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Eine Frau von Format

Sie ist eine wie keine und darin die Beste: Viel zu lange hat Frances McDormand ihr Frontfrau-Potenzial immer wieder heruntergespielt, Preise verpönt und leise in Nebenrollen brilliert. Jetzt wagt sie sich immer öfter nach vorne. Chloé Zhaos „Nomadland“ ist ihr Film allein und zeigt sie ganz bei sich.

Frances McDormand in "Blood Simple", 1984

Frances McDormand ist kein Superstar im herkömmlichen Sinn. Interviews gibt sie nicht gern. Preisverleihungen sind ihr ein Graus. Der ganze Hollywood-Rummel lässt sie kalt. Eiskalt sogar. McDormand spielt, das muss genügen. Tut es auch. Seit über dreißig Jahren steht ihr Name wie ein Gütesiegel auf Filmplakaten, macht Vorfreude, kitzelt die Neugier, lässt die Erwartungen steigen und enttäuscht, ja, man kann es nicht anders sagen: Nie! Auch wenn die Werke selbst ihrer ungeheuren schauspielerischen Kraft nicht immer gewachsen sind. McDormand, ungeschminkt, furchtlos und unabhängig, ist eine Naturgewalt, die, sobald die Kamera läuft, alle und alles andere um sie herum in den Schatten zu stellen vermag, ohne aufzutrumpfen oder sich bewusst nach vorne zu drücken. Sie ist einfach da, macht ihren Job, fügt sich ein, ohne sich anzupassen. Dafür braucht es Selbstvertrauen und Charakterstärke. Von beidem hat die heute 63-jährige Ausnameschauspielerin reichlich. Da kann sich Hollywood noch so sehr vor ihrem Talent verbeugen, McDormand schert sich nicht um Prestige, Konformität oder die Gepflogenheiten der Branche. Lieber steckt sie all ihre Energie in „ihre“ Frauen. Ob engagierte Journalistinnen oder schwangere Polizistinnen, unkonventionelle Musikproduzentinnen oder trauernde Mütter mit Wut im Bauch: Die Figuren, die sie auf der Leinwand verkörpert, sind ihr immer das Wichtigste, sind eigenartig, kompliziert, stur, scharfsinnig, pragmatisch, komisch, melancholisch, abwegig – und immer auch ein Teil von ihr. Frances McDormand eben.

Nomadland

Auf keine Rolle trifft das jedoch so sehr zu wie auf die jüngste, vielleicht ihre beste überhaupt. Zumindest bis hier. Ruhig, zurückgenommen und auf sich allein gestellt, bewegt sie sich durch Chloé Zhaos Nomadland, ohne ein Wort zu viel, einen Blick zu wenig und mit einem Feingefühl für ihre Figur, dass es fast schon unheimlich ist. McDormand ist Fern, eine Frau, die alles verloren hat: Vor kurzem erst ist ihr Mann gestorben, ihre ganze Existenz hat anschließend die Wirtschaftskrise verschluckt. Die Stadt Empire in Nevada, die sie ihr Zuhause nannte, wurde kurzerhand von der Landkarte gestrichen, nachdem der einzige Arbeitsgeber Pleite gemacht hat. Jetzt ist da lediglich ein verlassener Fleck auf der Straße, ohne Menschen, ohne Hoffnung, nicht einmal die Postleitzahl gibt es noch. Was Fern bleibt, ist ihre Würde und ein kleiner alter Transporter, mit dem sie sich in eine ungewisse Zukunft aufmacht, von einem Mini-Job zum nächsten, „houseless“ zwar, aber ganz sicher nicht „homeless“ wie sie einmal ausdrücklich betont. Der Unterschied könnte für die Einsiedlerin in ihrer ganzen Gebrochenheit größer kaum sein.

