Ein Gesamtvolumen von über 400.000 Stück hatte einer Statistik aus der Sportbranche zufolge der Fahrradmarkt in Österreich zuletzt. Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Trends: 2013 wurden noch 43.000 Elektroräder verkauft, 2014 bereits 50.000. Im selben Zeitraum verzeichnet auch das „ganz normale“ Rad, im Branchenjargon City Bike genannt, Zuwächse von über 18 Prozent. Beides verdeutlicht die steigendende Bedeutung des Fahrradverkehrs, der in den Metropolen auch ganz gezielt politisch gefördert wird. Was in Wien gern als rot-grüne Spinnerei dargestellt wird, ist tatsächlich ein internationaler Trend, der nicht nur ökologische, sondern auch andere pragmatische Gründe hat: Der innerstädtische Autoverkehr hat seine räumlichen Grenzen schon lange erreicht, öffentliche Verkehrs-mittel können nicht unbegrenzt ausgebaut werden. Das Fahrrad bietet einen Ausweg, zudem entspricht es dem Bedürfnis nach individueller Mobilität mehr als jedes andere Transportmittel. Viele Städte planen den Ausbau ihrer innerstädtischen Radwege im großen Stil, Paris hat Investitionen von 150 Millionen Euro bis zum Jahr 2020 beschlossen, London gar 1,25 Milliarden Euro bis 2025 – letzteres entspricht Ausgaben von 14,2 Euro pro Einwohner für den Radverkehr. Wien gibt mit fünf Euro pro Kopf vergleichsweise wenig aus, trotzdem nimmt der Radverkehr auch hier zu: 2010 betrug der Anteil noch 4,6 Prozent, letztes Jahr bereits über sieben. Der Zeitgeist und der Ausbau der entsprechenden Infrastruktur trugen sicher dazu bei, doch es gibt auch Faktoren, die schwer zu beeinflussen sind.
Ein Traditionsgeschäft im Wandel
„Wir spüren die milden Winter“, meint Christoph Pulz, „immer mehr Leute fahren das ganze Jahr mit dem Rad.“ Ende 2015 hat Pulz den alteingesessenen Familienbetrieb übernommen, ein Radgeschäft mit angeschlossener Werkstatt in Wien Hernals. Das Fahrradhaus Pulz heißt nun Pbike, hier gibt es alles: Klassische Damen- oder Herrenräder, Mountainbikes, Rennräder, verschiedene Größen für Kinder, natürlich auch Elektro- und Klappräder. Der Fahrradmarkt erscheint heute in vielfältiger Weise ausdifferenziert. Neue, trendige Marken stehen neben vertrauten Namen. Puch ist zurück, sogar als Waffenrad. Pulz führt aber auch gebrauchte Räder. Dazu gibt es noch jedes erdenkliche Zubehör – ein durchaus wichtiger Geschäftszweig, der Kunden ins Geschäft bringt. Manche brauchen öfters etwas: Wenn sich solche Radler einfinden und fachsimpeln, und vielleicht auch noch der Vater anwesend ist, wird eine Leidenschaft spürbar, die über das Geschäft hinausgeht: „Natürlich muss man das alte Rad richten lassen! Sowas kriegt man heute gar nicht mehr!!!“ Das Fahrrad beschleunigt die Fortbewegung und bringt den Menschen weiter, nur mit Muskelkraft. Ein technisches Wunderding, das je nach Hersteller spezifische Detaillösungen und Rahmenkonzepte in sich birgt – davon nährt sich eine große Faszination. Die verdichtete „Velophilie“ kommt im Pbike Shop auch daher, dass sich alles auf sehr engem Raum versammelt: Die Räder stehen dicht an dicht. Christoph Pulz hat bereits einen Webshop aufgesetzt, ein größerer Laden an einem weiteren Standort ist in Planung. Der Markt hat noch Potenzial. Die Alltagsradler seien ein Faktor und in diesem Zusammenhang auch Elektroräder; Mountainbiker wären die beste Klientel, erklärt der junge Chef, sie interessierten sich für Neuerungen und verschlissen ihre Räder stärker als andere.
