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Eiszeiten und Aufbruchsmomente

Text: Bert Rebhandl | Fotos: Press
Dead Flowers (1992) © Wega Film

Durch die österreichische Filmgeschichte zieht sich eine Spur von Außenseitern, die manchmal nur mit ein, zwei Filmen aufgefallen sind, bevor sie sich anderen Dingen zuwandten – oder was auch immer weiteren Arbeiten im Wege stand. Gerald Kargls Angst ist wohl das bekannteste Beispiel, man könnte aber auch Peter Ily Huemers Dead Flowers in diese Reihe stellen, auch wenn Ily, wie er gemeinhin genannt wird, seither keineswegs von der Bildfläche verschwunden ist. Aber von den paar Kinofilmen, die er im Lauf der Jahre zwischen Wien und New York gemacht hat, haben die besten den Charakter von Solitären. Einen neuen Film von Peter Ily Huemer (ein Porträt der Band Chuzpe im Wettbewerb) und vielleicht auch seinen runden Geburtstag in diesem Jahr hat die Diagonale auf jeden Fall zum Anlass genommen, Dead Flowers wieder zu zeigen. Und das ist eine gute Idee, denn dieser Grenzgang zwischen surrealen und morbiden Momenten führt mitten in den Zeitgeist der Jahre, als gerade der Eiserne Vorhang gefallen war, und sich überall Leerräume auftaten, die es zu besetzen galt.

Dead Flowers ist die Geschichte eines typischen Einzelgängers, dessen Beruf stark auf die Stadt verweist, in der Peter Ily Huemer davor einige Jahre gelebt hatte: New York. Dort ist die Schädlingsbekämpfung ein Big Business, aber auch in Wien braucht es die Jäger der Schaben und Milben. Alex lebt neben der Arbeit ein einsames Leben, bis er eine junge Frau kennenlernt, die natürlich ein Geheimis hat. Es führt in ein Jenseits, das mit dem katholischen Paradies wenig zu tun hat. Die weibliche Hauptrolle der Alice spielte Kate Valk, eine US-Schauspielerin, die Huemer aus New York kannte, wo sie Mitglied der berühmten Wooster Group war. Und auch darüber hinaus ist der Cast von Dead Flowers voller Überraschungen, vor allem, wenn man die Liste mit dem Wissen von heute anschaut: Dominique Horwitz spielt den Grenzgänger Willy de Ville, Wolfgang Böck taucht als Leibwächter auf, und wer erinnert sich noch an Ursula Koban? Sie war natürlich im Kommissar Rex, aber bei Huemer hatte sie ihre erste Kinorolle, und danach galt sie mit Exit II oder Die Ameisenstraße für eine Weile als Hoffnung für das österreichische Kino.

Der Chuzpe-Film, für den Peter Ily Huemer teilweise auf altes Material zurückgreifen konnte, ist auch Teil eines umfangreichen Spezialprogramms, mit dem die Diagonale 2017 ein interessantes Crossover versucht: 1000 Takte Film widmet sich den Einflüssen der Popkultur auf das österreichische Kino. Die beiden führenden Institutionen gehen das Thema dabei von verschiedenen Seiten an. Das Österreichische Filmmuseum versammelt unter dem Titel This is not America – Austrian Drifters eine Reihe von Arbeiten, in denen es vor allem auf eine Sensibilität hinausläuft, die sich aus dem Leben von Fans ergibt. Musik haben immer alle gehört, Pop ist so etwas wie die Literatur der geburtenstarken Jahrgänge, und auch schon von deren Eltern. Und so versuchen auch viele Filme, von John Cook bis Barbara Albert, unübersehbar die besondere Intensität nachzuempfinden, die sich in einem Leben mit Popmusik einstellt. Alejandro Bachmann hat das Programm kuratiert, man kann darin auch Egon Humers The Bands (1993) wiedersehen, mit Auftritten von Fetish 69 oder Pungent Stench, oder Eiszeit (1983) von Wolfgang Strobl, der in einen der Tempel der damaligen Zeit führt: in das U4 in Wien Meidling. Für Peter Ily Huemer hat der Titel This is not America wohl besondere Resonanz, denn seine New Yorker Zeit, in der er unter anderem mit Uma Thurman drehte (Kiss Daddy Goodnight), hat ihn zweifellos zu einem Experten für die Unterschiede zwischen Österreich und Amerika gemacht.

