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Es gibt Grund zu feiern

Das MAK zelebriert die Kultur des Festes zwischen Barockbällen und Berghain – ein Essay zur Qualität des Feierns und Festens.

Chris Groner, Reclaim the Streets, 13. Juli 1996, M41 Motorway, Shepherd’s Bush, London © Chris Groner

THE FEST heißt die Ausstellung im Museum für angewandte Kunst (MAK), die von 14. Dezember 2022 bis 7. Mai 2023 über 650 Festobjekte ausstellt. Krieg, Klima- und Coronakrise kratzen zwar am Euphorieverständnis der Gegenwart, doch: Wir feiern! Einfach so, trotz alledem, aus guten Gründen – weil die Menschen Feste mögen, feiern müssen, mitunter sollen, aber bestimmt wollen! Passend mag deshalb das Motto sein, der für die kommende Großausstellung im MAK verwendet wird: THE FEST begegnet dem Publikum in Großbuchstaben, noch bevor es die Möglichkeit hatte, sich vom „barocken Tafelaufsatz bis in die Clubkultur der Gegenwart” zu orientieren. Schließlich ist THE FEST ohnehin das Fest, das über mehrere Jahrhunderte ausholt, die Festkultur des Jugendstils mit dem Brimborium des Barock und der zeitgenössischen Vorstellung des „Festes“ zusammenführt. Vielleicht packt THE FEST deshalb Buzzwords wie das Berghain neben Bälle des Barock, Maiaufmärsche neben das höfische Treiben im Rokoko und das High zum Low, denn: „Selbst in bitteren Zeiten wurden Feste gefeiert”, so Lilli Hollein, Generaldirektorin des MAK im Katalogbeitrag zur Ausstellung.
Beschäftigen wir uns also mit dem Fest. Nicht ausschließlich mit jenem FEST im MAK, sondern auch mit einer Interpretation von Festen und Feiern, wie sie der Autor dieser Zeilen wahrnimmt. Schließlich könnte man derzeit glauben, dass die Welt zerbricht und wir nichts tun können, außer hemmungslos zu eskalieren. Die Ausstellung im MAK wirkt diesem Nihilismus entgegen. Sie stellt nicht mutlosen Verbrauch, sondern das Verlangen in den Vordergrund, nach all den Einschränkungen und Rückschlägen wieder zu feiern. Entfliehen wir doch für die Dauer einer Clubnacht den Sorgen und Ängsten, tanzen wir in Roben unter Lustern und Leuchten, hissen wir Fahnen der Freude und verkleiden uns, bis nur noch verblichene Fotos an den Firlefanz der Inszenierung erinnern. Schließlich finden wir den Exzess in seiner Vergänglichkeit. Denn: Wir entfliehen der Realität – aber immer nur kurz, für den Moment, in Bruchteilen des Alltags. Seine Mittelmäßigkeit muss dem Moment des Exzessiven im Fest weichen: Wer ein Fest feiert, bestätigt den Augenblick – man stimmt der Welt zu, indem man aus ihr austritt.
Die Euphorie des Festes wird zur unkontrollierten Realitätsflucht. Sie ist eine Reaktion auf eine Gegenwart, in der man am besten lebt, wenn man nicht jeden Tag die Zeitung aufschlägt und auf der Suche nach Information durch endlose Timelines wischt, sondern immer öfter die Augen schließt, die Ohren verstopft und die Nase zuhält. Wir distanzieren uns in der Euphorie von der Realität und schaffen unsere eigene Wirklichkeit. Deshalb geht mit ihr ein Gefühl von Gleichgültigkeit zu unserer Umwelt einher. „Ohnehin alles wurscht, oder?“, denkt man sich, während sich das Verständnis von Zukunft im Twitter-Feed auflöst und man sich selbst nur noch im Erleben unserer selbst versteht. Vielleicht lehnen wir deshalb Objektivitätsansprüche ab, während wir alles auf uns selbst beziehen – mein subjektives Befinden bestimmt mein Leben, dein subjektives Befinden bestimmt deines.
Es mag sein, dass THE FEST den „Aufruhr“ daher in der „Repräsentation“ des Vergangenen und Verlorenen, vor allem aber des kollektiv Vergänglichen sucht. Feste sind Zeiten, die den Alltag verschlucken, um ihn ob Ermangelung der Verdauung bereits nach wenigen Stunden wieder auszuspucken. Egal ob man sich ein liturgisches Leitmotiv setzt oder drogeninduziert den Dancefloor kapert – das Fest mag die Klammern des Alltäglichen lockern, es zerstört sie nie ganz. Auf die Explosion folgt Schall und Rauch, auf die sinnlose Verschwendung eine Rechnung, die man nur allzu gern bezahlt, weil sie die Quittung ist für eine Kampfansage an Langeweile und Leere.

