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Ein Jahr nur Nudeln und Reis gefressen!

Text: Fabian Burstein | Fotos: Fabian Burstein

Porträt-Fotograf zu sein, ist manchmal ein undankbarer Job. Stets ist man dazu verdammt, von der Qualität und Strahlkraft des Motivs abhängig zu sein. Egal, wie virtuos man mit Licht, Schärfe, Distanz und dem ominösen „magischen Augenblick“ umgeht: Ein Porträt von einem Popstar wie Robbie Williams wird in erster Linie einmal angesehen, weil es eben Robbie Williams ist, der da aus dem Bild lächelt. Nur wenige schaffen es überhaupt, als Urheber des Abgebildeten wahrgenommen zu werden – gerade mal einer Hand voll internationaler Kapazunder ist es vergönnt, an die Strahlkraft ihrer Fotosubjekte heranzukommen.

In Österreich hat die Porträtfotografie, nicht zuletzt durch Pioniere wie Magnum-Legende Erich Lessing (siehe faq Nr. 7), eine lange Tradition. Und die ist dank der glorreichen Drei, Peter Rigaud, Lukas Beck und Ingo Pertramer, mehr als lebendig. Letzterer hat nun sein erstes Buch („Arbeit“) veröffentlicht – eine Rückschau auf zehn Jahre fotografischen Schaffens, das den gebürtigen Salzburger vom arbeitslosen Wien-Immigranten zum heiß begehrten Porträt-Spezialisten gemacht hat. Die zusammengetragenen Arbeitsproben sind ein passendes Sinnbild für Pertramers Bedeutung in der heimischen Kulturlandschaft: Neben einigen durchaus prestigeträchtigen Ausflügen in internationale Gefilde ist Ingo Pertramer vor allem ein Phänomen der heimischen Medien- und Kunst-Schickeria, die ein Bild aus seiner Kamera zum wichtigen Maßstab für Bekanntheit, Relevanz und Hippness gemacht hat. Ein echter Pertramer mit der eigenen Visage als Motiv ist schlicht und ergreifend schick – wie weit dieser Kult bereits gediehen ist, hat die Buchpräsentation im Wiener Lese-Café phil bewiesen. Bundespräsident Heinz Fischer hielt die Ansprache, darüber hinaus wäre es sinnlos, eine Liste der anwesenden Gäste ins Rennen zu werfen: das Who Is Who der heimischen Kulturelite war zugegen. Im Vorfeld durfte es sich der derart Umgarnte sogar erlauben, Dominic Heinzls „Chili“-Team explizit von der Veranstaltung auszuschließen. Die „Seitenblicke“ waren trotzdem anwesend und widmeten dem Helden des Abends einen mehr als freundlichen Beitrag. Es läuft also gut, für Ingo Pertramer – so gut, dass er einige seiner nationalen Porträt-Motive in puncto Prominenz bereits überholt hat.

Weinwurm auf salzburgerisch

Ingo Pertramers Beziehung zur Fotograf e beginnt bodenständiger, als es das öffentliche Bild vermuten lässt. Als Kind spielt er mit der defekten Yashica-Spiegelreflexkamera des Vaters. Der Kompaktfotoapparat der Mutter bringt schlussendlich greifbare Ergebnisse. Ingo Pertramers allererstes Bildmotiv ist eine Boeing 747 der Swiss Air – im Laufe der Jahre werden noch tausende Aufnahmen von Flugzeugen hinzukommen. Die meisten davon entstehen in der Anflugschneise zum Salzburger Airport. Dort legt sich der Jungfotograf regelmäßig auf die Lauer, um die landenden Maschinen wenige Meter vor dem Aufsetzen abzulichten. Doch es bleibt nicht beim Hobby. Entgegen dem epidemisch grassierenden Hang zur künstlerischen Autodidaktik beginnt Ingo Pertramer eine Lehre bei einem renommierten Fotostudio. „Das war der Weinwurm auf Salzburgerisch, dort wurden nur Hochzeits- und Passfotos gemacht. Damals gab es noch einen Bedarf. Als ich begonnen habe, waren wir zwei Lehrlinge und drei Gesellen. Innerhalb von lächerlichen vier Jahren ist das alles mit der Digitalfotografie den Bach hinuntergegangen. Am Ende waren wir zu dritt.“ Tag für Tag fotografiert Ingo Pertramer herausgeputzte Kinder, die vor einem geschmacklosen Hintergrund verewigt werden sollen. Im Musik-Geschäft nennt man sowas die Ochsentour. Pertramer hält sie durch – auch aus Überzeugung: „Fotografie als Handwerk von Grund auf zu erlernen, war für mich eine Glaubensfrage. Und die Passbild-Fotografie ist eine wichtige Schule. Du musst in zwei Minuten ein Porträt anfertigen, das den Leuten gefällt, weil sie es sonst nicht nehmen. Das ist ein Grundstock, der vielen Leuten abgeht.“ Heute ist Ingo Pertramer dafür bekannt, dass seine Shootings zumeist in wenigen Minuten erledigt sind. Ob man’s glaubt oder nicht – auf diese Weise steckt in jedem noch so artifiziellen Pertramer-Porträt ein kleines Stück Passbild-Fotografie aus der österreichischen Provinz.

