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Family und/oder Business

Text: Timon b. Schaffer | Fotos: Philipp Tomsich

Lokalaugenschein am frisch gerechten Tel Aviv Beach am Wiener Donaukanal: Der überaus beliebte Bobo-Treff steht kurz vor seiner Wiedereröffnung, und schon in wenigen Stunden werden die ersten Gäste erwartet. Haya, die Mutter und kulinarische Chefin des Molcho-Clans, dirigiert die Vorbereitungen, assistiert von Nuriel und Ilan, zwei ihrer vier Söhne. Die Reihenfolge dem Alter nach geht so: Nuriel, Elior, Ilan und Nadiv, der gerade in New York studiert. Eine solide Ausbildung und Weltoffenheit, darauf legt die Familie wert: Elior hat in Baden-Baden Eventmanagement studiert, Ilan in London Schauspiel, Nuriel – ebenfalls in London – Management und Spanisch. „Vorher waren wir alle an der Vienna International School – der Weg ins Ausland nach dem Schulabschluss war also quasi vorgezeichnet“, ergänzt Ilan, der mittlerweile ebenso wie sein ältester Bruder ins Familienunternehmen zurückgekehrt ist. Gemeinsam mit ihrer Mutter sorgen sie in der Wiener Gastronomie-Szene für Furore.

Der Tumult der geschäftigen Vorbereitungen rund um uns herum wird im Zuge des Gesprächs, das Haya, Nuriel, Ilan und ich nun führen, weitgehend ausgeblendet. Begonnen hat alles am Naschmarkt, mit einem Lokal namens Tewa, ein Projekt, das Haya am liebsten gar nicht erwähnt wissen möchte. „Das war eine harte Schule – unsere erste Unternehmung war ein ziemlicher Rückschlag und hat uns gezeigt, dass man sich niemals auf einen Partner verlassen sollte“, sagt Haya. „Es war ein Gemeinschaftsprojekt, für das wir das Konzept entwickelt haben. Nach etwa einem Jahr haben wir uns von dem Ganzen getrennt. Sagen wir einmal, unser Geschäftspartner hat uns kreativ behindert, und mittlerweile haben wir gar nichts mehr mit dem Tewa zu tun“, ergänzen Nuriel und Ilan.

Möglicherweise hatte die missglückte Kooperation auch etwas Gutes – denn durch diesen erzwungenen Neustart wurde der Naschmarkt um ein Etablissement bereichert, das heute aus der Lokalszene nicht mehr wegzudenken ist: Das Neni, dessen Name sich aus den Initialen der vier Sprösslinge zusammensetzt, wurde 2009 unter großem Aufsehen und mit wohlwollendem Zuspruch eröffnet. Nicht nur kulinarisch und durch überdurchschnittlich bemühtes Personal sticht das junge Lokal hervor, auch architektonisch hebt sich das Neni von der restlichen Naschmarkt-Gastronomie ab: Die Familie Molcho hat es geschafft, das erste zweistöckige Lokal zu errichten – dass das Obergeschoß quasi keine Fenster besitzt, macht nichts, denn die warme Eichenholz-Optik macht die mangelnde Weitsicht durchaus wett.

Viel Zeit blieb dem Familienteam nicht, die überschwänglichen Kritiken der heimischen Gastrojournalisten zu genießen, denn im Sommer 2009 stand schon das nächste Großprojekt an: der Tel Aviv Beach. Ursprünglich als Tourismuswerbung des Landes Israel anlässlich der Hundertjahr-Feier der „weißen Stadt“ gedacht, wandelte sich die Installation schnell zum Hotspot des Sommers. „Eigentlich wussten wir schon nach einem Monat laufendem Betrieb, dass wir den Strand im kommenden Jahr weiterführen wollen“, erinnert sich Ilan. So wurde kurzerhand das ursprünglich als einmalige Aktion geplante Konzept von der Familie Molcho übernommen und das Areal am Wiener Donaukanal vorerst auf fünf Jahre gepachtet. Nach Ablauf, also ab 2016, soll ein langfristiger Deal mit der Stadt Wien ausgehandelt werden – immerhin habe man viel Geld investiert, sagt Haya, nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee und zündet sich eine Zigarette an. „Wenn wir etwas machen, muss es Hand und Fuß haben. Wenn du dich hier umsieht, wirst du merken, dass wir hier versuchen, durch Bauhaus-Stil und andere Details echtes Tel-Aviv-Flair zu vermitteln.“ Das bedeute zwar auch, dass manchmal etwas mehr Geld in die Hand genommen werden muss, ist Haya jedoch lieber, als halbherzige Arrangements. „Hier kommen die Strandstühle aus Tel Aviv – nicht die billigste Variante, dafür eine authentische.“

