regale-Zusammenschrauben erledigt und hab mich dann vor den noch erloschenen Kamin gesetzt und gleich drei, vier, fünf Nummern geschrieben. Dann entstand noch was in Griechenland, und als wir zurückgekommen sind, ging es weiter. Eine Nummer hat den Titel „Joe Zawinul Park“, weil der Beserlpark gleich ums Eck so heißt, dann gibt’s dann noch die ,Schlochthausgoss‘n‘ und das ,Bundesbad‘, das beschreibt, dass wir in Abwesenheit der Kids, statt mit dem Siedeln zu beginnen, immer in‘s Stadionbad gegangen sind. Ich glaube, es ändert sich der Ton der Songs. Meine alte Gegend war so aus der Welt und aus der Zeit, und das Personal hat sich kaum geändert. Hier geht man irgendwo hinein und bekommt blitzartig Biografien, Schicksale oder Figuren serviert, und dann ändert sich das Bild aber auch schon wieder. Es ist viel schneller da und härter, das spürt man in den Songs.“ Ob es ein Zufall ist, dass gerade er, der Dialektentdecker und -liebhaber, seinen Lebensmittelpunkt an einen Ort verlegt hat, an dem (nicht nur) diese Sprache blüht, sei dahingestellt. Die Einheit zwischen Moldens Werkzeug Sprache und seinem Wohnort ist jedenfalls hergestellt.
Rein in die Stadt
Wie jeder gestandene Vierziger hegt Molden natürlich seine musikalischen Vorlieben. Er ist der Erste, der zugibt, dass er sich, leicht ironisch, aber im Kern richtig, als Wertkonservativer sieht. Er liebt seinen Dylan und die anderen üblichen Verdächtigen Cash, Springsteen, Waits und eine Legion alter Blues-Helden. Und wenn er einen besonderen Song, wie z. B. Mary Gauthiers „I Drink“, hört, dann vergisst er ihn definitiv nicht. 2008 veröffentlichte er zeitgleich mit „Wien“ die Coversammlung „Foan“. Ins Wienerische und nach Wien übersiedelte Lieblingslieder wie „I See a Darkness“ von Will „Palace Brother“ Oldham, „Georgie Lee“ von Tom Waits, oder „Billy“ des Allzeithelden Bob Dylan. Den Anstoß dazu lieferte vor ein paar Jahren eine Anfrage bei einem der jährlichen Konzerte rund um den Todestag von Johnny Cash. „Es hieß: Lass‘ dir was für den Beginn einfallen. Da hab ich dann ,Give My Love To Rose‘ in ,Litschi‘ übersetzt. Dann bin ich mit meinem Sohn jeden Tag mit dem 74A in die Volksschule gefahren, genau fünf Stationen mit ihm hinauf und allein wieder zurück. Da hab ich mir dann vorgenommen, jeden Tag die Rohübersetzung eines Liedes innerhalb dieser fünf Stationen zu schaffen.“ Seinem Manager, Booker und gutem Geist Charlie Bader und Labelchef Walter Gröbchen entlockten die Covers eine klare Ansage: „Des sollt‘ ma scho moch‘n“. Dass sich in der Live-Umgebung seine Songs mit deklarierten Klassikern messen müssen und dabei locker bestehen, spricht für Moldens Selbsteinschätzung. Dass das Spiel aber nicht ohne Gefahr ist, ist ihm klar: „Es ist halt so, dass diese großen Wildwestdramen in Wien zu Loser-Songs über Kleinkriminelle in Espressos werden, das ist aber okay so, weil man daran nicht schrauben muss. Bei Konzerten falle ich bei den Covers aufgrund der Motive und der Sprache in eine Rolle hinein, die ich zwar mag, weil die Sprache ja auch die meiner Stadt ist, aber der Typ, der da entsteht, bin nicht ich. Der Typ, der meine Songs singt, der bin ich.“ Und auf diese Art werden große Songs von Weltmeistern wie Warren Zevon tradiert und in den Zuhörern vervielfältigt. Es passiert also genau das, wofür sie geschrieben wurden.
Am roten Fluss
Und zum Schluss noch der Hinweis auf die kleinste beste Band der Welt. The Red River Two wurden als Duo mit dem Sänger, Musikarbeiter und ewigem Punk-im-Herzen Rainer Krispel in der Moldenschen Küche rund um das Jahr 2002 aus der Taufe gehoben. Grund war, dass Molden diese Stimme vom Stromgitarrengewitter befreien wollte. Die ersten öffentlichen Auftritte gehörten Songs von Johnny Cash und Bruce Springsteen (Schwerpunkt: „Nebraska“). Aber die eigenen Songs nahmen überhand, und das Duo wurde zuerst mit Drummer Rob Niedl und später mit dem wunderbaren Bass von Marlene Lacherstorfer verstärkt. Der Witz an den Red River Two ist, dass ihre Songs wie ewige Klassiker aus dem Schatz des Country- und RockSongwriting klingen, in Wirklichkeit aber aus der Feder von Krispel und Molden stammen. „Story of a Heart“ ginge ohne Probleme als früher Hit von Kris Kristofferson durch, „Hard Boys“, die Chronik einer kurzen Tour mit den Beasts of Bourbon, könnte ein Hit jedes frühen Rockers, den die Cramps verehren, sein. In dieser einmaligen Konstellation entsteht eine rare Gattung in der Kunst: Musik fürs Herz mit einem ordentlichen Tritt in den Hintern.