Für das Filmarchiv Austria hat Paul Poet im Rahmen von 1000 Takte Film das Programm Austro-Pop-Film – Starschnittpositionen zum österreichischen Kino zusammengestellt (wer erinnert sich noch an Coconuts von Franz Novotny, mit Rainhard Fendrich in der Hauptrolle?). Er hat dabei überraschend viele Auftritte österreichischer Popmusiker in Film und Fernsehen entdeckt – zum Beispiel das wenig bekannte Arbeiterdrama Der Fehlschuss (1976) mit Wolfgang Ambros. Der in England lebende Journalist und Musiker Robert Rotifer führt 1000 Takte Film schließlich an die Formen der Gegenwart heran: Mit Stefan Ruzowitzkys Tempo (1995) fand die elektronische Musik schon ein paar Jahre vor Lola rennt Eingang in einen populären Spielfilm.

Die beiden jungen Direktoren Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber gehen mit der Diagonale 2017 in ihr zweites Jahr. Und sie zeigen mit 1000 Takte Film, aber auch mit einem weiteren Schwerpunkt, dass sie die das Festival mehr denn je zu einem Labor machen wollen, das keineswegs nur der aktuellen Produktion gewidmet ist, sondern das wirklich in viele Richtungen den Begriff der Gegenwart erweitert. Dieser andere Schwerpunkt ist einer einzelnen Person gewidmet: Andi Winter. Von einem „integrativen Multitalent“ sprechen die Programmgestalter, und es zeugt von ihrem frischem Blick, dass sie in der Lage waren, die vielen Talente unter einen Hut zu bringen. Winter bewarb sich 2008 mit dem kurzen Versuch Ich lege mich selbst ein/Rollentausch an der Filmakademie Wien, er thematisierte dabei seinen Brotberuf (Filmvorführer im Topkino) und die beabsichtigte Rolle als Filmschaffender. Winter war auch schon vor der Kamera zu sehen, in Rimini (2008) von Peter Jaitz. Die Diagonale zielt mit diesem „Zur Person“ aber vor allem auf dieses spezielle Talent von jemandem wie Andi Winter, auf eine originäre Weise ein ganzes Feld zu strukturieren, das man erst bemerkt, wenn man sich einmal alles zusammen anschaut, was sich im Leben eines vielfältig mit dem Kino verbundenen Menschen so tut.

Mit dem Eröffnungsfilm hat die Diagonale auch eine Erweiterung der Gegenwart im Sinn, allerdings in diesem Fall in räumlicher Hinsicht: Untitled ist der letzte Film von Michael Glawogger, oder genauer gesagt, der Film („ohne Namen“, wie er in der Projektbeschreibung hießt), den er nicht mehr machen konnte, weil er unterwegs in Liberia an Malaria starb. Das Material von fünf Monaten Reisen und Drehen (gemeinsam mit dem Kameramann Attila Boa und dem Tonmann Markus Siebert) hat die renommierte Cutterin Monika Willi, die auch mit Glawogger befreundet war, nun zu einem Film montiert, der beinahe wie ein typischer „Glawo“ wirkt, und bei dem man vielleicht allenfalls darüber diskutieren könnte, ob er nicht ein bisschen überproduziert ist: Der tolle Soundtrack von Wolfgang Mitterer und ein Off-Kommentar mit nachgelassenen Texten von Michael Glawogger lassen Untitled insgesamt fast schon ein bisschen zu makellos erscheinen. Es fehlt, wenn man so will, etwas, was dem Film den Charakter eines Testaments auch wieder nimmt.

Doch über derlei Fragen wird man auf der Diagonale hinreichend reden können, die ja mit ihrem günstigen Termin auch das Glück hat, Aufbruchsstimmung quasi schon natürlich zu erzeugen. Die toten Blumen von Peter Ily Huemer werden in einer aufblühenden Stadt umso stärker zur Entfaltung kommen können.

Diagonale

Festival des österreichischen Films

28. März – 2. April 2017, Graz

www.diagonale.at

 

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