Fotografie kann nicht töten

Was dieser niederschwellige Zugang für Konsequenzen hat, erfährt Ingo Pertramer am eigenen Leib, als er, mittlerweile Geselle, nach Wien geht, ohne irgendeinen Job in Aussicht zu haben. Beim AMS stuft man einen jungen Fotografen wie ihn als schwer vermittelbar ein. Als schließlich eine Stelle in einem Fotostudio im 22. Bezirk frei wird, muss Ingo Pertramer zugreifen. Statt herausgeputzter Kinder sind es nun Kampfhund-Serien, die den stolzen Besitzern Tränen in die Augen treiben. „Wenn du dort Passfotos machst, weißt du, wie die Wiener Außenbezirke ticken“, ist der Fotograf heute noch ein bisschen fassungslos. Während der endlosen Stunden in der Wiener Peripherie definiert Ingo Pertramer konkrete Ziele. Er will Menschen fotografieren. Und weil er den Rock ’n’ Roll liebt, sollen es vor allem musizierende Menschen sein. Bevor der Neo-Wiener den Sprung in die Selbstständigkeit wagt, absolviert er noch die Meisterprüfung – allerdings in Tirol, weil nur dort eine Klasse zustande kommt. Die Bilder seiner Abschlussarbeit werden im Heiligen Land als Spinnereien eines Revoluzzers abgetan. Anschnitte, ungewöhnlich gesetzte Schärfen und ähnliche Kunstgriffe führen Ingo Pertramer an den Rand des Durchfallens. Die Worte des Prüfers hallen noch heute nach: „‚Herr Pertramer, wir lassen Sie durchkommen. Aber hören Sie auf meinen Rat: Ändern Sie Ihren Stil, sonst werden Sie nach zwei Monaten in der Selbstständigkeit in Konkurs gehen.‘ Da habe ich gewusst, dass ich am richtigen Weg bin. Zwei Jahre später hat der Herr Innungsmeister dicht gemacht.“

Zurück in Wien, wir schreiben mittlerweile das Jahr 2000, folgt die harte Landung auf dem Boden der Realität. Ingo Pertramer ist selbstständig, ohne einen einzige Auftrag in der Tasche zu haben. „Ich habe ein Jahr nur Nudeln und Reis gefressen, das war echt scheiße.“ Eine Fotoakkreditierung für ein Konzert der Leningrad Cowboys am Wiener Donauinselfest bringt die entscheidende Wende. Als die Pressestelle der SPÖ einen Presseausweis sehen will, den Ingo Pertramer nicht vorweisen kann, bietet er einen einfachen Deal an: Für den Zugang zum Bühnengraben gibt es gratis Fotos. Harry Schranz, damals Kommunikationschef der Wiener SPÖ, sieht die Abzüge und engagiert Ingo Pertramer sofort für ein Shooting mit Michael Häupl, das wiederum in der Bundesgeschäftsstelle auf positive Resonanz stößt. „Obwohl ich kein Sozialdemokrat bin, war die SPÖ also mein erster Kunde, mit dem ich ein bisschen Geld verdient habe.“

