Diese Geschichte hat kein Datum, wie es so schön heißt in der Medienplanung. Das bedeutet, dass es keinen konkreten Aufhänger braucht, um sie zu bringen. Flohmärkte finden ständig statt, auch solche mit Szenefaktor. Durchschnittlich alle sechs bis acht Wochen ist beispielsweise ein Wiener Partykollektiv auf seinem zweiten Geschäftsfeld aktiv – schon vor circa sieben Jahren veranstaltete die Tingeltangel Crew rund um Bernhard Tobola einen Flohmarkt, damals eher im Freundeskreis. „Mir ist aufgefallen, dass viele Leute in unserem Umfeld gern auf Flohmärkte gehen“, erinnert sich der DJ und Organisator. Kleidung, Platten und elektronische Geräte standen im Fokus. Als dann irgendwann 1000 Leute kamen, war klar, dass man die Sache professionell durchplanen musste. Heute stehen den Followern des Clubbetriebs etwa gleich viel Markt-Fans gegenüber. Auch Tobola selbst suchte gern nach Kleidungsstücken abseits des aktuellen Trends. Andererseits hatte er mit Tingeltangel die Blickfang Design-messe musikalisch betreut und den Modepalast in seiner Entwicklung ein Stück weit begleitet. In seinen Anfängen war der Modepalast für viele ein Schritt von DIY zum Businesscase Modelabel. Viele Wiener Labels, die heute im 7. und anderen Bezirken mit Shops vertreten sind, begannen dort ihre Karriere. Originelle Mode von kleinen Labels, bei denen man weiß, wer daran verdient, bilden ein sympathisches Gegenmodell zu überteuerten Designerstücken, die vielleicht im selben Sweatshop genäht wurden wie die Ware vom Textil-diskonter. Trotzdem will man natürlich schick sein, woraus sich ein Dilemma ergibt, wenn man nachhaltig leben möchte. Wenn man aber gebrauchte Designstücke kauft, ist man aus dem moralischen Schneider. Auch die uralte Digitalkamera ist obsolet, funktioniert aber noch – irgendwer kann sie wohl brauchen. Nicht zuletzt pragmatischere Gründe wie Platzmangel führten dazu, dass Leute ihre alten Sachen auf die Märkte trugen – die findige Leute wie Bernhard Tobola dann organisierten. Er gibt seinen Teilnehmern Empfehlungen, was sie sinnvollerweise anbieten sollen und in welcher Qualität, sonst lässt er ihnen aber freie Hand.
Stilzyklen
Andere Markt-Macher selektieren die Anbieter, um beispielsweise einen besonders feinen Markt für Second-Hand- Design zusammenzustellen, oder eine bestimmte Subkultur anzusprechen. Im subkulturellen Sinn kann man auch Antiquitäten- und Altwarenhandel nicht nur als Beruf betrachten. Alexander Bechstein beispielsweise begleitete schon als Kind seinen Vater auf Flohmärkte. Der Vater sammelte mit wechselndem Fokus, was sich zunächst auf den Sohn übertrug. Gewissermaßen überwand letzterer das Sammeln durch Professionaliserung: Bechstein betreibt die Vintagerie in der Nelkengasse. Dieses Geschäft beschreibt sich als „modernist showroom“ und verkauft Einrichtungsgegenstände der Nachkriegszeit, mit Fokus auf österreichische Schmuckstücke aus den 1950ern und 1960ern. Bechsteins Geschäftspartner Peter Lindenberg wurde ebenfalls familiär geprägt, er begleitete seinen Vater, der klassische Antiquitäten suchte, zu Wohnungsbesichtigungen. Der alternative Fokus der Vintagerie ergab sich für Lindenberg aus seiner „Vorliebe für Unterbewertetes“, erklärt er. Lange Zeit waren bloß Jugendstilmöbel und Älteres anerkannt, wenn jemand auf Antiquitäten aus war.
Mode und Trends abseits des Neuen sind nichts Neues. Für Luxusgüter gab es immer schon einen Liebhabermarkt, der alte Produkte neu entdeckte, insbesondere Möbel und Kunsthandwerk. Auch die Schatzsuche auf Flohmärkten ist durchaus kein neues Phänomen. Ob getriebene Sammler oder Altwarenprofis, die Kenner wussten schon immer recht genau, wo und wann sie welche Ware finden konnten. Den anderen kommen nun eben Märkte und Geschäfte entgegen. Den Bummel am Naschmarkt-Flohmarkt als samstäglichen Zeitvertreib werden die neuen Märkte aber wohl für niemanden ersetzen. Spricht man mit Leuten „aus der Szene“, sind sich nämlich alle einig, dass der Flohmarkt am Naschmarkt immer noch alle Segmente abdeckt: Hier werden verschrobene Sammler ebenso fündig wie Experten und Leute, die Gebrauchsgegenstände oder schicke Schnäppchen suchen.
