Der Name Rimini hat einfach einen guten Klang. Drei Silben, dreimal derselbe Vokal, auch wenn das i vielleicht das Federgewicht unter den Selbstlauten ist. Jesolo klingt auch gut und ist in Österreich mindestens so vertraut wie Rimini, und doch liegen da nicht nur beim Sound schon Welten dazwischen. Rimini ist Fellini, Rimini ist Schlager, Rimini ist natürlich längst auch Massentourismus. Nicht aber in der Saison, in der Ulrich Seidl in Rimini gedreht hat. Bei ihm ist die Ferienmetropole an der Adria ein verschlafenes, verwunsches Kaff, in dem es kaum Menschen gibt –und wenn, dann sind sie schwarz verhüllt und starren in den Nebel. Rimini ist in dem Film Rimini das Domizil eines Sängers namens Richie Bravo, der nebenbei einem Beruf nachgeht, der sich klanglich gut mit Rimini verträgt: Er ist so etwas wie ein Gigolo, nicht mehr ganz so auf der Höhe wie Richard Gere in American Gigolo, aber Richie hat auch eine andere Zielgruppe. Er widmet sich älteren Frauen, die auch im Winter ein wenig Spaß haben wollen, und die sich auf Gruppenreisen, die ein wenig wie erotische Kaffeefahrten wirken, von ihm besingen und zum Teil auch verwöhnen lassen.
Rimini ist für Ulrich Seidl ein Ort wie von der Resterampe des Lebens. Bei Richie Bravo könnte man sich denken, dass er dort einmal so etwas wie Karriere hatte, von der aber im Film nicht viel zu erfahren ist. Geblieben ist auf jeden Fall eine Wohnung, in die er sich zurückzieht, nachdem er in den ersten paar Szenen in Österreich nach seinem Vater gesehen hat. Der lebt in einem Heim,und ist schon halb aus der Welt, halb dämmert er auch noch in Kriegserinnerungen herum. Gespielt wird er von Hans-Michael Rehberg, einem legendären deutschen Schauspieler mit einem kantigen Gesicht und einem oft bedrohlich wirkenden Blick, der im November 2017 starb. Aus diesem Datum kann man ablesen, dass die Dreharbeiten zu Rimini schon eine ganze Weile her sind, jedenfalls zum Teil. In den Szenen in Österreich hat Richie Bravo auch einen Bruder namens Ewald, gespielt von Georg Friedrich. Über Ewald wird es auch einen Film geben, er heißt Sparta, aus den Ansätzen in Rimini kann man entnehmen, dass das Leben von Ewald in eine deutlich andere Richtung gegangen ist als das von Richie Bravo. Beide sind aber wohl nicht nur auf die Abstammung von einem einst grimmigen, nun gebrechlichen Vater bezogen, sondern auch auf das Schicksal alter Menschen in einem allgemeineren Sinn: Die erste Szene von Rimini zeigt, in typischer Seidl-Inszenierung in einem Tableau-Bild, eine Reihe von Senioren beim Gehirnsport. Sie sitzen da wie ein Chor und sagen dem Publikum die Zukunft vor.
Dass Seidl Rimini nicht in Rimini beginnen und enden lässt, sondern bei der gebrochenen väterlichen Gewalt in Österreich, kann man als Entfaltung eines Gedankens aus seiner Paradies-Trilogie (2012–13) nehmen: Dort ging es auch schon um Sehnsuchtsorte in der Ferne oder Fremde, auch ganz ausdrücklich um Sex-Tourismus. In Rimini wird nun noch deutlicher, wie nahe Seidl den Themen und Anliegen des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq ist, ohne dass man eine direkte Beeinflussung durch Lektüre unterstellen müsste. Seidl hat sich immer schon für das Begehren von Menschen interessiert, die im Kino lange Zeit aufgrund einer Ideologie der Schönheit kaum vorkamen. Sex war eine Angelegenheit für begehrenswerte Menschen, alle anderen durften zuschauen und wurden mit der Position des Voyeurismus beschieden.
Bei Richie Bravo könnte man sich über seine Attraktivität durchaus streiten. Er war wohl einmal eine strahlende Persönlichkeit, inzwischen ist er ein wenig ramponiert. Die Wampe hängt ein wenig über das drüber, was man liebevoll einen dad bod nennt. Seine Haarpracht ist imposant, Hansi Hinterseer aber würde die nicht einmal auf seinen Moonboots tragen, so struppig wirkt sie bei Richie. Was der aber auf jeden Fall immer noch hat, ist sein Organ. Seine Stimme. Wenn er aufdreht, wackeln die Luster. Richie türmt Schmelz auf Schmalz, und das reicht gerade noch für einen notdürftigen Anschein von einer künstlerischen Existenz …
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RIMINI
Drama – Deutschland, Frankreich, Österreich 2022 – Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch; Ulrich Seidl, Veronika Franz; Kamera: Wolfgang Thaler; Schnitt: Mona Willi; Musik: Fritz Ostermayer, Herwig Zamernik
Mit: Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, Inge Maux, Claudia Martini, Georg Friedrich
Verleih: Stadtkino Filmverleih, 114 Min.
Kinostart: 8. April 2022