Fargo

Wie so viele der Frauenrollen, die McDormands Weg nach ganz oben ebneten, ist auch Fern eine einsame Kämpferin, die gegen den Strom schwimmt, sich quer stellt und alle Anstrengungen auf sich nimmt. Anstatt zu verzagen, verschreibt sie sich dem modernen Nomadenleben, umringt von Althippies und Alternativen, von Leuten, die es aus freien Stücken in die Natur zog und solchen, denen der technische Fortschritt oder das Schicksal ein Bein gestellt hat. Die in China geborene Independent-Regisseurin Chloé Zhao begleitet Fern auf ihrem Weg durch den Mittleren Westen, dreht neben McDormand in erster Linie mit Menschen aus dem Leben, um eine einzigartige hybride Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm zu erzeugen. Das Amerikabild, das sie in Nomadland wie dem Vorgänger The Rider zeichnet, ist ehrlicher und realer als jedes Nachrichtenprogramm und hat mehr Herz als jede Romanze. Und doch ist es McDermond, die den Film letztlich zu einem Glücksfall für das Kino macht. Ihre schlichte „no-nonsense“ Persönlichkeit fügt sich nahtlos in Ferns Dasein ein, gibt ihr Kontur und Glaubhaftigkeit. Die Schauspielerin ist stets Beobachterin und Eingeweihte zugleich, hört zu, teilt Erfahrungen, agiert als Vermittlerin zwischen den Welten und Weltanschauungen. Nicht viele ihrer Kolleginnen wären überhaupt in der Lage, ihr Gesicht für eine Rolle wie diese freizuräumen, ohne dabei die Aufrichtigkeit und Hintergründigkeit einzubüßen, mit der die Charakterdarstellerin ihre Figuren aufwertet.

Mississipi Burning

McDormand, das zeigt bereits ein flüchtiger Blick auf ihre Filmografie, ist eine für alle Fälle. Sie ist die Frau fürs Grobe und fürs Absurde, fürs Unmögliche und fürs Eingemachte. Wenn man auch die kurzen Auftritte hinzuzählt, hat die Schauspielerin bisher ohne Ausnahme ein erstaunliches Händchen fürs Besondere bewiesen. Filmschaffende wie Alan Parker (Mississippi Burning), Ken Loach (Hidden Agenda), Robert Altman (Short Cuts), Lisa Cholodenko (Laurel Canyon, Olive Kitteridge), Gus Van Sant (Promised Land), Paolo Sorrentino (This Must Be The Place), Wes Anderson (Moonrise Kingdom) und Martin McDonagh (Three Billboards outside Ebbing, Missouri) gaben ihr über die Jahre den Raum für eindrückliche Beweise ihrer darstellerischen Finesse und Wandelbarkeit. Dabei war an eine Karriere am Anfang eigentlich nicht mal zu denken, wie sie bis heute immer wieder gerne betont. McDormand hat, und das sagt sie mit ganz unverhohlenem Stolz, arbeiten müssen, um in ihrem Beruf zu bestehen. Denn auf der Schauspielschule in Yale hielt man zunächst wenig von ihrer Kunst. Dort sprach man ihr jede natürliche Begabung ab, was die Adoptivtochter einer Wanderprediger-Familie aus Illinois nur noch mehr anspornte, sich in die Schauspielerei festzubeißen. Nach der Ausbildung begann sie in New York am Theater, bis sie 1983 von ihrer damaligen Mitbewohnerin Holly Hunter den Tipp zu einem Vorsprechen bekam. Der Film war Blood Simple und einer der Regisseure hieß Joel Coen, mit dem sie seitdem liiert ist. Ihr Kinodebüt in dem Erstling der Coen-Brüder, einem Neo-Noir-Thriller der alten Schule, ist das gewagte Spiel einer untreuen Ehefrau, die mit einem Angestellten ihres Mannes ein Verhältnis hat. Ein Privatdetektiv soll die beiden im Auftrag des Betrogenen für ein stattliches Kopfgeld töten, doch die Dinge kommen, wie so oft, anders als geplant. Auf eine Welle von Verwirrungen und Verdächtigungen folgt ein großes Durcheinander, ganz so, wie man es von den Regisseuren gewohnt ist.

