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Er war schlicht

Text: Jörg Becker | Fotos: Press
© Associazione Pasolini Matera, Photo: Archivio Notarangelo

„Allein bis auf die Knochen habe auch ich Träume, die mich noch in der Welt verankern, auf der ich mich bewege, als wäre ich nur Auge. Ich träume von meiner Wohnung, auf dem Gianicolo, in Richtung Villa Pamphili, grün bis hin zum Meer: eine Dachwohnung, erfüllt von der alten und immer unbarmherzig neuen Sonne Roms…“ („Die Religion meiner Zeit“, 1961)

Ein Foto zeigt Pasolini in Anzug und Krawatte, mit heranwachsenden Jungen auf hartem, staubigem Erdboden Fußball spielend, den Ball führend, im fernen Hintergrund die gleichförmigen Blöcke hoher Mietshäuser.

Nach Barcelona, Rom und Paris ist die Ausstellung „Pasolini Roma“ nun in Berlin im Martin-Gropius-Bau zu sehen – weniger eine Gedenkausstellung, eher eine Sammlung aus den Tiefen des Schaffensnachlasses, die aufgeblättert, ausgebreitet wird, Forum einer dokumenten wie ideengesättigten Schau über Leben und Werk des großen Filmregisseurs, Dichters und Publizisten Pier Paolo Pasolini, der auf dem Höhepunkt seines Schaffens umgebracht wurde. Zusammengeschlagen, ermordet und vom eigenen Auto mehrfach überfahren, gefunden am 2. November 1975 auf einer Brache im Hafen von Ostia. Wirklich zu Ende ist dieser Fall nie ermittelt worden. Ein Strichjunge wurde verurteilt, später tauchten Indizien für einen Auftragsmord aus politischen Gründen auf. Immer wieder kommt die Täterschaft der Mafia ins Spiel. Die Premiere seines letzten Films Salò (1975) hat er nicht mehr erlebt. Das schreckliche Ende unter nach wie vor ungeklärten Umständen überschattet weiterhin jede Lebensbetrachtung dieses Jahrhundert-intellektuellen.

Der Aufbau der Ausstellung, kuratiert von Jordi Balló und Alain Bergala, dem ehemaligen Chefredakteur der Pariser „Cahiers du cinéma“ und einem der bedeutendsten Filmpublizisten und -vermittler der Gegenwart, ist in chronologischen Etappen vorgenommen worden, deren erste am 28. Januar 1950 beginnt, als Pasolini, der damals 27-jährige Lehrer, überstürzt mit seiner Mutter aus dem ländlichen Friaul nach Rom flieht, nachdem er wegen Unsittlichkeit denunziert, mit Schimpf und Schande aus dem Schuldienst entlassen und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war. Die Christdemokraten hätten ihn gewähren lassen, hätte er sich vom Marxismus losgesagt, was für Pasolini nicht in Frage kam.

„Pasolini Roma“ zeigt, wo der Dichter wohnte – vom Armenviertel bis zum Haus mit dem offenen Blick aufs Meer – und stellt den Orten von einst ihren heutigen Zustand mittels langer Filmclips in Dauerschleife gegenüber. Neben Fotos und Filmszenen, Storyboard-Skizzen, Porträtzeichnungen und Malereien – auch Originalen von Künstlern, die er schätzte, wie Morandi, Guttuso oder de Chirico, Mafai, De Pisis und Rosai – enthält die Ausstellung eine Wand voller Zeitungsberichte über die mehr als 30 Prozesse, die gegen ihn geführt wurden aufgrund unterschiedlichster Anklagen: Homosexualität, Verführung Minderjähriger, Verunglimpfung der Religion, sittengefährdender Schriften und Bilder sowie Verleumdung. 

Vollständiger Artikel in der Printausgabe. 

Ausstellung Pasolinis Roma

Martin-Gropius-Bau, Berlin

11.09.2014 – 05.01.2015 

| FAQ 29 | | Text: Jörg Becker | Fotos: Press
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