Schauräume statt Werkstätten
In der Handelsstatistik machen Mountainbikes und „Offroad“ die Hälfte des Gesamtvolumens aus. Mountainbiking war in den 1990ern der letzte große Radboom im Sportbereich, der in die Breite ging. Viele stellten ihre Rennräder beiseite und kauften die angesagten Modelle. Die Rahmengeometrie, zuvor ausgereift und ausgereizt, wurde wieder ein Thema. Der Trend war so stark, dass normale Räder mit Moutainbike-Attributen, also mit vielen Gängen und dicken Stollenreifen, aber eben auch mit Kotflügeln, Licht und Gepäckträger, als „City Bikes“ verkauft wurden (vielleicht wurde so der SUV-Boom bei den Autos vorbereitet?!).
In Wien positionierte sich der Fahrradhändler Mountainbiker als Instanz auf diesem Markt. Ein architektonisch feiner, großer Store füllt sechs Stadtbahnbögen am Alsergrund, hier ist Platz für die Werkstatt und viele Räder. Der Name bestimmt das Sortiment überwiegend. Befragt nach dem „state of the art“, muss der Shopleiter Martin Oberhuber nicht lange überlegen: Die amerikanische Firma Specialized, erklärt er sinngemäß, hätte in den letzten Jahren das Rad neu erfunden – genauer gesagt das Elektrorad. Specialized integrierte eine leistungsfähige Motor- und Akku-Einheit in bisher nicht gekannter Weise in die Rahmengeometrie. Die Elektrounterstützung für Pässe und Bergfahrten erweitert klarerweise den Kundenstock, beziehungsweise den Aktionsradius derer, die so schon vieles schaffen. Was im Sportbereich funktioniert, lässt sich natürlich auch im Alltag verwenden: Die „günstige“ Stadtversion Specialized Turbo kostet knapp 3.000 Euro – es mag günstigere Elektroräder geben, aber ob die dann konkurrenzfähig sind? Eine kurze Testfahrt mit dem Turbo verläuft beeindruckend.
Elektrische Potenziale
Noch 2013 waren 74 Prozent der E-Bike-Fahrer in Österreich über 45 Jahre alt, 41 Prozent über 65. Doch das Pensionistenimage verblasst, auch angesichts der sportlichen Angebote. Freilich gibt es solche, die ihr Rad bewusst als Trainingsgerät und daher weiterhin „analog“ benützen wollen, und man könnte monieren, dass mittlerweile mit Tätigkeiten Energie verbraucht wird, die lange ohne Strom auskamen (Rauchen, Skateboards …). Aber die Entwicklung ist nicht mehr umzukehren, in China fahren derzeit etwa 25 Millionen mit dem Rad.
Das Elektrorad hat die Technologie in die Radbranche zurückgebracht, und es überzeugt als Fortbewe-gungsmittel: Im Stadtverkehr kann man mit Autos und Rollern mithalten, aber auch jederzeit absteigen und schiebend die Gehwege nützen, wie es nur ein Fahrrad erlaubt. Die elektrische Unterstützung macht einen nicht nur mobil, sondern flott, ohne dass man ins Schwitzen kommt. Zum Mountainbiker kommen auffallend viele Herren, die nicht aussehen, als würden sie ein Sportrad suchen. Das E-Bike, das im Büro zur innerstädtische Mobilität bereit steht, ist en vogue, wie man erfährt. Alternativ können dies auch „Analogräder“ aus Edelschmieden sein, definitiv kehrt das Fahrrad als prestigeträchtiges Verkehrsmittel zurück – ist man damit doch individuell, smart und noch dazu ökologisch korrekt unterwegs. Jugendlich kann es auch wirken, ebenfalls kein Fehler. Freilich haben Elektro- und andere teure Räder auch den Nachteil, dass sie attraktives Diebesgut darstellen. Generell ist die Frage eines Stellplatzes entscheidend (und auch in allen politischen Konzepten präsent), wenn es darum geht, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren.