Short Cuts

The Man Who Wasn There

Die feine Kombination McDormand-Coen sollte sich auch über die private Bindung hinaus weiterhin für beide Seiten als äußerst fruchtbar erweisen. Immer wieder schrieben ihr die Brüder seither Rollen auf den Leib, unter anderem in Raising Arizona, The Man Who Wasn’t There und – natürlich – Fargo, der McDermond-Film schlechthin, in dem sie als rechtschaffende Polizistin Marge Gunderson im verschneiten Minnesota unbeirrt ein vertracktes Verbrechen aufklärt und für den sie 1996 ihren ersten Oscar als Beste Hauptdarstellerin entgegennehmen durfte. Danach lag ihr ganz L.A. zu Füßen, doch was macht McDormand: Sie geht nach Dublin, um am Gate Theatre in einer Neuauflage von Tennessee Williams’ A Streetcar Named Desire auf der Bühne zu stehen. Der Academy Award fand auf Wunsch der Schauspielerin nirgends im Programm auch nur die geringste Erwähnung. So ist das mit ihr. Man weiß nie, was kommt.

Auf ihren zweiten Oscar, den für Three Billboards vor drei Jahren, war sie besser vorbereitet und nutze die Dankesrede für ein großes Plädoyer für mehr Gleichberechtigung, das sich gewaschen hatte. Zunächst forderte sie alle weiblichen Nominierten des Abends auf, sich zu erheben, um zu sehen, wie weit sie und ihre Kolleginnen es gebracht hätten. Anschließend forderte sie alle Filmproduzenten, Geldgeber und Agenten auf, sich die Gesichter der stehenden Frauen gut einzuprägen – und beim nächsten Projekt an sie zu denken. Am Ende tobte der ganze Saal und beinahe hätte man vergessen können, für welche Glanzleistung sie an diesem Abend ursprünglich ausgezeichnet wurde. Bezeichnend daran ist vor allem die Tatsache, dass, wie McDormand selbst, auch die beiden Frauen, die ihr mit über zwanzig Jahren Abstand zu den Trophäen verhalfen, an unterschiedlichen Wendepunkten ihres Lebens stehen: Während Marge ihr erstes Kind erwartet, hat Mildred Hayes gerade ihre Teenage-Tochter verloren. Und doch haben die beiden durchaus einiges gemein. Sie sind selbstbewusste Sonderlinge in einem zweifelhaften Teil Amerikas, jede für sich fest entschlossen, einen Mord aufzuklären, koste es, was es wolle. Und beide Frauen sind klüger, standfester und witziger als die Männer, die sie regelmäßig und hartnäckig unterschätzen – ein grober Fehler, wie sich in beiden Fällen herausstellen soll. Wer sich mit McDormand anlegt, im Film wie im Leben, muss früh aufstehen und hat am Ende meistens nichts mehr zu lachen.

Three Billboards outside Ebbing, Missouri

Auszeichnungen verdient hätte McDormand ebenso für andere Rollen, wie die als kämpferische Minenarbeiterin in Niki Caros North Country oder als Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Ingrid Jessner in Ken Loachs Hidden Agenda, die in Irland in eine politische Verschwörung ungeahnten Ausmaßes verwickelt wird. Doch auch unter der Regie der Coens lief sie immer wieder zur Höchstform auf. Zwar zeige sie sich stets „notorisch unterwältigt“, immer wenn ihr Mann eine neue Rolle für sie schreibt, jedoch nur, um den eigenen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, die sie an sich und ihre Rollen stellt. In Burn After Reading etwa, wo sie die Angestellte in einem Fitnessstudio spielt, die sich nach einer Schönheitsoperation sehnt, lässt sie selbst Brad Pitt und George Clooney neben sich verblassen, und zwar nicht, weil sie ihre Linda Litzke in all ihrer Schwäche und Schwachköpfigkeit vor dem Herrn bloßstellt, sondern indem sie sie so herrlich normal wie nur möglich rüberbringt. McDormand spielt, gestikuliert, blödelt, schweigt oder kämpft sich in diese wie in jede ihrer Rollen hinein und ist dabei stets so konsequent hervorragend wie sonst kaum eine Darstellerin ihrer Generation. Für eine wie sie, deren Wucht in der Wahrhaftigkeit liegt, geht es nicht darum, den großen Star zu markieren. Im Gegenteil. Ist sie doch, wie jetzt in Nomadland, häufig dann am umwerfendsten, wenn sie vor der Kamera ganz bei sich ist, schweigt und stattdessen ihr Gesicht sprechen lässt.

