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Erschreckend glaubwürdig

Text: Feldkamp Anne | Fotos: Archiv

Irgendwann steht er da in seinem Trachtenanzug und dem weißen, aufgeknöpften Hemd vor seiner Frau – ohne Worte, dafür mit einem Gewehr in der Hand. Sebastian Meises Film „Stillleben“ zeigt anhand seines Protagonisten, eines unauffälligen Familienvaters in der österreichischen Provinz, wie die Entdeckung seiner pädophilen Neigung durch den Sohn die Familie aus der Bahn wirft.

Das Dunkle und Brüchige, das hinter der vermeintlichen Normalität lauert, wird, wenn es um den österreichischen Film geht, immer wieder thematisiert. Doch welche Rolle kommt dabei dem Kostüm zu? Katharina Wöppermann, Tanja Hausner und Hanya Barakat erzählen von ihren Herangehensweisen an das Kostüm für „Stillleben“, „Paradies: Liebe“ und „Michael“. In „Stillleben“, dem ersten Langfilm von Sebastian Meise, gelingt es dem Kostüm – der dezenten Form des Filmes folgend – erschreckend glaubwürdig, die inneren Dramen der Protagonisten mit abzubilden. Verantwortlich für Kostüm- wie Setdesign: Katharina Wöppermann, die auf der Diagonale in Graz für ihr Kostümbild, das in seiner Unaufgeregtheit überzeugt, ausgezeichnet wurde. Da wird der Trachtenanzug, eigentlich ein Stück Sonntagsgarderobe, das irgendwo in der österreichischen Provinz zu besonderen Anlässen getragen wird, zum letzten formalen Halt einer Person, die in ihrer Verzweiflung weder ein noch aus weiß und keine Worte hat für das, was da mit ihr und denen drumherum passiert.

Wöppermann hat das Kostüm zusammen mit dem Regisseur über mehrere Anproben hinweg entwickelt und stückweise verändert: „Wir haben da eindeutigere und auch altmodischere Anzugexemplare ausprobiert. Aber schlussendlich haben wir herausgefunden, dass uns das Dezentere ausreicht.“

Die Entscheidung für eine zurückgenommene Gestaltung der Kostüme zieht sich im Film „Michael“ durch das gesamte Personal. Auch die Kleidung der Tochter Lydia, deren Kinderbilder der Vater sammelt und die ihm als Vorlage für die Besuche bei einer Prostituierten dienen, entwickelte sich in eine unauffällige Richtung: „Die Idee war, die Lydia ein wenig greller zu gestalten, Sebastian Meise hat dann aber gespürt, dass das für ihn nicht stimmig ist.“

Ähnlich die Herangehensweise an das Kostüm der Prostituierten, gespielt von Musikerin Anja Plaschg: „Für Anja Plaschg, die ja ihre Figur ‚Soap and Skin‘ auch sehr präzise gestaltet, mussten wir eine Gratwanderung finden, damit es für sie auch stimmig ist und nicht über eine gewisse Grenze hinausgeht. Da haben wir in einigen Anproben dran gearbeitet, bis wir auf dem Punkt waren. Ein glaubwürdiges Kostüm für die Figur einer Prostituierten zusammenzustellen, finde ich sehr schwierig, weil das eine Welt ist, an der man nur aus der Ferne Teil hat“, sagt Wöppermann. Schnell habe man sich auf lange hohe Plateaustiefel geeinigt, Pink und knallige Farben Fehlanzeige: „Wir haben nach etwas gesucht, was nicht ganz billig ausschaut, Anja hat letztlich ein weißes, tigerartiges Jäckchen an, wogegen sie sich am Anfang ein bisschen gesträubt hat. Ich hatte aber das Gefühl, dass das passt.“

Doch wie nah soll denn ein zeitgenössisches Kostümbild überhaupt am Realen sein? Katharina Wöppermann: „Natürlich ist man in manchen Dingen versucht, Dinge herauszuarbeiten. Letztendlich ist Film auch Bühne und natürlich ist da wie im Theater auch eine gewisse Überhöhung – nur mit anderen Mitteln und nicht in der Größe. Man versucht Gegenwart – und das ist eines der schwierigsten Dinge – darzustellen. Das aber so, dass sie optisch noch spannend bleibt.“ Ohne eine sanfte Zuspitzung würde dem Zuschauer wahrscheinlich nicht nur das Kostüm schlichtweg zu langweilig werden.