Das große Shoppening
Sammler oder nicht, eine besondere Erlebnisqualität entsteht immer durch die Anwesenheit von geschliffenen Gläsern, Heiligenbildern, Porzellanfiguren, alten Ansichtskarten, Spielzeug, aber auch Lampen oder Möbeln: Flohmärkte bieten viele Ansatzpunkte, nach denen man sammeln kann, denn die meisten Waren findet man immer wieder, in mehr oder weniger ähnlicher Form. Manche gehen zum Zeitvertreib auf Flohmärkte und kaufen zufällig, wenn es sich ergibt. Wie viele Menschen (Profis ausgenommen) dieses Verhalten dagegen mit System betreiben (oder gar dazu gezwungen sind), bleibt im Dunkeln. Sentimentalität schwingt immer mit, bildet doch der Mix aus Waren auf einem Flohmarkt ja auch eine Lebenswelt ab – was besonders anschaulich wird, wenn man Flohmärkte in fremden Ländern besucht (DJ PowLee erinnert sich an dieser Stelle an das erstaunliche Angebot an ausgewählten Platten, die ein banaler Flohmarkt in London zu bieten hatte – was den „culture student“ auf eine ganz andere Durchdringung des Normalverbrauchers mit internationaler Popkultur schließen lässt). Man taucht ein in einen Kosmos zwischen Vergangenheit und Trends, die vielleicht gerade erst entstehen … wenn man aber mit ausgewähltem Angebot das Stöbern vereinfacht, und der Flohmarkt zum Szene-Event wird, wenn sich der Feschmarkt als „Marktfestival für Kultur und Design“ etabliert und ein „Salon“ verschiedene Anbieter zu einer Vintage-Messe versammelt, hier allerdings die Anbieter neuer Ware überwiegen: Könnte man da nicht gleich shoppen gehen?
Second Trend: Wer war der erste?
Dies bringt uns nun zum Anfang zurück: Was haben die neuen Märkte mit den nervösen Märkten der Investoren zu tun? Ein Großteil unseres Warenangebots wird am anderen Ende der Welt billig und lebensverachtend hergestellt und gelangt dann über globale Güterketten in unsere Geschäfte. Hier wird ein großer Aufwand betrieben, um das Angebot attraktiv zu drapieren, und nicht selten imitieren diese Inszenierungen die klassische Marktsituation. Unter der Last der Überformung entwickeln Supermärkte aber kaum und Malls nur selten den Charakter des authentischen Forums, das ein Markt eigentlich sein kann. Hier geht es nicht nur um den Austausch von Waren, sondern auch um Gemeinschaft. In der Moderne und den Subkulturen haben andere Szenarien diese Rolle übernommen: Clubs oder spezielle Geschäfte. Die neuen Märkte entsprechen verschiedenen kollektiven Bedürfnissen: Sozial sein ohne Medien dazwischen, mit der In Crowd abhängen, ohne feiern zu müssen, Schnäppchen ohne schlechtes Gewissen (warum soll man anderswo handeln, wenn eh alles schon verstörend billig ist – oder unverhältnismäßig teuer). Clubs wirken in der Regel exklusiv für Lebensphasen und bestimmte Szenarien, ebenso wie die wahre Flohmarktszene sich bereits am frühen Morgen trifft. Dieses Manko haben mittlerweile Nachtflohmärkte behoben, die es in verschiedenen Städten gibt, auch in Wien – was zu einem letzten spannenden Punkt führt: Vielleicht ist das wieder ein Trend, der nach London und Berlin halt auch Wien erfasst hat (mit Verspätung, wie ich immer wieder gehört habe). Vielleicht ist das aber völlig egal: Wie schon in der Popmusik, zeichnet sich hier eine Gleichzeitigkeit aller Stile/Styles/Angebote ab, in der Konsumenten und Macher mehr denn je gefordert sind, zu definieren, smarte Kombinationen zu schaffen oder etwas Bestimmtes auszuwählen. Dies beginnt mit dem Lernen und Verstehen historischer Produktqualitäten im Second-Hand-Laden und setzt sich fort in der Auswahl aus dem breiten Angebot neuer und normaler, Floh- und BoBo-Märkte. Die Innenstädte der Welt erscheinen vergoldet, präsentieren jedoch überall die gleichen Marken und Waren – Selbstbespiegelung in globaler Dimension. Wo die Gemeinplätze der Konsumwelt vermieden werden, bildet eine Marktsituation, und besonders der Flohmarkt, den jeweiligen „local spirit“ ab – und der wird in Berlin oder London nie so sein wie in Wien, Graz oder St. Pölten.