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Es hat nicht statt gefunden

Text: Christoph Benkeser | Fotos: Magdalena Blaszczuk
Trupa Trupa, Wien, 2018. Foto: Magdalena Błaszczuk

Naive Parolen sollte man sich von Trupa Trupa nicht erwarten. Die polnische Rockband aus der Hafenstadt Danzig hat mit ihrem neuen Album „Of the Sun“ ein antifaschistisches Statement vorgelegt, das sich der eigenen Vergangenheit stellt, um die Zukunft neu zu gestalten. Die vier Bandmitglieder konfrontieren uns mit dem „normalsten Album, das wir bisher geschrieben haben“, sagt Grzegorz Kwiatkowski, Kopf und Stimme der Gruppe. Und meint: „Wir sind damit kolossal gescheitert.“ Songs über seichte Sexyness und Sonnenbrand vom letzten Strandurlaub an der Ostsee sollte man auf dem Album nicht erwarten. Es geht zur Sache – schonungslos und unbequem. Schließlich arbeiten sich Trupa Trupa an der „dunklen Seite der Menschheit“ ab. Und zwar so, wie das vier Intellektuelle in einem Staat mit präpotentem Mini-Trump als politischer Galionsfigur für sich verstehen. „Es ist ein Album, das sich mit dem Konzept der Zeit beschäftigt, mit dem Nichts und der tragischen Geschichte, die uns in diese existentialistische Leere geführt hat“, so Kwiatkowski. Welche Kraft diese Leere entfalten kann, hat der Sänger im Gespräch mit „FAQ Magazine“ erklärt.

Ihr lebt alle in Danzig, der Stadt, in der einer der größten Pessimisten der Philosophiegeschichte zur Welt kam: Arthur Schopenhauer. Nehmen wir an, Schopenhauer hätte euer neues Album gehört: Was würde er dazu sagen?

Ich glaube, er hätte sie gemocht. Die Platte greift definitiv Aspekte seiner Philosophie auf. Auch wenn er nur wenige Jahre in Danzig gewohnt hat, ist er mit der Stadt auf seltsame Weise verbunden. Für mich sind Schopenhauers Werke wie eine Bibel, ich glaube fest an sie. Deshalb spukt der Geist seiner pessimistischen Philosophie in unserer Musik mit. Natürlich nicht nur. Wir arbeiten uns auch an der Tragödie des Zweiten Weltkriegs ab, dieser dunklen Geschichte der Menschheit.

Du hast mal gesagt, dass Trupa Trupa Probleme haben, ihre eigenen Alben zu benennen. Nach „Headache“ im Jahr 2015 und „Jolly New Songs“ habt ihr euch dieses Mal für „Of the Sun“ entschieden. Wie kam es zu dem Titel?

Es stimmt, wir haben ein Problem, unsere fertigen Alben über einen Titel zu definieren. Viele Dinge, die wir im Studio machen, passieren unbewusst oder zufällig. Mit ein paar Monaten Distanz zur Aufnahme des Albums finden wir, dass „Of the Sun“ ziemlich gut passt, weil die Songs nach außen hin glänzen, sie leuchten. Gleichzeitig geben diese Songs aber nur vor, zu glänzen. Tatsächlich sind es traurige Lieder. Meiner Meinung nach sind sie sogar kaputt, weil sie in ein großes schwarzes Loch gefallen sind. Natürlich nur symbolisch, diese existentialistische Haltung wird von der Tragödie des Holocaust und von unserer kommunistischen Vergangenheit beeinflusst. Deshalb nenne ich das neue Album „Samuel Beckett Lonely Heart Club Band“, weil es in den Songs um das Gefühl von Zeit und das Empfinden von Nichts geht. Das klingt furchtbar, aber so ist die Musik von Trupa Trupa. Außerdem mag ich dieses Paradoxon. Kaputte, existentialistische Musik, die nach außen hin glänzt. Auch wenn wir am Anfang dachten, das wir dieses Mal ein „schönes“ Album aufnehmen.

Wieso ist es kein schönes Album geworden?

Für die Aufnahmen gingen wir in ein professionelles Studio. Wir saßen da in diesem riesigen Raum, voller Instrumente und Kabel. Der Klang war ganz anders als in unserem Proberaum. Ich war nicht entspannt, fühlte mich nicht wohl. Es war einfach nicht mein Raum, nicht mein Vibe. Es war zu professionell. Zu gut. Deshalb ist diese „kaputte Platte“ entstanden – die Songs geben Leichtigkeit vor, aber sie tun nur so. Wenn ich zurückdenke, habe ich in diesem Studio keine Songs gespielt. Ich habe so getan, als würde ich sie spielen, was diese düstere Atmosphäre entstehen ließ. Das Unbehagen hat diese Stimmung zusätzlich befördert. Und Michal Kupicz, unser Produzent, war es, der uns die Sache mit dem Studio empfohlen – und uns damit aus der Komfortzone gerissen hat. Das war ein kluger Schachzug von ihm, weil es Veränderung in die Musik brachte.

Es scheint, als wäre euer Produzent das fünfte Mitglied der Band. Wie ein polnischer George Martin der Beatles.

Michal Kupicz ist unser George Martin. Er sagt uns nicht, was wir tun sollen. Aber er findet immer die beste und kreativste Lösung für das, was wir umsetzen wollen: Psychedelische Musik, die in einer pessimistischen Atmosphäre aufgeht.

Wie passt psychedelische Musik mit ernsten Themen wie dem Holocaust zusammen?

Ich weiß es nicht. Ich behaupte nicht, dass es zusammen passen muss. Wir schreiben Lieder und singen Mantra-artige Texte wie „We never forget“. Ich versuche dadurch, Menschen eine Stimme zu geben, die keine haben, sie niemals hatten oder nicht artikulieren konnten – so ähnlich wie Edgar Lee Masters in seinem Buch „Die Toten von Spoon River“.

Du gibst den Geistern der Vergangenheit also eine Stimme.

Sowas in der Art. Normalerweise planen wir als Band nicht, was wir tun. Zumindest nicht während der Aufnahmesessions. Oft denken wir, dass unsere Lieder dumm oder kindisch seien. „Only Good Weather“ vom letzten Album gefiel uns zuerst gar nicht. Wir wollten den Song nicht auf dem Album haben, entschieden uns später trotzdem dafür. Und dann feierten ihn die Leute als großes Highlight der Platte. Das zeigt nur, dass wir nicht über die nötige Distanz verfügen, um über unsere eigene Arbeit zu urteilen.

In einem Interview hast du erwähnt, dass das Album für euch wie ein vitaler Pessimismus wirkt. Was meinst du damit?

Die Platte kommt unserer wahren Persönlichkeit sehr nahe. Als Gruppe sind wir lustige Leute. Wir machen die ganze Zeit Witze und blödeln herum. Es ist schwer, uns in einem traurigen Moment zu erwischen. Obwohl wir ein gemischtes Gefühl in uns tragen – wegen der eigenen Vergangenheit, unserer Geschichte, unseren Familien. Sagen wir so: Tief in uns sind wir traurig, aber nach außen hin strahlen wir Lebensfreude aus. Die pessimistische Weltsicht macht uns nicht depressiv. Sie gibt uns Kraft und eine Lust zu leben – und den Leuten zu zeigen, dass wir mit eigenen Mitteln gegen unsere Vergangenheit ankämpfen …

Vollständiger Artikel in der Printausgabe 

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Trupa Trupa „Of the Sun“ (Glitterbeat Records) Bereits erschienen 

| FAQ 54 | | Text: Christoph Benkeser | Fotos: Magdalena Blaszczuk
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