So weit, so gut. Doch die Investitionen für die Strandbar am Donaukanal übersteigen im Moment die Erträge. Der saisonal begrenzte Tel Aviv Beach wurde im Herbst geschlossen – und vor der Wiedereröffnung als Schlachtfeld vorgefunden. „Das Problem ist, dass über den Winter so viel mutwillig zerstört wurde. Die Planen sind teilweise mit widerlichen Sprüchen oder Hakenkreuzen beschmiert worden, sodass wir vieles erneuern mussten“, schüttelt Haya fassungslos den Kopf über den antisemitischen Vandalismus. Jedes Jahr so große Summen in den Wiederaufbau zu stecken, würde sich nicht rentieren, so die Geschäftsfrau weiter: „Wenn kein Weg gefunden wird, solchen Zerstörungen vorzubeugen, müssen wir uns die Weiterführung des Strandes noch einmal überlegen.“

Rückblick: Eineinhalb Jahre früher. Um die gerade noch frische Bewilligung der Pacht für die Molchos am Donaukanal ranken sich viele Gerüchte – etwa, dass die Familie besonders gute Beziehungen zur Wiener Stadtregierung hätte und daher die Vergabe beschleunigt wurde. Stimmt nicht, meinen die Söhne. „Wir haben einfach rechtzeitig um die Pacht angesucht und hatten Glück. Es stimmt, dass uns viele Seil- und Machenschaften nachgesagt werden, doch das sind unbegründete Vorurteile. Wir waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, stellt Nuriel fest. „Außerdem treten ja auch Außenstehende mit Vorschlägen an uns heran – nicht immer geht die Initiative von uns aus“, ergänzt Ilan und spricht damit das jüngste Molcho-Projekt, das Neni-2 im Jean-Nouvel-Gebäude beim Schwedenplatz an. In diesem Fall ist die Uniqa-Versicherung, der die Immobilie gehört, an die Gastronomiefamilie herangetreten, nicht umgekehrt. „Klar, dass wir uns so ein tolles Angebot nicht entgehen lassen“, strahlt Haya, „ich liebe den Zweiten! Der Bezirk steht dem Sechsten oder Siebenten um Nichts nach und lebt von seiner brodelnden Multikulturalität.“

Dass die Ecke, an der das Neni-2 eröffnet hat, nicht gerade mit dem Karmelitermarkt gleichzusetzen ist, weiß Haya sehr wohl. Doch dass ein nobles Ambiente automatisch andere Kundschaft anzieht als beispielsweise der Naschmarkt, dagegen verwehrt sich die quirlige Frau. „Was heißt Schickimicki? Für mich sind das arrogante Gäste, die unfreundlich zu unseren Angestellten sind und sich einfach nicht benehmen können. Vielleicht kann man es mit ,neureich’ gleichstellen. Es gibt aber auch wohlhabende Menschen, die ‚menschlich’ bleiben und nicht abheben. Samy und ich beispielsweise leben auch sehr gut – und sind am Boden geblieben“, verteidigt Haya das Neni-2.

Wie alle guten Dinge hat auch Hayas Kochkarriere mit echter Leidenschaft begonnen. Mittlerweile hat die international geschulte Köchin neben dem Catering-Service und den eigenen Betrieben auch ein Kochbuch herausgegeben. Begonnen hat alles jedoch mit ihrem Mann. „Als wir uns kennen gelernt haben, hatte ich in Deutschland studiert, Samy war damals bereits ein bekannter Pantomime mit internationalen Engagements. Fünf Jahre später heirateten wir. Von diesem Zeitpunkt an bereiste ich sieben Jahre lang mit Samy die Welt. Wo immer wir lebten, arbeitete ich in einer Küche – in Hotels und Restaurants in Indien, Marokko, Thailand. Für mich war es wunderbar, so viele Kulturen hautnah erleben zu können“, schwärmt Haya. Indien mit seinen Fünf-Elemente-Kombinationen habe sie besonders geprägt, noch heute würde sie für Inspirationen einmal im Jahr nach Indien reisen. Auch Marokko mit seinen opulenten Dekorationen hat großen Einfluss auf Hayas Arbeit in Wien. Dass die Söhne auf ihren Reisen auch automatisch nach Inspiration Ausschau halten, dem stimmen Nuriel und Ilan zu. „Das kannst du irgendwie nicht abschalten – wenn du wo bist, und dir etwas wirklich gut gefällt, denkst du automatisch daran, wie du so etwas Ähnliches in deinen Betrieben umsetzen könntest.“

