Peggy Guggenheim muss nicht lange überlegen. Jackson Pollock entdeckt und gefördert zu haben, das sei ihr größter Verdienst gewesen, gesteht sie mit einer Bestimmtheit, die sie beinahe selbst überrascht. Der Rest ihrer Sammlung, all die Picassos und Mirós, Kandinskys und Mondrians, Modiglianis und Brancusis, kämen erst an zweiter Stelle. Mit dieser Aussage, die mehr über das mysteriöse Wesen der Kunstsammlerin und Mäzenin verrät, als ihr in dem Moment lieb zu sein scheint, beginnt Lisa Immordino Vreelands Dokumentarfilm Peggy Guggenheim: Art Addict. Die Aufnahme stammt aus einem Interview, das Guggenheims offizielle Biografin, die Autorin Jacqueline Bogard Weld 1978, wenige Monate vor Guggenheims Tod, mit der Kunstliebhaberin geführt hatte. Als Vreeland im Zuge ihrer eigenen Recherchen zufällig auf die bisher unveröffentlichten Original-Tonbänder stößt, beschließt sie kurzerhand, daraus einen Film zu machen.
Das Ergebnis mag formal wenig überraschen: Zusätzlich zu den wiederentdeckten und bisher unveröffentlichten Tonbandaufnahmen lässt Vreeland eine Vielzahl von Zeitzeugen, darunter Kunsthistoriker, Kuratoren und die Biografin selbst zu Wort kommen, während sie sich chronologisch und mithilfe unzähligen Foto- und Archivmaterials tapfer durch die atemberaubende Biografie einer Frau hangelt, die nicht nur Format, sondern eine stets gleich starke Leidenschaft für moderne Kunst und deren Schöpfer hatte. Im Kontrast dazu ist es vor allem Guggenheims gänzlich ungenierte, selbstverständliche Art mit der sie aus dem Nähkästchen plaudert, die fasziniert: Demnach war Tanguy „fascinating“, Motherwell „very intellectual“ und Giacometti „wonderful“. Zu Brancusi fühlte sie sich hingezogen, weil er einer charmanten Mischung aus Halbgott und Halbbauerntölpel gleichkam, während sie mit Ezra Pound regelmäßig Tennis spielte: „He used to crow like a cock whenever he made a point.“ Ganz zu schweigen von dem berühmten Surrealisten Max Ernst, den sie im Jahre 1941 angeblich nur deshalb heiratete, weil er „so schön und so berühmt“ war. Es sind in erster Linie diese versteckten persönlichen Geständnisse und Selbsteinschätzungen Guggenheims, die Vreelands eher konventionelles filmisches Porträt besonders machen.
Guggenheims Karriere als Kunstsammlerin beispielsweise soll mit keinem Geringeren als Samuel Beckett begonnen haben: Denn wäre die damals 39-Jährige nicht zufällig im Dezember 1937 bei einer Dinnerparty auf den jungen Schriftsteller gestoßen, der ihr dazu geraten hatte, in zeitgenössische Kunst zu investieren, während sie die darauf folgenden vier Tage gemeinsam hinter verschlossenen Türen im Hotelzimmer verbrachten, dann wäre sie am Ende vielleicht nicht eine der berühmtesten Galeristinnen unserer Zeit, sondern Verlegerin geworden, wie es ihr ursprünglicher Plan war. Im Alter von 21 hatte sie ihre berufliche Laufbahn zunächst mit einem Volontariat in einem kleinen Buchladen in New York begonnen, wo sie zum ersten Mal mit Künstlern, Schriftstellern und den Ideen der modernen Avantgarde in Berührung kam. Dass sie sich am Ende doch für die Kunst entschloss, war nicht zuletzt auch ihren finanziellen Mitteln geschuldet, die im Vergleich zum Rest des Guggenheim-Clans (ihr Onkel war der schwerreiche Industrielle und spätere Museumsgründer Salomon Guggenheim) eher bescheiden waren, obwohl ihr oberstes Anliegen auch in den besten Jahren stets das Wohl der Künstler und weniger der Profit blieb.
Ihr Vater, der Geschäftsmann Benjamin Guggenheim, war 1912 mit der Titanic untergegangen, angeblich weil er seinen Platz im Rettungsboot an eine Dame, die sich später als eine seiner zahlreichen Geliebten herausstellen sollte, abgetreten hatte. Die damals 14-jährige Peggy, die ihren Vater trotz seiner regelmäßigen Seitensprünge immer vergöttert hatte, tat sich daraufhin recht schwer, mit ihrer unfähigen Mutter klarzukommen und rebellierte stattdessen gegen alles und jeden, der sie davon abhalten wollte, ihr eigenes Leben zu leben. Als sie endlich volljährig wurde, zog sie mit ihrem Erbe väterlicherseits in Höhe von 450.000 Dollar davon, genauer gesagt nach Paris, wo sie sich der Bohème vor Begeisterung förmlich in die Arme warf. Neben den üblichen Verdächtigen (Hemingway, Man Ray, F. Scott Fitzgerald) traf sie hier auch zum ersten Mal auf Marcel Duchamp, der ihr bald die Moderne Kunst erklärte und mit dem sie schließlich eine langjährige Freundschaft verbinden sollte. 1922 heirate sie den französischen Maler und Bildhauer Laurence Veil, mit dem sie kurz darauf zwei Kinder hatte. Das Glück währte jedoch nicht lang, unter anderem weil Veil allzu oft zur Flasche griff, um sich künstlerisch inspirieren zu lassen. Peggy beschloss daraufhin, sich ebenfalls anderweitig umzuschauen …
Vollständiger Artikel in der Printausgabe.
Peggy Guggenheim – Ein Leben für die Kunst
Dokumentarfilm, Großbritannien/Italien/USA 2014
Regie Lisa Immordino Vreeland Drehbuch Bernadine Colish,
Lisa Immordino Vreeland Kamera Peter Trilling
Schnitt Bernadine Colish, Jed Parker Musik Steven Argila
Verleih Polyfilm, 96 Minuten
Kinostart 13. Mai