Einladung zur Gschnas-Revue am 19. Jänner 1929 im Wiener Künstlerhaus
Entwurf: Bertold Löffler, Lithografie, MAK © MAK

Zwischen Trockeneisnebel und Tafelaufsätzen

Wer den Epochen des Festes folgt, erkennt: Die Feier folgt Ritualen, aber sie wiederholt sich nie. Es liegt in seiner Natur, dass es nie zwei Mal dasselbe Fest geben kann. Darin zeigt sich nicht nur die Veränderung des Menschen in der Zeit, sondern auch sein Drang zur Erneuerung des Bestehenden. Vielleicht fühlen wir uns in der Bereitschaft zu permanenten Aktualisierungen im Vergangenen sogar an unser heutiges Leben erinnert. Um neben dem endlosen Betäubungs-Stream unserer Leben zwischen Lifestyle und Timeline noch etwas zu spüren, muss sich schließlich immer etwas verändern, aktualisieren, updaten. Deshalb funktionieren Clubnächte und Kostümentwürfe, deformierte Champagnergläser, Maskeraden und Einladungen zur Gschnas-Revue in ihrer einzelnen Aneinanderreihung wie Push-Nachrichten auf dem iPhone. Alles um uns aktualisiert sich und lechzt nach ständiger Aufmerksamkeit. Das Fest zerbricht wie seine Ausstellung in einzelne Momente. Nur so lassen sich unsere Dopaminspiegel noch anzapfen, um vorzugeben, wie wir zu spüren haben – im Moment, im Jetzt, in einer absoluten Gegenwart, die sich abwechselnd in Trockeneisnebel und Tafelaufsätzen
auflöst.
Daraus verspricht man sich einen „glückvollen Ausnahmezustand“, wie Lilli Hollein im Kataloggespräch mit der Kuratorin von THE FEST, Brigitte Felderer, sagt. Feste böten die Möglichkeit, „etwas auszuprobieren oder die Erscheinung eines Ortes vorübergehend zu verändern.“ Man dekoriert die eigene Wohnung oder sich selbst, legt Wert auf den äußeren Auftritt und bringt nicht nur sich selbst, sondern einen gemeinsamen Raum zum Ausdruck. Einer, der die Möglichkeit der Veränderung in sich trägt, weil er sich öffnet – für Gäste oder sein Umfeld, aber auch für Ideen, die innerhalb der Konventionen des Alltags nicht denkbar sind. Das Museum am Stubenring solle deshalb ein lebendiger Ort sein, das Thema dieser Ausstellung mache das deutlich, sagt die Direktorin: „Wir bewahren hier Dokumente von rauschenden Festen, von Künstlerfesten und von ungeheuren Gestaltungsideen auf. Es ist unsere Verantwortung, solche Inhalte ins Heute weiterzuschreiben und weiterhin etwas beizutragen.“
Von Eventisierung muss man in zeitgenössischen Museumsbetrieben schon länger nicht mehr sprechen, um das einzigartige Erlebnis in den Vordergrund zu stellen. Weil aufwendig gestaltete Scherzgefäße, Einladungskarten und Juwelen in ihrem Anachronismus aber nicht einfach nur wirken – wer sollte in der „Harder-Better-Faster-Stronger“-Festkultur der Gegenwart davon schon aufgerührt werden? – rührt die Inszenierung der Objekte von der Re-Präsentation der Ausstellung. Dafür hat Objektkünstler Peter Sandbichler, einer der bedeutendsten Eindringlinge in die Öffentlichkeit Österreichs, die Räume des MAK mit Fahrradkartons neu gestaltet. Der Aufruhr entsteht im Jahr 2022 nicht trotz, sondern wegen seiner ökologischen Nachhaltigkeit.
Dabei könnte Nachhaltigkeit im Moment des Festes wie die Bemühungen des Berghain anmuten, einen Kongress gegen Drogenmissbrauch zu veranstalten. Feiern steht schließlich für sich, es repräsentiert nur sich selbst. Durch das eigene Aufrühren zelebriert man die schöne Kunst des Verbrauchs und verschwendet sich selbst. Die ekstatische Qualität, das Aus-sich-Herausgehen, liegt dem ebenso nahe wie die Vermittlung des Gefühls einer situativen Zusammengehörigkeit. Ein Fest schließt ein und aus, man kennzeichnet sich durch Symbole und Zeichen, Codes und Embleme. Erst dadurch wird man zur „Familie“, die für einen verdichteten Zeitraum jede Form von Hierarchie verabschieden soll. „Soziale Rollen und Positionen, kurzum: Machtsysteme jeglicher Art“ setzen sich vorübergehend außer Kraft, wie Brigitte Federer im Katalogbeitrag zur Ausstellung schreibt. Dabei gehört man nur dazu, weil man bereits dazu gehört. Die Utopie einer grenzenlosen Gesellschaft mag sich wie in aktuellen Diskussionen durch die Clubkultur ziehen. Allein: Die Realität lässt sich nicht einfach an der Garderobe abstreifen. Sie heftet an uns – egal, ob wir frömmelnd die Kirchenbank drücken, 25 Euro für die Clubnacht liegen lassen oder an der Kaviarbar alle Hemmungen verlieren.