Eigentlich hört sich die Harmonie der Molchos schon fast verdächtig an – ob es denn schwierig sei, in so einen Familienbetrieb zu arbeiten, beantworten die einzelnen Mitglieder eindeutig: „Nein, es geht, wenn man abschalten kann. Im Familienurlaub vergangenen Dezember etwa durfte niemand über Geschäftliches reden. Es ist wichtig – und das will ich auch für meine Kinder – sich als Ausgleich bewusst Zeit für die Familie und Freunde zu nehmen“, stellt Haya fest. „Nur, weil wir ein Familienunternehmen sind, heißt das nicht, dass alles ganz locker ist – wir haben alles vertraglich geregelt. Jeder hat seine Anteile. Ilan und ich sind dadurch auch risikobeteiligt. Wir sind alle Gesellschafter. Die einzelnen Bereiche, wer also für Marketing oder für Buchhaltung zuständig ist, wer am Naschmarkt oder wer im Zweiten ist, das ist flexibel. Wir haben keine starren Strukturen – das ist, glaube ich, ein großer Vorteil“, ergänzt Nuriel und wird von Ilan unterbrochen: „Familie und Arbeit zu kombinieren, hat Vor- und Nachteile – nehmen wir die Offenheit gegenüber Familienmitgliedern. Andererseits: Wir denken oftmals gleich und sind dadurch produktiver, müssen nicht viel erklären und wissen schnell, was der andere meint. Das ist der große Vorteil eines Familienbetriebs.“ Eigentlich sei es noch nicht vorgekommen, dass sich Konflikte aus der Arbeit in die Familie gezogen hätten, das könne man schon trennen, so das allgemeine Credo.

Insgesamt arbeiten zur Zeit 80 Personen in allen Molcho-Betrieben, sie sind für die Geschäftsführer eine Art erweiterte Familie. Wenn sich jemand bei ihnen um eine Anstellung bewirbt, zählt der Lebenslauf nicht, zumindest nicht für Nuriel. „Ich schaue mir zuerst die Körpersprache der Bewerber an.“ Man merkt, dass da Nuriels Vater Samy durchkommt, der nach der Geburt seines zweiten Sohnes Elior die Karriere als Pantomime an den Nagel gehängt hat und seitdem als Körpersprache-Coach Anerkennung genießt. „Auf Papier und verbal kannst du lügen, doch dein Körper verrät dich meistens.“ Der Bewerber müsse vom Charakter her ins Team und ins Neni-Bild passen – immerhin seien die Mitarbeiter quasi „Visitenkarten“ oder „Botschafter“ gegenüber den Gästen, erklärt Ilan. Wird man als Mitarbeiter „in die Familie geholt“, bekommt man erst mal ein Coaching durch den Professor für Körpersprache, vor allem, um an der eigenen (Fremd-)Wahrnehmung zu feilen und das Auftreten zu perfektionieren.

Für die Zukunft haben die scheinbar unermüdlichen Unternehmer noch viele Pläne. Etwa einen ganztägiger Brunch am Tel Aviv Beach („Und damit meine ich ganztägig – sodass man auch um sieben Uhr abends noch frühstücken kann!“, setzt Haya nach), Kochkurse auf der Privatterrasse am Donaukanalufer oder den Ausbau der jeden Donnerstag stattfindenden Clubbing-Linie der Söhne „Nine@Neni“ im Neni im Zweiten. Ein sommerliches Großprojekt gibt es auch wieder, denn das Filmfestival am Rathausplatz mit angeschlossener Kulinarik-Meile steht heuer ganz im Zeichen Israels. „Ideal für uns, die wir Israelis sind, die eklektisch-israelische Küche beherrschen und überhaupt sehr an dieser Möglichkeit interessiert sind“, so Nuriel. Die Verhandlungen seien aber noch nicht abgeschlossen, das kläre sich erst in den nächsten Wochen.

Die Antwort auf die Frage, ob es denn Tage gäbe, an denen sie sich wünschten, nicht in der Gastronomie zu arbeiten, kommt prompt: „Nie. Manchmal gibt’s den Wunsch nach einer Pause, dann muss man sich einen Tag freinehmen – immerhin ist die Arbeit schon sehr anstrengend. Aber ganz auszusteigen, das könnte ich mir nicht mehr vorstellen“, sind sich die Brüder einig.

| FAQ 12 | | Text: Timon b. Schaffer | Fotos: Philipp Tomsich
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