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Elfriede Jelinek

Claudia Müller schafft mit ihrem Film „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ das authentische Porträt einer Schriftstellerin, die die Sprache wie keine andere zur radikalen Weltbeschreibung nützte und dadurch ungewollt polarisierte.

Elfriede Jelinek © Karin Rocholl

Jelineks Sprache mag von einer Intensität sein, die den einen oder anderen abschreckt. Nicht zuletzt verdichtet die österreichische Schriftstellerin damit aber die Realität dermaßen, dass sie oft näher am Kern des Problems liegt, als wir es wahrhaben wollen. Doch wie kann man eine derart trockene, wie radikale Sprache filmisch so inszenieren, dass sie nicht an Kraft verliert? Claudia Müller zeigt es in ihrem Dokumentarfilm vor und verstrickt Ton und Bild in gekonnter Weise zu einer würdigen Hommage an die österreichische Literaturnobelpreisträgerin.

Foto: Polyfilm

Zwischen Mensch und Maschine

Jelinek selbst beschreibt die Protagonistinnen und Protagonisten ihrer Romane als „Zombies“, die sich ihrem Schicksal gegenüber mehr mechanisch als wie die frei agierende Individuen verhalten, die wir uns erhoffen. Genau dadurch gab Jelinek aber der allgemeinen Individualisierungstendenz schon ab den 1970ern ein Konter, das nicht jeder verstand: Die gesichtslosen Charaktere ihrer Prosa-Werke wirkten auf den einen oder anderen damit geradezu provokativ. Spätestens ab ihrem Stück „Burgtheater“ von 1985, das den Opportunismus einiger Burgtheaterschauspielerinnen und -schauspieler während der Nazizeit bloßstellte, wurde Jelinek von der Öffentlichkeit als polarisierende Schriftstellerin inszeniert. Eine Zuschreibung, die sie gebrochen hat. Schlussendlich wurde Jelinek selbst von dem Österreich, das sie beschreibt, „gefressen“: Nach den Reaktionen auf den an sie verliehenen Nobelpreis 2004 zieht sich die Schriftstellerin aus der Öffentlichkeit zurück, doch hört bis heute nicht auf, die Realität aus dem Hintergrund mit ihrer Sprache zu durchdringen.

Foto: Polyfilm

Das ist eine schöne Landschaft

Müller zeigt verschneite Wälder, während grausame Passagen der Schriftstellerin in die idyllische Leere tönen. So torpediert die Sprache das Bild und wird gerade deswegen wirksamer denn je. Die Regisseurin spiegelt visuell die Ironie des Jelinek’schen Sprachduktus wider, der damit spielt, dass wir uns unserer Verantwortung gerade durch die sprachliche Entfernung nicht entziehen können. Es ist nicht verwunderlich, dass Jelinek ab den 1990er Jahren zu einer Zielscheibe rechtspopulistischer Politik wurde. Sie hielt Österreich den Spiegel so erbarmungslos vor, dass das Nicht-Entziehen-Können aus der Sprache wie ein Angriff auf den österreichischen Nationalstolz wirkte. Schlussendlich provoziert Müllers Film in derselben Weise und lässt einen trotzdem in Bewunderung für die Person zurück: „Ich bin am Ende, ich bin am Anfang. Sie können das auch, jederzeit. Sie können sein, wo immer Sie wollen. Ich kann nicht sein, wo ich will. Dafür kann ich mein Schreiben schicken, wohin ich will, auch wenn ich nicht weiß, wo das ist.“

Der Film feiert bei der heurigen Viennale Österreich-Premiere.

 

Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
R: Claudia Müller, DE/AT 2022, 96 min
Mit: Elfriede Jelinek, Sophie Rois, Stefanie Reinsperger, Sandra Hüller, Martin Wuttke
Kinostart: 10. November 2022

 

| FAQ 67 | | Text: Ania Gleich
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