Vielleicht liegt darin sogar das größte Geheimnis ihrer Kunst: In dem Vermögen, neben dem, was sie sagt und nach außen projiziert, im Innern noch viel mehr erahnen zu lassen. Immer scheint etwas hinter ihren hellen Augen vorzugehen, nur was genau, kann der Zuschauer nur erahnen. McDormands Blick changiert zwischen fragender Wachsamkeit und stillem Ernst, Ironie und Widerständigkeit, Anteilnahme und Aufruhr, manchmal in Sekundenschnelle, dass einem schwindlig werden kann. Mitunter ist es deshalb auch gar nicht so schlimm, dass sich die Schauspielerin regelmäßig lange Pausen zwischen ihren Engagements nimmt, um aufzutanken, auf die Bühne zurückzukehren und Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, zu der auch ein Adoptivsohn gehört. Oder um Wunschprojekte wie die TV-Adaption von Elizabeth Strouts Roman Olive Kitteridge über eine so scharfzüngige wie gebrochene Mathematiklehrerin zu verwirklichen, die über mehrere Jahrzehnte Einschnitte, Begegnungen und Abschiede in ihrer kleinen Heimatstädtchen in Neuengland kommentiert. In der Miniserie spielt sie nicht nur die Hauptrolle, sondern fungierte zudem als Produzentin, was zunächst äußeren Umständen verschuldet war, aber bald ihre Neugier weckte, ob der Möglichkeiten und größeren Mitspracherechte, die sich ihr in dieser Position zusätzlich boten. Ihre Nähe zu der Figur sieht McDormand im Fall von Olive vor allem in ihrer Unberechenbarkeit. „Mein Mann nennt sie ‚Dirty Harry‘ “, gestand sie nach der Premiere auf dem Filmfestival in Venedig in einem Interview. „Nur dass sie statt einer Kanone ihren Stoizismus, ihre Wahrheitsliebe und Direktheit einsetzt. Sie bewegt sogar ihren Kiefer so wie Clint Eastwood. Wie sie habe ich die Neigung, in Fettnäpfchen zu treten. Ich sage das Falsche zum falschen Zeitpunkt, ohne zu erkennen, dass ich die Gefühle der Person verletzt habe. Und das mache ich leider ein wenig zu häufig.“

Chloé Zhao und Frances McDormand am Set von Nomadland

Zu selten steht sie dafür auf der Leinwand im Mittelpunkt des Geschehens, hat sich zu früh einen Namen als perfekte Nebendarstellerin gemacht, wie damals, 1988, als Ehefrau eines Ku-Klux-Klan-Mitglieds in Alan Parkers Mississippi Burning oder unter der Regie Robert Altmans in seinem famosen Ensemble-Film Short Cuts. Ja, selbst als sie bereits mit Fargo das amerikanische Kino eroberte, konnte man sie fast parallel in John Sayles’ Lone Star bei einem winzigen Auftritt als pausenlos plappernde und leicht hysterisch veranlagte Football-Fanatikerin bewundern. Mit Three Billboards und Nomadland scheint nun ein neues Kapitel in ihrer Karriere anzubrechen. Hauptrollen, so wie Marge, Mildred und Fern stehen ihr gut. Dabei soll es nicht bleiben. Aber so nüchtern wie sich ihre moderne Nomadin von einem Job zum nächsten durch ihr neues zwangsbefreites Leben hangelt, sieht es auch McDomand, wenn man sie einmal auf ihren eigenen Beruf anspricht: „Filmstars haben Karrieren – Schauspieler, arbeiten, dann wieder nicht, dann kommt die nächste Rolle.“ Hoffen wir, dass das Warten zwischendurch zukünftig nicht allzu lange dauert.

 

NOMADLAND
Drama, USA 2020 – Regie, Drehbuch Chloé Zhao

Kamera Joshua James Richards Schnitt Chloé Zhao
Musik Ludovico Einaudi Kostüm Hannah Peterson
Mit Frances McDormand, David Strathairn, Linda May, Charlene Swankie, Bob Wells
Verleih Walt Disney, 108 min.
Kinostart 18. März 2021

 

| FAQ 59 | | Text: Pamela Jahn
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