Damit es klappt
Hier kommt das Faltrad ins Spiel, das sich zu einem kompakten Block zusammenlegen lässt. Nicht größer als eine Tasche, kann es ins Büro oder in der U-Bahn mitgenommen werden. Mehrere Anbieter bespielen diesen Markt, die englische Marke Brompton präsentiert sich in der Vorreiterrolle. Mit eigens organisierten Rennen wird die Kompetenz der Marke demonstriert und ein flottes Image erzeugt. Das Brompton kostet weniger als halb so viel wie das Specialized Turbo, aber deutlich mehr als andere Falträder. In Wien fungiert die Cooperative Fahrrad als Brompton Vertriebspartner, Christian Pekar sieht den Preisunterschied durchaus motiviert: „Die kleinen Räder federn weniger, der Rahmen wird stärker beansprucht, der ja durch den Klappmechanismus ohnehin nicht so stabil ist. Brompton hat dieses Problem am besten gelöst.“ Die Cooperative Fahrrad hat auch Räder, Werkstatt und Zubehör, doch hier stand das Rad als Verkehrsmittel und Nutzfahrzeug schon im Vordergrund, als das Rad allgemein eher als Sportgerät gesehen wurde. Zum Nutzfahrzeug wird das Rad vor allem durch das wachsende Angebote an Lastenrädern, die sich teils universell, teils als Kindertransporter konzipiert andienen. In Kombination mit elektrischer Unterstützung kann hier einiges bewegt werden, hier sieht Christian Pekar noch viel Potenzial durch gewerbliche Nutzung: Zum mobilen Verkauf, aber auch für Handwerker, die nicht mehr so lang Parkplätze suchen müssen.
Es funktioniert einfach
Funktionskleidung jenseits von Radhosen und Rennleibchen stellt ein Angebot dar, das sich parallel zum urbanen Radeln entwickelt. Spezialisierte Marken wie Rapha produzieren Mode, die wetterfest und bewegungsfreundlich, aber auch bürotauglich ist. In diesem Sinn entstand auch das Brompton Jackett, eine Outdoorjacke im klassischen Look – allerdings verfolgte die Firma das Konzept nicht weiter. Trotz vieler schicker Teile samt schlauer Lösungen erscheinen solche Angebote nicht zwingend, zumal sie meist recht hochpreisig daherkommen. Wenn es nur ums Wetter geht, reicht es auch, zu einem der vielen Überzieher und Overalls zu greifen, wie dem Raincombi (übrigens ein Produkt aus Wien), die sich kompakt zusammenpacken und mitnehmen lassen. So kann man in der gewohnten Kleidung mit dem Rad mobil sein und ist trotzdem gewappnet. Dieser Zugang lässt sich freilich auf alles übertragen, was mit dem Fahrrad zu tun hat. Der Boom der letzten
Jahre hat viele Leute daran erinnert, dass die „alte Kraxn“, die vielleicht noch in Mamas oder Opas Keller verstaubt, genau genommen ein hochwertiges Markenrad ist – zwar nicht so trendy, aber komfortabel zu fahren, und wenig attraktiv für Diebe. Man muss das Ding nur etwas überholen, aber dann funktioniert es wieder. Sofern man es kann, das richtige Werkzeug hat … Da kommen dann die alteingesessenen Läden mit Werkstatt ins Spiel, wie der von Christoph Pulz. „Ohne Werkstatt geht nichts“, erklärt er das Scheitern mancher allzu schicker Store-Konzepte, die nur den Hype sahen, aber das Geschäft nicht durchschauten. „Wenn ich ein teures Rad verkaufe, muss ich auch das Service anbieten können.“ Elektro wäre zwar ein Quantensprung, der die Werkstatt ein Stück weit entmündigt, weil die Antriebseinheiten zentral vom Hersteller repariert würden. Doch alte Kraxn werden andauernd wieder in Betrieb genommen – und sie bringen die Leute ins Radgeschäft.