In jener Zeit verinnerlicht Ingo Pertramer ein Prinzip, das zum zentralen Kriterium seiner Karriere wird: „Es braucht ein Netzwerk. Und ein Netzwerk muss man sich in Wien ersaufen. Politiker kennen Wirtschaftsleute. Wirtschaftsleute kennen Kulturschaffende. Und so wird dein Netzwerk eben immer größer.“ Auf Busreisen mit Alfred Gusenbauer lernt Ingo Pertramer kulturelle Opinion Leader wie Robert Menasse oder Erwin Steinhauer kennen. Jeder von ihnen bekommt später einen gerahmten 20×30-Abzug eines besonders gelungenen Fotos zugeschickt. Auf diese Weise hinterlässt der noch unbekannte Fotograf Spuren und sammelt sukzessive Sympathiepunkte. Ingo Pertramer verwendet im Zuge solcher Erzählungen das Wort „Netzwerk“ dermaßen oft, dass man ab einem gewissen Zeitpunkt gerne die Augen verdrehen würde. Denn unweigerlich denkt man an Seilschaften, Freunderlwirtschaft und Vitamin B. Sogar der Bodenleger ist Teil des „Netzwerks“. Einmal mit Spuren einer diesbezüglichen Abneigung konfrontiert reagiert Ingo Pertramer mit einer ehrlichen Empörung, die vieles wieder ins Lot rückt: „Ich finde diese Mechanismen wahnsinnig positiv. Man vermittelt sich ja nicht nur weiter, weil man sich kennt, sondern weil man weiß, was der andere kann. Man möchte ja schließlich nicht sein Gesicht verlieren. David Schalko hat Erfolg, Palfrader hat Erfolg, Stermann & Grissemann haben Erfolg, der Bodenleger verlegt Böden. Was soll daran falsch sein?“

Ja, was soll daran falsch sein? Eigentlich eh nichts. Die erlernten Mechanismen des Wiener Networkings wendet Ingo Pertramer auch eifrig an, um sich im Musiksegment zu etablieren. Für Gratisfotos besorgt ihm das Musikmagazin „The Gap“ Festival-Akkreditierungen. Bei einem dieser Konzertreigen fotograf ert er eine unbekannte Band namens Sportfreunde Stiller. Als er zufällig den Sänger auf der Sitzplatz-Tribüne trifft, werden die Daten ausgetauscht, um einen Abzug der Serie nach Deutschland zu schicken. Doch Pertramer wartet zu, damit seine Bemühungen nicht in der Gleichgültigkeit eines abgebrühten Managements versanden. Stattdessen besorgt er sich beim nächsten Wien-Gig der Sportfreunde Stiller – mittlerweile ist die Band zum erfolgreichen Pop-Act avanciert – ein Backstage-Band und übergibt das gerahmte Bild persönlich. Die Sporties danken es ihm, indem sie Universal Deutschland auf den ambitionierten Jung-Fotografen aufmerksam machen. Der Rest ist Geschichte. Innerhalb kürzester Zeit wird Ingo Pertramer zu einem der gefragtesten Bandfotografen im deutschsprachigen Raum und nutzt diesen Ruf, um für das gesamte Kultursegment attraktiv zu werden. Was letztendlich daraus geworden ist, kann man eindrucksvoll anhand des Buches „Arbeit“ rekonstruieren.

Die Generation Sendung ohne Namen

Die Erfolgsgeschichte des Ingo Pertramer ist eigentlich die Erfolgsgeschichte eines ganzen Netzwerkes, das aus Journalisten, Schriftstellern, Produzenten, Schauspielern, Musikern und Kabarettisten besteht. Es ist die Erfolgsgeschichte eines Kollektivs, das in kleinerer Form erstmals rund um das TV-Format „Sendung ohne Namen“ in Erscheinung getreten ist und sich seither sukzessive in der Medienlandschaft festgesetzt hat.

Ein weiteres Phänomen ist die Sexiness, die dieses Netzwerk offenbar ausstrahlt. Denn genauso, wie sich sämtliche Proponenten der Kulturszene von Ingo Pertramer fotograf eren lassen wollen, möchten erfahrene Entertainment-Veteranen plötzlich unbedingt mit David Schalko ein TV-Format entwickeln oder Verleger um jeden Preis Literatur aus der Generation Sendung ohne Namen destillieren.

Positiv interpretiert sind solche Mechanismen beispielgebend, wie man der Kultur- und Medienlandschaft seinen Stempel aufdrücken kann. Und das ist auch die Interpretation, die Ingo Pertramer bevorzugt, denn „es ist alles so schnelllebig geworden. In einem Jahr wirst du als junger Regisseur hochgejubelt, und im nächsten sitzt du in einer Werbeagentur.“ Das Netzwerk wird das zu verhindern wissen.

| | Text: Fabian Burstein | Fotos: Fabian Burstein
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