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Es leben die Antipoden

Die Viennale 2024 – eine Wundertüte zwischen schamanischer Kollektivkunst und brutalistischer Monumentalität

„The Brutalist“ Brady Corbet. Vereinigtes Königreich, USA, Ungarn 2024

Der Herbst ist da, die Viennale kommt. Mit seinem Termin hat das Festival ein großes Los gezogen. Seit 1978 findet es traditionell Ende Oktober statt. Das Filmjahr ist zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen vorbei. Sundance, Berlin, Cannes, Locarno, Venedig, Toronto sind absolviert, irgendwo ist natürlich auch jetzt immer noch ein Festival im Gange. Aber die Produktion dieses Jahres liegt vor. Und die Viennale kann sich aussuchen, was sie zeigen will. Der pure Luxus. Wie es sich gehört für ein Filmfestival in einer Stadt, die vom Lauf der Geschichte in den letzten 70 Jahren in eine sehr privilegierte Position versetzt wurde. Auch dieses Jahr kann die Viennale wieder aus dem Vollen schöpfen: Ein Film wie The Brutalist von Brady Corbet, von dem aus Venedig vielleicht der größte Buzz ausging, läuft nun zwei Monate später schon in Wien – wobei da vermutlich eine Rolle gespielt hat, dass es hier mit dem Gartenbaukino auch einen Saal mit einer Technik gibt, die mit diesem formal nostalgischen Riesenwerk in einem eigenwilligen 70mm-Vistavision-Format etwas anfangen können. Adrien Brody spielt die Hauptrolle in einem Epos über einen ungarischen Architekten, der den Holocaust übersteht und danach in Amerika durchstartet.
The Brutalist gehört in den Kontext des heroischen Männerkinos à la Paul Thomas Anderson oder Christopher Nolan. Kein Wunder, dass es Vergleiche gab mit Citizen Kane (1941), dem ultimativen Wunderkind-Film in der Filmgeschichte.

„The Brutalist“ Brady Corbet. Vereinigtes Königreich, USA, Ungarn 2024

„Architecton“ Victor Kossakovsky. Deutschland, Frankreich, USA 2024

Ein paar Blockbuster von den A-Festivals bringt die Viennale nicht zuletzt deswegen zur Aufführung, weil solche Zugpferde im Idealfall die Auslastung auch weniger naheliegender Titel steigern. Seine Legitimität gewinnt das Programm aus einer gelungenen Mischung. Wer sich The Brutalist anschaut, könnte und sollte auch Interesse für einen der Kurzfilme des mexikanischen Kollektiv Los Ingrávidos haben, dem eine Spezialreihe (eine Monografie) gewidmet ist. Die Gruppe aus der Stadt Tehuacán – drei, vier Autostunden südöstlich der mexikanischen Hauptstadt – macht Musikvideo-kompatibles, gewitztes, „schamanisches“ Experimentalvideokino, das postkoloniale und andere politische Anliegen mit Formensprachen selbst aus den heutigen sozialen Medien verbindet.

„Grand Tour“ Miguel Gomes. Portugal, Italien, Frankreich 2024

„Teocallii“ COLECTIVO LOS INGRÁVIDOS

„Scenes From the Class Struggle in Portugal“ Robert Kramer, Philip J. Spinelli. Vereinigte Staaten 1977

Mit diesen beiden Polen ist die Spannweite der diesjährigen Viennale in etwa durchmessen. Und man kann nun versuchen, noch ein paar weitere solcher Antipoden zu finden. Der Dokumentarist Victor Kossakovsky hat sich ja einmal den Spaß erlaubt, Punkte auf der Welt aufzusuchen und mit seiner Montage zu verbinden, die einander genau „gegenüber“ liegen (Vivan las antipodas). In Wien ist er dieses Jahr mit Architecton vertreten, einer nicht hundertprozentig plausiblen Meditation über die Verfehlungen der neueren Bau- und Schuttgeschichte, die im Zeichen des Betons weniger Beständigkeit erreicht als die Antike mit ihren Monumenten aus Stein. Architecton könnte man antipodisch verknüpfen mit Grand Tour von Miguel Gomes, auch ein Reisefilm, allerdings einer, der nicht nur in eine historische Region führt (das koloniale Südostasien), sondern auch in eine filmhistorische Materiallage (eine noch stark vom frühen Kino inspirierte Schwarzweiß-Phantastik). Wo Kossakovsky auf ein Material zählt, das dem Zahn der Zeit trotzt, setzt Gomes ganz auf das Ephemere von flüchtigen Medienträumen, in denen sich auch die Spuren des weißen Mannes verlieren wie in einem Dschungel.

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Viennale – Vienna International Film Festival
17. bis 29. Oktober 2024
www.viennale.at

 

| FAQ 77 | | Text: Bert Rebhandl
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