Ähnlich sieht das die Kostümbildnerin Tanja Hausner, die nach zahlreichen Kooperationen mit ihrer Schwester, der Regisseurin Jessica Hausner, erstmals das Kostüm für einen Ulrich-Seidl-Film verantwortete: In „Paradies Liebe“ macht sich die 50jährige Wienerin Teresa als Sextouristin auf den Weg nach Kenia, die Bilder vor Ort gleichen einem grellen Urlaubskatalog. Wie Tanja Hausner deren Ästhetik beschreiben würde? „Das ist schon ein Zacken schärfer, als wenn man einfach nur Urlauber abfilmen würde.“ Will heißen: Wenn es sich Teresa im knallblauen Badeanzug und ihre gleichaltrige Freundin im Tigerprint auf den Liegestühlen am Strand bequem machen, sehen wir auf den ersten Blick zwei grelle Figuren, aber auch eine durch und durch stimmige Bildkomposition. „Wir hatten einen Riesen Ikeasack mit Bademode dabei und wenn man dann diesen Liegestuhl da hat, dann sucht man das Modell aus, was am besten kommt und insgesamt ein schönes Bild ergibt“, erzählt Hausner, die sich vor den Dreharbeiten in Kenia im winterlichen Wien auf die Suche nach Bademoden machte – in Dessousläden und im Internet wurde sie fündig. Natürlich gehe man davon aus, was Urlauberinnen im Gemeinen so anhaben, aber, so Hausner: „Mir ging es darum, dass es trotz aller Peinlichkeiten auch schön aussieht.“ Schön scheußlich, so ihr Credo in Sachen Kostüm. So sieht denn die Protagonistin Teresa auch im engen, viel zu kurzen Blumenkleid oder im Badeanzug mit Outdoorsandalen an den Füßen nie lächerlich aus. Ganz im Gegenteil, hinter den Kulissen hatte die Kostümbildnerin mit Darstellerin Margarete Tiesel eine Menge Spaß: Die Schauspielerin, die privat auch eine Vorliebe für die in ihrem Filmkostüm dominierende Farbe Türkis hat, bewies Mut zur Farbe: „Da kann man dann ruhig in die Farbtöpfe greifen und das hat mir auch viel Spaß gemacht, auch dieses Sommer-sonnenfeeling kommt so gut raus.“

Doch nicht nur die Europäerinnen, die an der Südostküste Afrikas sexuelle Befriedigung suchen, auch die vor Ort gecasteten Beachboys sind kostümiert – und das, „obwohl Ulrich Seidl sie erst lassen wollte, wie sie sind“. Allerdings kam ein Großteil der jungen Männer in Poloshirts und Hemden zum Casting und trug „nicht unbedingt das, was man mit Beachboys verbindet. Ich habe dann angefangen, dort auf Märkten die Sachen zusammenzusuchen. Und weil die Kleidung dann zu neu aussah, habe ich den anderen Beachboys ihre Sachen abgekauft.“ Nun bekommen also die Zuschauer dank knapper Shirts die Muskeln der kenianischen Darsteller zu sehen und natürlich auch irgendwie auch das, was der Erwartungshaltung des westlichen Kinopublikums entspricht.

Wo Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“ sich in bunten Farben des Sextourismus in Kenia annimmt, ist Michael Schleinzers Film „Michael“ ein formal strenges Stück über einen nach außen um Durchschnittlichkeit bemühten pädophilen Mann, dessen Lebensinhalt ein Kind, das er in einem Kellerraum eingesperrt hat, ist. Hanya Barakat, Kostümdesignerin für den Film „Michael“, betont, dass es dem Regisseur Markus Schleinzer hinsichtlich des Kostüms wichtig war, die Menschen im Film nicht in erster Linie zu verschönern: „Film ist ja kein Schönheitswettbewerb, da sind vielmehr ganz normale Menschen, die auch mal einen schlechten Tag haben und einen blöden Pullover anziehen, zu sehen.“ Beim Fernsehen, das weiß sie aus eigener Erfahrung, sei das anders, denn „da geht es darum, gut auszusehen“. Schleinzer habe von ihr gefordert, die Menschen nicht schönzumachen, damit sie sich wohl fühlen, sondern auch mal nein zu sagen – ohne, ganz wichtig, die Darsteller allerdings bloßzustellen. Barakat ist überzeugt davon, dass „die Realität ohnehin viel spannender ist: Kein Mensch zieht sich in Wirklichkeit jeden Tag stimmig an.“ In den meisten Fällen ist ihr das Kostüm in Filmen zu perfekt aufeinander abgestimmt. Und: Selbst in der Vorarbeit zu „Michael“ zeigte sich, dass zu viel der Abstimmung nach hinten losgehen kann. „Unser Farbkonzept besagte, dass vor allem entsättigte Farben verwendet werden sollten. Als wir aber alle Puzzlesteine zusammengefügt haben, haben wir gemerkt, dass Kostüm und Ausstattung zu stark in eine Richtung gearbeitet haben, so dass da wieder eine Lebendigkeit hineinkommen musste.“

Wie wichtig einzelne Details hinsichtlich der Gestaltung des Kostüms in „Michael“ sind, soll der Zustand seiner Schikleidung während eines Ausflugs widerspiegeln: Der Protagonist ist in seiner Freizeit vor allem mit Wolfgang, den er in einem Kellerraum festhält, beschäftigt: Erstmalig kann er ihn allein lassen und unternimmt nun einen Schiausflug, die schlechte Schikleidung deutet an: Michael war schon lange nicht mehr im Schnee unterwegs – wie auch? Seine Freizeitgestaltung ist völlig auf den Jungen fixiert. „Es gibt da eine Lust, in die schwarze Seite oder in die Abgründe zu schauen und das kann man natürlich auch übers Kostüm erzählen. Da sieht nicht alles superschick aus wie in Fernsehfilmen, wo doch eine glücklichere Welt dargestellt wird“, sagt Katharina Wöppermann, die schon mit vielen österreichischen Regisseuren zusammengearbeitet hat. Und vorsichtig fügt sie an: „Die Herangehensweisen sind sehr unterschiedlich, aber wenn man sich die Filme in Summe anschaut, verstehe ich schon, warum man mutmaßt, dass es einen österreichischen Blick gibt.“ – Bei aller Unterschiedlichkeit, versteht sich.

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