Anonym, Harlekinfamilie, um 1745. Manufaktur: Kaiserliche Porzellanmanufaktur Wien
Porzellan, garniert, glasiert, bemalt, Golddekor, MAK © MAK

Sehnen nach Verbundenheit

Das Fest muss man sich also leisten können. Die festliche Gemeinschaft existiert nur, weil alle in die Inszenierung investieren. Deshalb können die Feiernden keine dauerhafte Gemeinschaft bilden. Endet das Fest, enden die Gefühle – und damit die Zusammengehörigkeit. Was nachwirkt, ist Nostalgie für eine Vergangenheit, die nicht mehr wiederholbar ist. Deshalb müssen, sollen und wollen wir feiern. Immer wieder, denn das verbindende Element bleibt das Sehnen nach dem Erlebnis der Verbundenheit. Wir suchen es in Happenings, im Sensationellen, dem Neuen und ganz Anderen, das sich früher im Höfischen, bald im Privaten und heute viel zu oft in der kommerzialisierten Öffentlichkeit abspielt. Trotzdem: Wir erfahren das Verbindende zeitweise und verlieren es zwangsläufig im Alltag, der mit den ersten Sonnenstrahlen oder dem letzten Champagnerglas zurückdrängt.
Ein Rückblick über die Epochen des Feierns und Festens mag daran nichts ändern, zeigt aber, wie stark wir als Gesellschaft nach zeitweiligen Ausbrüchen aus dem Alltag gieren. DAS FEST versammelt bis 7. Mai 2023 gestalterische und künstlerische Beiträge zum Fest des Festes und ahmt eine Aura des Festlichen nach. Eine, die sich nicht am Hauptportal des MAK erschöpft, sondern sich in unseren Alltag integrieren lässt. Schließlich ist es kein Kunststück, ein Fest zu veranstalten. Wir sollten vielmehr Menschen finden, die sich an ihm erfreuen. Ob mit Hilfe von Gold-Rosetten oder Schwarz-Weiß-Fotografien, morsenden Glaslustern oder Exgläsern – man muss die Feste feiern, wie sie fallen.

THE FEST – Zwischen Repräsentation und Aufruhr
14. Dezember 2022 – 7. Mai 2023
MAK – Museum für angewandte Kunst
www.mak.at

 

| FAQ 68 | | Text: Christoph Benkeser
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